Dorothy Thompson sieht den Diktator als die Verkörperung des kleinen Mannes

Close-up Hitler

Dorothy Thompson wurde in der englischsprachigen Publizistik berühmt als »die Frau, die Hitler interviewte«. Mit Verspätung erscheint ihr Interview-Essay »I Saw Hitler« von 1932 vollständig auf Deutsch. Darin warnt sie vor dem Antisemitismus der Nazis. Später ließ die Starreporterin die Juden im Stich.

Dorothy Thompson erledigte Hitler mit einem Wimpernschlag. Sieben Jahre hatte sie ihn nicht aus den Augen gelassen und immer wieder versucht, ihn zu treffen. 1932 war es so weit. Die US-amerikanische Korrespondentin wurde eingeladen, Adolf Hitler, dessen NSDAP in den vergangenen Jahren rasant gewachsen war, im Hotel Kaiserhof in Berlin zu interviewen.

Die Begegnung schilderte sie in der aufsehenerregenden Reportage »I Saw Hitler«. Das Intro sollte berühmt werden. Großartig geschrieben, enthält es eine Aussage, die man Thompson später als Fehleinschätzung ankreiden sollte, obgleich sie gerade die Paradoxie der Karriere Hitlers und die Psychologie des Faschismus erfasst: »Als ich Adolf Hitlers Zimmer betrat, war ­ich der festen Überzeugung, dem künftigen Diktator von Deutschland zu begegnen. Keine fünfzig Sekunden später war ich mir ziemlich sicher, dass dies nicht der Fall war. So lange dauerte es in etwa, um die verblüffende Bedeutungslosigkeit dieses Mannes zu ermessen, der die Welt in Atem hielt … «

Das Gespräch mit Hitler ist Auftakt und zugleich Kernstück einer dramaturgisch raffinierten Reportage, in der Thompson die politische Lage Anfang der dreißiger Jahre in Deutschland diskutiert. Das Stück erschien zuerst im März 1932 in dem Magazin Hearst’s International Combined with Cosmopolitan unter dem Titel »I Saw Hitler!«. Thompson erweiterte die Reportage für ein Buch, das im selben Jahr unter dem gleichen Titel in dem New Yorker Verlag Farrar and Rinehart veröffentlicht wurde.

Klar benannte Dorothy Thompson den Antisemitismus als die treibende Kraft für das Erstarken der nationalsozialistischen Ideologie.

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