Bei den Angriffen spielen offenbar auch die Hizbollah und der Iran eine Rolle

Israels Kampf an drei Fronten

Nach den Ausschreitungen auf dem Jerusalemer Tempelberg wurden auch aus dem Libanon und Syrien Raketen auf Israel abgefeuert. Das deutet auf eine Zusammenarbeit dortiger palästinensischer Terrorgruppen mit der Hizbollah und dem Iran hin.

Nach Unruhen auf dem Jerusalemer Tempelberg in der vergangenen Woche wurden bei palästinensischen Terroranschlägen in der Westbank und in Tel Aviv vier Menschen getötet und acht verletzt. Aus Syrien, dem Libanon und dem Gaza-Streifen wurde das Land mit Raketen beschossen. Die israelische Armee reagierte mit Luftangriffen an allen drei Fronten. In arabischen Städten Israels und in Ostjerusalem kam es außerdem zu Ausschreitungen.

Bei einer Ansprache zur Sicherheitslage am Montagabend nahm Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu die von ihm zwei Wochen zuvor angekündigte, aber niemals vollzogene Entlassung seines Verteidigungsministers Yoav Gallant zurück. Dieser hatte sich für eine Verschiebung der umstrittenen Justizreform ausgesprochen, Netanyahu will nun dennoch mit ihm »zusammen für die Sicherheit Israels arbeiten«.

Die israelischen Sicherheitsbehörden machen Medienberichten zufolge palästinensische Terrororganisationen – allen voran die Hamas – für die Anschläge und die Raketenangriffe auf Israel verantwortlich. Experten vertreten aber immer wieder auch die Auffassung, dass der Iran und die von ihr finanzierte, aus dem Libanon operierende schiitische Miliz Hizbollah mit den Palästinensern kooperiere. »Es ist offensichtlich, dass es hier eine Kollaboration zwischen Hamas und der Hisbollah gibt«, sagte Seth J. Frantzman, Nahost-Experte und Redakteur der Jerusalem Post, im Gespräch mit der Jungle World.

Der Hizbollah-Generalsekretär Nasrallah sagte, Israel stehe wegen des Konflikts um die Justizreform am Rande des Zusammenbruchs.

Am Sonntag trafen sich die Anführer von Hizbollah und Hamas, Hassan Nas­rallah und Ismail Haniya, in Beirut. Das israelische Nachrichtenportal N 12 berichtete unter Berufung auf arabische Quellen, dass es bei dem Treffen um »Entwicklungen an der palästinensischen Front, die Ereignisse in der al-Aqsa-Moschee und den Widerstand im Westjordanland und im Gaza-Streifen« gegangen sei.

In seiner Ansprache am Montagabend sagte Netanyahu im Widerspruch zu in den Medien verbreiteten Verlautbarungen der Armee, dass in Reaktion auf die Raketenangriffe aus dem Libanon dort auch Stellungen der Hizbollah angegriffen worden seien. Die Times of Israel bezeichnet diese Äußerungen als »inkorrekt«.

Religiöse und politische Konflikte um den Tempelberg
Ausgelöst wurde der jüngste Raketenbeschuss Israels durch Auseinander­setzungen zwischen der israelischen Po­lizei und palästinensischen Randalierern auf dem Tempelberg. Wie jedes Jahr während des islamischen Fastenmonats Ramadan ist die Situation dort angespannt. Die religiösen und politischen Konflikte um das Plateau in der Jerusalemer Altstadt kochen in Zeiten religiöser Festtage oft hoch.

Während der Antike bildete es das Fundament des zerstörten herodianischen jüdischen Tempels, seit dem Mittelalter beherbergt es die islamischen Heiligtümer al-Aqsa-Moschee und Felsendom. Während Christen am Wochenende Ostern feierten, hatte am Mittwoch voriger Woche das einwöchige jüdische Pessach-Fest begonnen, so dass Gläubige aller drei Religionen vermehrt die heiligen Stätten in der Jerusalemer Altstadt aufsuchten.

In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch führte die israelische Polizei eine Razzia in der al-Aqsa-Moschee aus. ­Israelischen Medienberichten zufolge hatten sich dort zuvor rund 400 mit Explosiv- und Feuerwerkskörpern, Eisenstangen und Steinen bewaffnete Palästinenser auf einen Aufruf Haniyas hin verschanzt. Der israelische Fernsehsender Kan 11 zeigte am Montagabend Filmaufnahmen, die angeblich Szenen abbilden, die sich vor dem Polizeieinsatz in der Moschee abgespielt haben. Dort ist zu sehen, wie Menschen vor explodierenden Feuerwerkskörpern weglaufen. Ein Video der darauffolgenden Razzia zeigt, wie israelische Polizisten auf die palästinensischen Randalierer einprügeln. Laut einem Bericht auf der Internetseite des israelischen Fernsehsenders Reshet 13 wurden bei dem Einsatz zwölf Palästinenser verletzt.

Am Sonntag räumte Israels Polizeipräsident Kobi Shabtai ein, dass die Polizei zu aggressiv vorgegangen sei.

Am Sonntag rechtfertigte Israels Polizeipräsident, Kobi Shabtai, in einem Interview mit Kan 11 den Einsatz, räumte aber ein, dass die Polizei zu aggressiv vorgegangen sei. Nach Berichten der Times of Israel nutzten Terrororganisationen die Bilder von der Razzia in der Moschee, um in sozialen Medien zu Anschlägen gegen Israel aufzurufen. Wenige Stunden nach den Auseinandersetzungen auf dem Tempelberg wurde die südisraelische Stadt Sderot aus dem Gaza-Streifen mit Raketen beschossen. Die israelische Armee reagierte mit Gegenangriffen.

