Konservative koalieren lieber mit Rechtsextremen, als Steuern zu erhöhen

Einig gegen die Sozialdemokratie

Die Europäische Union schwenkt nach rechts. In sechs von 27 EU-Mitgliedstaaten sind rechtsextreme Parteien bereits an der Regierung beteiligt, nämlich in Finnland, Lettland, Polen, Ungarn, Slowakei und Italien.
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Als die Österreichische Volkspartei (ÖVP) unter der Führung Wolfgang Schüssels im Jahr 2000 mit Jörg Haiders rechtspopulistischer FPÖ eine Koalition einging, war das ein Skandal. Die 14 anderen seinerzeit zur EU gehörigen Staaten beschlossen, ihre diplomatischen Beziehungen zur konservativ-rechtspopulistischen Regierung einzuschränken. Auch Israel, Kanada und Norwegen reagierten verstimmt und drosselten den freundschaftlichen Austausch mit Österreich. Schüssel und Haider wussten das für sich zu nutzen, indem sie diese sanften diplomatischen Reaktionen zu »EU-Sanktionen« aufbauschten und jenes Stück aufführten, das bei Rechtswählern immer besonders gut ankommt: »Wir gegen die, alle gegen uns.«

In Österreich überschätzt man sich gerne, weswegen viele Kritiker:innen der ÖVP-FPÖ-Koalition diese zu jenem Tabubruch hochstilisierten, der zum heute zu beobachtenden Verlust der bürgerlichen Scham, sich mit rechtsextremen Rabauken zusammenzutun, geführt habe. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA der Katalysator war, der den Prozess der politischen und moralischen Verluderung des Bürgertums global beschleunigte.

Die Kollaboration mit rechten autoritären Parteien stellen Bürgerliche inzwischen gerne als eine Art Opfer dar, das sie edelmütig zu erbringen bereit sind, um vermeintlich Schlimmeres zu verhindern. Gemeint sind damit sozialdemokratische Parteien, die darauf beharren, die Armen und Schwachen dürften den Preis für die multiplen Krisen nicht allein zu zahlen haben. Bevor ein aufrechter Bürgerlicher hinnimmt, dass die Steuern für Reiche auch nur um ein Prozent erhöht werden, billigt er lieber, dass Kabinettsposten an extreme Rechte verteilt werden.

Der zugkräftigste Appell der Rechtsextremen an die niedrigen Instinkte der Wähler:innen ist nicht, dass es zu viele Menschen anderer Hautfarbe gebe, sondern dass jemand »auf unsere Kosten« lebe.

Ein weiteres Motiv für Konservative, im Zweifelsfall eher mit Rechtsextremen zu koalieren als mit Sozialdemokraten, Grünen oder anderen Demokrat:innen, ist ein höchst persönliches: In vielen Staaten haben Konservative und ihre Klientel dermaßen viele Korruptionsverfahren über ihren Häuptern schweben, dass der einzige Ausweg die Zerstörung der liberalen Demokratie samt ihres lästig gewordenen Rechtsstaats und ihrer Gewaltenteilung zu sein scheint. Wenn im Herbst 2024 in Österreich der Nationalrat gewählt wird, wird es mit großer Wahrscheinlichkeit wieder eine ÖVP-FPÖ-Koalition geben, und in Ungarn hat der ehemals liberale Viktor Orbán das Land bereits in eine »illiberale Demokratie« verwandelt.

Ob die Konservativen in solchen Allianzen den Ton angeben oder, wie in Italien, Juniorpartner in einer postfaschistischen Regierung werden, scheint ihnen egal zu sein, solange es ihnen ermöglicht, dem Zugriff der Justiz zu entrinnen und Versuche zu vereiteln, Vermögen und Steuerlast gerecht zu verteilen. Einige Vertreter des aufgeklärten urbanen Konservatismus stören sich daran, wenn derart grundlegende ethische Normen aufgegeben werden, die Masse der konservativen Wähler:innen und die Partei-spender:innen hingegen sind damit höchst zufrieden.

Der Aufstieg rechtsextremer Parteien in Europa liegt natürlich nicht nur an der Anbiederung christdemokratischer Politiker. Auch reicht es nicht, einzelne Faktoren wie verstärkte Migration als mögliche Ursache dieses Aufstiegs zu deuten. Xenophobie ist nur ein Affekt, aus dem die rechtsextremen Demagogen virtuos politisches Kapital schlagen. Der erste politische Akt der Regierung von Giorgia Meloni in Italien war nicht eine Verschärfung des Ausländerrechts, sondern die Abschaffung einer sozialen Grundsicherung, die die Vorgängerregierung auf Betreiben der Fünf-Sterne-Bewegung eingeführt hatte. Der zugkräftigste Appell der Rechtsextremen an die niedrigen Instinkte der Wähler:innen ist nicht, dass es zu viele Menschen anderer Hautfarbe gebe, sondern dass jemand »auf unsere Kosten« lebe.

In diesem Weltbild hat nur Existenzberechtigung, was ausbeutungsfähig ist, seien es Menschen, Tiere oder Ökosysteme. Die nach rechten Vorstellungen ideale Gesellschaft hat keinen Platz für jene, die sich nicht ausbeuten lassen oder die nicht in der Lage sind, ihre Körper zur Ausbeutung herzugeben. Daher wettern rechtsextreme Propagandakanäle in den sozialen Medien gegen »Sozialschmarotzer«, die auf Kosten der »Fleißigen« leben würden, wobei dieser Vorwurf gegen »Fremde« gleich generell erhoben wird. Daher auch das Dauerfeuer gegen angebliche Eliten, die sich einen faulen Lenz machten (oder gar in geheimen Ritualen Kinder schändeten und deren Blut tränken). Am ehesten findet man derlei Verhalten bei denen, die es anderen unterstellen: Nirgendwo gibt es so viel Bereicherung an öffentlichen Mitteln und so viel sexuelle Übergriffigkeit (man denke an Berlusconi und Trump) wie unter rechten Hetzern. Deren Wähler wollen, ob bewusst oder unbewusst, auch so leben. Was sie anderen vorwerfen, möchten sie ausleben, und das ist angesichts der Vorwürfe beängstigend.