Die neue Regierung in Berlin will mehr Polizei, Sauberkeit und Ordnung

Kai Wegner und die Hauptstadt des Verbrechens

Die neue schwarz-rote Regierung in Berlin verspricht Recht und Ordnung. Diese Rhetorik kündet nicht von einer konservativen Wende, sondern bemäntelt lediglich, dass die sozialen Missstände wie bisher verwaltet werden.

Berlins Wählerschaft gilt in Deutschland als eher links orientiert – dementsprechend steinig war Kai Wegners (CDU) Weg zum Regierenden Bürgermeister der deutschen Hauptstadt. Es dauerte Jahrzehnte, bis ihn seine Parteikarriere an die Spitze der Berliner CDU gebracht hatte; 2021 wurde die CDU mit dem Spitzenkandidaten Wegner nur drittstärkste Partei, die SPD bildete anschließend eine Regierung mit Grünen und Linkspartei.

Doch Wegner bekam rasch eine zweite Chance. Weil die Wahl derart schlecht organisiert und chaotisch durchgeführt worden war, erklärte sie der Berliner Verfassungsgerichtshof für ungültig. Die Wahl musste wiederholt werden – und nach eineinhalb Jahren unter der linken Regierungskoalition schien sich die Stimmung der Berliner Wahlbevölkerung gedreht zu haben. Zuvor war es in der Silvesternacht außerdem zu Ausschreitungen und Angriffen auf Polizei- und Rettungskräfte gekommen, was Wegner im Wahlkampf ausschlachtete. Bei der Wiederholungswahl am 12. Februar ver­besserte sich die CDU gegenüber 2021 um mehr als zehn Prozentpunkte. Mit 28 Prozent der Stimmen wurde sie stärkste Partei.

Zwar hätte die SPD mit den Grünen und der Linkspartei weiterregieren können, doch die bisherige Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) wollte dieser Koalition offenbar lieber entkommen. Gegen starken ­Widerstand in der eigenen Partei setzte sie ein Bündnis mit der CDU durch. Ende April wurde schließlich Kai Wegner zum Regierenden Bürgermeister gewählt – und Berlin hatte eine deutlich konservativere Regierung als zuvor.

Was linke Kritiker:innen häufig übersehen, ist, dass »law and order« für Konservative oft als Alternative zur Sozialpolitik fungiert.

Im Wahlkampf hatte die CDU versucht, sich vor allem auf dem Feld der inneren Sicherheit zu profilieren. Berlin, so Wegner im Wahlkampf, sei die »Hauptstadt des Verbrechens«. Dagegen solle es eine »Ausrüstungsoffensive« und mehr Befugnisse und Wertschätzung für die Polizei geben, hieß es in einem programmatischen Papier der CDU.

Damit bewegt sich Wegner im üblichen Rahmen konservativer Politik. Linke und liberale Kritiker versuchen oft, Konservative, die solche Forderungen aufstellen, als lediglich verkappte Rechtsextreme darzustellen. So geschah es auch im Falle Wegners. Als Beleg dafür sollte seine Mitgliedschaft in einer Facebook-Gruppe dienen, die im Laufe der Zeit ins Rechtsextreme wanderte.

Auch dass er nach den Krawallen in der Silvesternacht von 2022 auf 2023 die Forderung der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, die Vornamen der Tatverdächtigen öffentlich zu machen, verteidigte, trug zu dieser Wahrnehmung bei. Klar war, dass die CDU darauf hoffte, Hinweise auf den Migrationshintergrund der Tatverdächtigen zu erhalten.

Was linke Kritiker:innen dabei häufig übersehen, ist, dass »law and order« für Konservative oft als Alternative zur Sozialpolitik fungiert. In Zeiten gesellschaftlicher Krisen preisen Konservative eine Form von Sicherheit an, bei der die Entstehungsbedingungen von Reichtum und Armut, die Ursachen sozialer Unsicherheit, nicht angetastet werden müssen.

Auch ignorieren linke Kritiker:innen des jetzigen Senats, die befürchten, dass Giffey und Wegner nun das liberale und bunte Berlin in einen Hort der Spießigkeit und des Autoritarismus verwandeln, dass sich eine Mehrheit der Berliner Wähler:innen für eine schärfere Ordnungspolitik ausgesprochen hat. Denn auch die SPD unter Giffey, die seit 2016 die Senatsverwaltung für Inneres leitete, war und ist keine liberale Bürgerrechtspartei. Im Gegenteil, mit den angeblich gegen die sogenannte Clan-Kriminalität gerichteten regelmäßigen Razzien in Shisha-Bars versucht die SPD schon seit Jahren, sich medienwirksam zu profilieren. Auch im neuen Senat hat die SPD sich den Posten der Innensenatorin gesichert, Iris Spranger behielt dieses Amt.

Dementsprechend ambitioniert sind die Vorhaben, die der Koalitionsvertrag im Bereich »Inneres, Sicherheit und Ordnung« auflistet. Die Berliner »Innenpolitik« soll in den kommenden Jahren die »volle Bandbreite des Dreiklangs Prävention-Intervention-Repression« nutzen, liest man dort. Dazu sollen 1.000 neue Stellen bei Polizei, Feuerwehr und Ausländerbehörde geschaffen werden. Dies soll eine spürbar stärkere Polizeipräsenz auf Berlins Straßen ermöglichen. Die Polizei soll zu Land wie zu Wasser mit neuen Fahrzeugen ausgestattet werden. »Unverzüglich, dauerhaft und flächendeckend« sollen Polizei, Feuerwehr und Ordnungsämter mit Bodycams ausgestattet werden.