»Die Videos von den Ereignissen auf dem Tempelberg haben zu Unruhen an der Grenze mit dem Gaza-Streifen und zu Raketenbeschuss geführt. Um 6.35 Uhr morgens hat die Luftwaffe Ziele der Hamas im Gaza-Streifen angegriffen«, zitierte das israelische Nachrichtenportal Ynet den Armeesprecher Daniel Hagari. Am Abend kam es einer von N 12 veröffentlichten Chronik der Ereignisse zufolge erneut zu Auseinandersetzungen auf dem Tempelberg sowie zu Ausschreitungen in Ostjerusalem und zwei arabisch-israelischen Städten.

Schwerste Eskalation an der israelisch-libanesischen Grenze seit 2006
Am Donnerstag voriger Woche wurden dann 34 Raketen aus dem Libanon auf den Norden Israels abgefeuert. Die New York Times bezeichnete dies als schwerste Eskalation an der israelisch-libanesischen Grenze seit 2006, als ­Israel und die Hizbollah sich dort in einem Krieg gegenüberstanden. Die is­raelische Armee reagierte Medienberichten zufolge mit Angriffen auf Stellungen der Hamas im Libanon und im Gaza-Streifen. Von dort aus wurden am Freitag in den frühen Morgenstunden dann über 40 Raketen auf Israel abgefeuert.

Wenige Stunden später kam es zu zwei schweren Terroranschlägen. Gegen 11.30 Uhr erschossen Terroristen mit einer Kalaschnikow in ihrem Auto eine 48jährige Mutter und zwei ihrer Töchter (15 und 20 Jahre alt) auf einer Straße im Norden der Westbank. Am Abend steuerte ein Terrorist seinen Wagen in eine Gruppe von Menschen, die in einem Park nahe der Tel Aviver Strandpromenade flanierten, und tötete einen 35jährigen italienischen Touristen. Sieben weitere Menschen wurden verletzt. In der Nacht von Samstag auf Sonntag wurden sechs Raketen aus Syrien auf die seit 1967 von Israel besetzten Golanhöhen abgefeuert.

In Anbetracht der Raketenangriffe aus Südsyrien und dem von der proiranischen Hizbollah kontrollierten Süden Libanons konzentriert sich die israelische Armee offenbar bei ihren Gegenaktionen auf palästinensische Gruppen, die sie allein für die Eskalation verantwortlich macht. Laut Berichten auf Reshet 13 vertrat Israels General­stabschef, Herzi Halevi, vor Mitgliedern des Sicherheitskabinetts die Auffassung, dass die Hizbollah nichts von den Angriffen gewusst habe, und sagte: »Wir müssen uns auf diejenigen konzentrieren, die die Angriffe tatsächlich durchgeführt haben, das heißt auf die Hamas.«

Zu denen, die dieser Auffassung entschieden widersprechen, gehören unter anderem der ehemalige Oberbefehlshaber der israelischen Marine, Eliezer Marom, sowie der Iran-Experte Uzi Rabi, der das Moshe-Dayan-Center für Nahost-Studien der Universität Tel Aviv leitet. In den Nachrichten von Reshet 13 am Freitagabend voriger Woche sprachen sie sich dafür aus, die Hizbollah und den Iran stärker ins ­Auge zu fassen.

»Palästinensische Gruppen, die Hizbollah und der Iran wollen zurzeit alle den Druck auf Israel erhöhen und nutzen die Ereignisse auf dem Tempelberg zu diesem Zweck aus.« Sarit Zehavi, Leiterin der Alma-Forschungsinstitutes

»Ohne eine aktive Kollaboration mit der Hizbollah hätte die Hamas niemals eine derart hohe Zahl von Raketen aus dem Libanon auf Israel abfeuert können«, sagte Sarit Zehavi, die Leiterin der Alma-Forschungsinstitutes, das auf Entwicklungen an Israels nördlichen Grenzen spezialisiert ist, im Gespräch mit der Jungle World. Sie wies darauf hin, dass auch die Hizbollah die Ereignisse auf dem Tempelberg aufgegriffen hat, um zu Anschlägen gegen Israel aufzurufen.

Israel wird von seinen Feinden als geschwächt wahrgenommen
Der Jungle World zeigte sie eine entsprechende Videobotschaft von Hizbollah-Generalsekretär Nasrallah. »Palästinensische Gruppen, die Hizbollah und der Iran wollen zurzeit alle den Druck auf Israel erhöhen und nutzen die Ereignisse auf dem Tempelberg zu diesem Zweck aus«, so Zehavi. Das habe auch etwas damit zu tun, dass Israel aufgrund des innenpolitischen Konflikts um die geplante Justizreform von seinen Feinden als geschwächt wahrgenommen werde.

Die von der Regierung Netanyahu geplante Umgestaltung der Judikative hat in Israel in den vergangenen Monaten zu zahlreichen Massendemonstrationen, einem Generalstreik und auch Protesten innerhalb der Armee geführt. Soldaten kündigten an, den Dienst zu verweigern, sollte die Reform durchkommen. Auch die angekündigte und dann nicht vollzogene Entlassung Gallants dürfte als Zeichen der Schwäche gewertet worden sein. Bei den jüngsten Operationen der Streitkräfte in Reaktion auf die derzeitige Welle der Gewalt traten allerdings alle Soldaten zum Dienst an.

In einer Rede Anfang März hatte Nasrallah gesagt, Israel stehe wegen des Konflikts um die Justizreform am Rande des Zusammenbruchs. Eineinhalb Wochen später kam es im Norden Israels zu einem Sprengstoffattentat, das nach Einschätzung der israelischen Armee von einem Terroristen aus dem Libanon begangen worden war, der möglicherweise der Hizbollah angehöre.