Anne Niezgodka, Archiv für alternatives Schrifttum, im Gespräch über linke Geschichtsschreibung

»Jede Generation muss eigene Aktionsformen wählen«

Das Archiv für alternatives Schrifttum (Afas) sammelt seit 1986 in Duisburg Zeugnisse der Neuen Sozialen Bewegungen mit einem Schwerpunkt ab den sechziger Jahren. Die Mitarbeiterin und Archivarin Anne Niezgodka sprach mit der »Jungle World« darüber, welchen Nutzen freie Archive für eine linke Geschichtsschreibung haben können.
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Nach welchen Kriterien archiviert und sammelt ihr?
Wir sammeln Dokumente von Gruppierungen, die emanzipatorische Ideen vertreten. Das können unter anderem antikapitalistische, antifaschistische, ökologische oder kommunistische Gruppen sein. Wir archivieren aber auch soziokulturelle Themen, die weniger politisch sind. Zu unserem Archivgut zählen hauptsächlich Papierunterlagen wie Zeitschriften, Broschüren und Flugblätter aber auch interne, einzigartige Unterlagen wie Manuskripte oder Protokolle. Wir sichern aber auch andere Dokumentarten wie Fotos, Audioaufnahmen, Plakate, Buttons und Aufkleber.

Euer Motto lautet: »Werft eure Geschichte nicht weg!« Warum ist der Erhalt linker Geschichte in euren Augen wichtig?
Es gibt ja unheimlich viele Menschen, auch aus der Linken, die sich mit linker Geschichte beschäftigen. Oft berufen sie sich nur auf Sekundärliteratur. Authen­tische Zeugnisse sind für historische Forschung aber immens wichtig. Unterlagen von Neuen Sozialen Bewegungen werden kaum in kommunalen oder staatlichen Archiven aufbewahrt. Zudem wollen manche Gruppierungen ihre Materialien denen auch oft nicht anvertrauen. Deswegen ist es wichtig, dass es unabhängige Einrichtungen gibt, die die originalen Unterlagen bewahren.

Welche Reaktionen bekommt ihr auf eure Arbeit?
Wir erfahren viel positive Resonanz von den Leuten und Gruppierungen, die uns ihre Materialien spenden. Die freuen sich sehr, dass die Sachen nicht in die Tonne geschmissen werden, sondern der Nachwelt erhalten bleiben. Das Archiv wird momentan aber eher von Museen genutzt, die nach Exponaten suchen; oder von Künstler:innen. Während der Covid-19-Pandemie hat die Nutzung vor Ort generell nachgelassen. Wir werden seitdem öfter angefragt, Materialien digital zur Verfügung zu stellen.

Richtet sich das Archiv vor allem an Linke?
Nein, wir sind offen für alle Menschen, die kommen wollen. Meist kommen Menschen aus dem akademischen Bereich oder der künstlerischen Szene zu uns. Politische Gruppen, die zum Beispiel Erkenntnisse für die eigene politische Praxis gewinnen wollen, nutzen das Archiv eher selten.

Ich stelle mir vor, dass junge Linke, die sich noch nicht mit dem Thema beschäftigt haben, bei euch viel über die Geschichte der Linken und über ­so­ziale Bewegungen lernen können. Wie wichtig könnte das für deren eigenen Aktivismus sein?
Jede Generation muss ihre Aktionsformen entsprechend den politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wählen. Diese können sich sehr stark von historischen Beispielen wie aus den späten Sechzigern unterscheiden. Ich glaube, es lassen sich aber auch Konti­nuitäten finden, aus denen sich auch lernen lassen könnte, bestimmte Fehler zu vermeiden. Derzeit könnte es zum Beispiel interessant sein, sich innerlinke Grabenkämpfe anzuschauen und zu erforschen, was die mit der Schlagkraft einer Bewegung machen. Ich denke aber, dass es für junge Linke auch einfach inspirierend sein kann zu sehen, dass es eine Geschichte von Kämpfen gibt und sie nicht von vorne anfangen müssen.

Archiv für alternatives Schrifttum