Aggressive Kicks
Eigentlich war es eine sportlich nur mäßig bedeutende Partie, die sich Mitte April in Frankfurt am Main zutrug: Die zweite Mannschaft der TSG 51 Frankfurt traf in der elften Liga auf den 1. Rödelheimer FC. Dass es nicht um allzu viel ging, hielt einen Akteur der Gastgeber nicht davon ab, dem Schiedsrichter plötzlich mit der Faust ins Gesicht zu schlagen. Das Sportgericht verhängte daraufhin eine Sperre von 28 Spielen, fast eine gesamte Saison lang darf der Täter also nicht eingesetzt werden.
Anfang Mai drohte, wiederum in Frankfurt, ein 48jähriger Mann dem erst 15jährigen Unparteiischen nach einem Kreispokalendspiel von Zwölf- bis 14jährigen: »Ich köpfe dich. Ich ficke deine Mutter.« Sein Sohn spielt bei dem Verein, der das Finale verloren hatte. Der Klub reagierte umgehend: »Wir haben den Vater sofort vom Platz geholt und für unsere eigene Anlage Hausverbot und Betretungsverbot ausgesprochen«, sagte der stellvertretende Vorsitzende.
Ebenfalls in der hessischen Metropole gab es am Pfingstwochenende sogar einen Todesfall beim Fußball: Bei einem internationalen Jugendturnier hat ein 16jähriger Spieler aus dem französischen Metz einen ein Jahr jüngeren Gegner aus Berlin während einer Schlägerei auf dem Spielfeld so schwer am Kopf verletzt, dass das Opfer im Krankenhaus für hirntot erklärt wurde. Einige Tage später stellten die Ärzte die Maschinen ab. Der mutmaßliche Täter befindet sich in Untersuchungshaft.
Das jüngste Lagebild des DFB zum Amateurfußball in der Saison 2021/2022 weist 911 Spielabbrüche wegen Gewalt- und Diskriminierungsvorfällen aus – ein Höchststand, seit die betreffenden Daten erhoben werden.
Vor allem dieser Vorfall, über den bundesweit in den Medien berichtet wurde, hat für großes Entsetzen gesorgt und eine Diskussion über Gewalt im Amateurfußball entfacht. Aber auch die sich häufenden Angriffe auf Schiedsrichter waren zuletzt immer wieder ein Thema. Zugleich führen selbst gravierende Ereignisse wie der Tod des 15jährigen Fußballers in Frankfurt nicht zu Verhaltensänderungen. Prügeleien auf dem Spielfeld, Attacken auf Unparteiische, Spielabbrüche – all das fand auch nach dem fatalen Angriff statt.
»Das schockt mich, weil doch jetzt der Moment gekommen ist, wo sich alle die Hände reichen müssten im Gedenken«, sagte Ronny Zimmermann, der für den Amateurfußball zuständige Vizepräsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), der FAZ. Das jüngste Lagebild des DFB zum Amateurfußball in der Saison 2021/2022 weist 911 Spielabbrüche wegen Gewalt- und Diskriminierungsvorfällen aus – ein Höchststand, seit die betreffenden Daten erhoben werden. Hinzu kommen 2 399 Angriffe auf Schiedsrichter, die im Spielbericht gemeldet wurden – ebenfalls so viele wie noch nie, und die Dunkelziffer dürfte noch deutlich höher sein.
Hat der Fußball also ein spezielles Gewaltproblem? Zumindest nach dem Todesfall in Frankfurt bezogen in der Stadtverordnetenversammlung vertretene Parteien Stellung. Die Partei Volt etwa hat Versäumnisse von Vereinen und Fußballverbänden ausgemacht und regt an, Trainer und Vereinsbetreuer besser in Konfliktmanagement, Erster Hilfe und dem richtigen Umgang mit Notrufen zu schulen. Die Frankfurter Grünen hätten von den Verbänden, der Stadt und anderen gerne »schnellstmöglich Vorschläge gegen Gewalt auf Fußballplätzen«, die so rasch wie möglich umgesetzt werden müssten, schrieben sie in einer Presseerklärung. Außerdem müsse weiter »in Fair-Play-Kampagnen investiert werden«. Das Sportamt solle allen Clubs die »Frankfurter Erklärung gegen Gewalt im Fußball« aus dem Jahr 2013 erneut ins Bewusstsein rufen, die unter anderem von der Stadt, dem Hessischen Fußballverband sowie der Schiedsrichtervereinigung verabschiedet und ein Jahr später von den Frankfurter Fußballvereinen bestätigt worden sei. Weiter schreiben die Grünen: »Neben der Gewaltpräventionsarbeit müssen bei jeglicher Art von Übergriffen unmissverständliche Grenzen aufgezeigt und Sanktionen verhängt werden.« Der Sportkreis Frankfurt, die Dachorganisation aller Turn- und Sportvereine, hat nun zu einem Runden Tisch eingeladen.