Obendrein soll die Polizei mehr Taser bekommen. An »kriminalitätsbelasteten Orten« sollen Kameras zur ­Videoüberwachung installiert werden und »Messerverbotszonen« eingerichtet werden. Eine Ausweitung des Präventivgewahrsams von 48 Stunden auf fünf Tage und die Rechtmäßigkeit des polizeilichen Todesschusses, der sogenannte finale Rettungsschuss, sollen in das Berliner Polizeigesetz, das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG), aufgenommen werden.

Außerdem soll der Einsatz des sogenannten Staatstrojaners ausgeweitet werden, der Handys oder Computer ausspähen hilft. Das ist bei laufenden Polizeiermittlungen freilich schon seit Jahren erlaubt. Auf Nachfrage des Online-Mediums Netzpolitik.org erklärte die Senatsverwaltung für Inneres, geplant sei eine Gesetzesänderung, durch die der Staatstrojaner nicht erst bei Ermittlungen, sondern bereits »zur Verhinderung zukünftiger Straftaten« zum Einsatz kommen kann.

Die Koalitionäre verlautbarten zudem: »Sicherheit und Sauberkeit werden stärker zusammengedacht.« So soll zum Beispiel der Ausbau der Stadtbeleuchtung der Kriminalitätspräven­tion dienen. Von der Verbesserung der Sicherheit von Parkanlagen ist ebenfalls die Rede.

Die Ordnungspolitik des schwarz-­roten Senats orientiert sich offensichtlich an der Broken-Windows-Theorie. Ihr zufolge ziehen kleine Verstöße gegen Sauberkeit und Ordnung oft größere Regelverstöße bis hin zu Verbrechen nach sich. Eine frühzeitige Intervention gegen Vandalismus, Schmutz und Verhalten wie öffentlichen Alkoholkonsum wirke dem entgegen. Die Polizei müsse also nicht nur gegen Kriminalität vorgehen, sondern auf den Straßen Präsenz zeigen und für Sauberkeit und Ordnung sorgen. Die Broken-Windows-Theorie wurde bereits in New York City unter dem damaligen Bürgermeister Rudi Giuliani in den neunziger Jahren adaptiert: Die praktizierte sogenannte zero tolerance war nicht nur eine Reaktion auf hohe Kriminalität und andere soziale Krisen in der Stadt, sondern begleitete auch die Gentrifizierung und Aufwertung innerstädtischer Quartiere.

»Sicherheit und Sauberkeit werden stärker zusammengedacht.« Aus dem Koalitionsvertrag von SPD und CDU in Berlin

Auch in Berlin spricht viel dafür, dass eine ähnliche Entwicklung im Gang ist: Einst arme und migrantische Bezirke wie Kreuzberg und Neukölln haben in den vergangenen 20 Jahren enorme Veränderungen erfahren. Aus ihnen sind begehrte Mittelschichtquartiere geworden. Kriminalität und abweichendes Verhalten sind dort inzwischen eine Gefahr für das Ansehen der Stadt und den Wert der Immobilien. Die ­Polizei geht deshalb insbesondere gegen leicht sichtbare Armutskriminalität vor, wie den Drogenhandel in Parkanlagen.

Einem Teil der Polizei gehen die Vorhaben des neuen Senats noch nicht weit genug. Rainer Wendt, CDU-Mitglied und Vorsitzender der rechts orien­tierten Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), die im Deutschen Beamtenbund organisiert ist, kritisierte in einem Gastbeitrag im Focus, dass besonders Polizist:in­nen, die »nach jahrelangen Demütigungen und Beleidigungen durch rot-rot-grüne Ideologen zur Union gefunden« hätten, von den Vereinbarungen der Koalitionspartner »doppelt frustriert« seien. Denn diese führten im Bereich der Inneren ­Sicherheit weiter die Politik der »rot-rot-grünen Ideologen« fort und stellten einen »Schlag ins Gesicht« für die Polizisten dar.

Besonders stieß Wendt auf, dass das Landesantidiskriminierungsgesetz ­erhalten bleiben soll, das erleichtert, Beschwerde wegen rassistischer Diskriminierung durch die Polizei einzulegen. Ebenso, dass die Berliner Polizeistudie über Diskriminierungen und Rassismus in der Polizei fortgesetzt werden soll. Auch beklagt er einen Passus im Koalitionsvertrag, dem zufolge sich in Zukunft in den Sicherheitsbehörden die »Diversität der Berliner Stadtbevölkerung abbilden« solle.

Hier zeigt sich der Unterschied zwischen rechtem Populismus und konservativer Sachzwangpolitik. Im Gegensatz zu Wendt scheinen Wegner und Giffey verstanden zu haben, dass es dem Ziel der sauberen und ordentlichen Stadt nur zuträglich ist, wenn die Polizei von einem relevanten Teil der Bevölkerung nicht per se als feindliche Instanz abgelehnt wird. Dass es dafür sinnvoll ist, rassistische Diskriminierungen durch die Polizei zu reduzieren, ist den Koalitionären offensichtlich auch klar. Die Verfolgung schwarzer Dealer, die mit dem Verkauf von Gras ihren Lebensunterhalt verdienen, wird wohl dennoch weitergehen.