DFB-Vizepräsident Ronny Zimmermann räumt in der FAZ unumwunden ein: »Es hat sich da ein Verhalten etabliert, das nicht hinzunehmen ist.« Gleichzeitig wehrt er sich dagegen, wenn zu schnell »mit dem Finger auf den Fußball und die Verbände gezeigt wird«. Die Ursachen lägen viel tiefer, nämlich in der Gesellschaft: »So wie die Leute in sozialen Medien und auf der Straße hochaggressiv und egoistisch miteinander umgehen, so geht es dann auch auf dem Fußballplatz zu«, wo sich wie in keinem anderen Sport die gesamte Gesellschaft in ihrer Vielfalt widerspiegele, so Zimmermann. Es müsse daher »einen mind change, ein ganz fundamentales Umdenken« geben, »das im Kindergarten anfängt, über Schule und Elternhaus und auch Vereine und alle gesellschaftlichen Akteure wieder zu einem vernünftigen Umgang miteinander führt«.
Tatsächlich spiegeln sich im Fußball seit jeher gesellschaftliche Entwicklungen wider, doch der Fußball kann Probleme nicht lösen, die ganz woanders ihren Ursprung haben. Gleichzeitig sind die Verbände keineswegs so passiv, wie es die Appelle an sie oft suggerieren, sie haben einiges zur Bekämpfung der Gewalt unternommen. So wurde beispielsweise in jedem Landesverband des DFB eine Anlaufstelle für Gewalt- und Diskriminierungsvorfälle eingerichtet, es gibt regelmäßige Fair-Play-Kampagnen und eine Broschüre zum Erkennen von rechtsextremistischen Symbolen, Codes und Diskriminierungsformen, die beispielsweise dem Ordnungspersonal in den Stadien ausgehändigt wird.
Tatsächlich spiegeln sich im Fußball seit jeher gesellschaftliche Entwicklungen wider, doch der Fußball kann Probleme nicht lösen, die ganz woanders ihren Ursprung haben. Gleichzeitig sind die Verbände keineswegs so passiv, wie es die Appelle an sie oft suggerieren.
Präventiv arbeiten die Landesverbände unter anderem durch Schulungen, Workshops, Mediationen und Konflikttrainings, es gibt zudem ein flächendeckendes Monitoring von Gewalt- und Diskriminierungsvorfällen, das in den jährlichen Lagebildern ausgewertet wird. Darüber hinaus wurde im März das »Jahr der Schiris« mit allerlei Maßnahmen ausgerufen, um die Rolle der Unparteiischen zu stärken und dem drastischen Sinken der Anzahl von Schiedsrichtern entgegenzuwirken: Waren vor 15 Jahren bundesweit rund 80.000 Unparteiische im Amateurfußball aktiv, so sind es derzeit nur noch etwa 50.000.
Zugleich darf man nicht vergessen, dass der Amateurfußball nun mal vor allem ehrenamtlich organisiert wird und es nicht einfacher geworden ist, den Spielbetrieb mit seinen Zehntausenden von Spielen pro Wochenende zu gewährleisten. Im Jugendfußball etwa sind etliche Trainer die Eltern, insbesondere Väter, von Spielern; sie haben keine geordnete Ausbildung in den Verbänden absolviert, wo nicht zuletzt die Vorbildfunktion der Übungsleiter und der Respekt vor den Schiedsrichtern als Werte gelehrt werden.
»Bildung schadet nie und durch ihre Lizenzkurse sensibilisierte Trainer würden sicher auch zu mehr Ordnung auf dem Platz beitragen«, sagte DFB-Vizepräsident Zimmermann der FAZ: »Aber wir können im Jugendfußball nicht auf Väter ohne Lizenz verzichten.«
Auch auf die Schiedsrichter, deren Spesensätze nun zumindest in einigen Landesverbänden deutlich angehoben worden sind, kann nicht verzichtet werden. Die Unparteiischen beklagen in Umfragen vor allem die fehlende Wertschätzung seitens der Zuschauer, Spieler und Trainer. Durch mehr Geld wird diese Problematik zwar nicht aus der Welt geschafft. Aber zumindest müssen die Referees dann auch nicht mehr ganz so deutlich das Gefühl haben, für das, was sie ausbaden müssen, auch noch mit ein paar Euro abgespeist zu werden. Es ist ein Anfang.