CDU-Politiker fordern Abschiebungen nach Eritrea

Zurück in die Folterdiktatur

Nach den Auseinandersetzungen zwischen eritreischen Oppositionellen und Regierungsanhänger:innen in Stuttgart fordern CDU-Politike­r:in­nen die Abschiebung der Beteiligten.

Im letzten Moment kam doch noch eine Absage. Am Samstag voriger Woche hätte eigentlich eine Veranstaltung des Verbands der eritreischen Vereine in Stuttgart stattfinden sollen. Erst wenige Tage vorher hob die Stadt den Mietvertrag für die Versammlungshalle auf, in der die Veranstaltung geplant war. Es habe sich um eine »Entscheidung im Interesse der öffentlichen Sicherheit« gehandelt, teilte die Stadt mit. Johannys Russom, der Vorsitzende des Zentralrats der Eritreer, sagte dem SWR, die Veranstaltung sei nur »aufgeschoben«.

Eine Woche zuvor, am 16. September, war es bei einer ähnlichen Veranstaltung wie der nun abgesagten im Stuttgarter Stadtteil Bad Cannstatt zu schweren Ausschreitungen gekommen. Die Veranstalter hatten ein »Eritrea-­Seminar« angekündigt, ihnen zufolge handelte es sich um ein ganz normales Bildungs- und Kulturangebot. Vor allem eritreische Regime­geg­ner:in­nen kritisierten jedoch, dass dort Propaganda für den seit 1993 regierenden eritreischen Diktator Isaias Afwerki verbreitet werden sollte.

Als der Konflikt zwischen den Veranstaltern und Gegendemonstranten am vorvergangenen Wochenende eskalierte, wurden der Polizei zufolge 26 Polizeibeamte verletzt, es kam zu 228 Festnahmen. Der Stuttgarter Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) forderte danach eine harte und schnelle Bestrafung der Täter. Alles andere würde »das Vertrauen weiter Teile der Bevölkerung in die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats aufs Spiel« setzen. Das Land Baden-Württemberg müsse sich außerdem für die Abschiebung von Straftätern nach Eritrea einsetzen.

Damit steht Nopper nicht allein. Außer AfD-Politiker:innen verlangt auch sein Parteifreund Manuel Hagel, Fraktionsvorsitzender im Landtag von Baden-Württemberg, »sofortige Ausreisen«, Wiedereinreisesperren und, wenn nötig, eine Verschärfung des Aufenthaltsgesetzes. Er nutzte die Krawalle außerdem, um im Landtag »eine 180-Grad-Wende in der deutschen Mi­grationspolitik« zu fordern.

An den Grenzen Eritreas werden Menschen beschossen, um sie an der Flucht zu hindern.

Marion Gentges (CDU), die Landesministerin der Justiz und für Migration, will ganz grundsätzlich die Frage diskutieren, ob man »bei schwersten Straftaten« – gemeint sind in diesem Fall nicht Mord oder Totschlag, sondern Landfriedensbruch und Körperverletzung – nicht den »Schutz für entsprechende Straftäter etwas absenkt«. Bislang erlaube Eritrea keine unbegleiteten Rückführungen mit Linienmaschinen, monierte die Gentges im Gespräch mit dem SWR. Begleitete Rückführungen – also Abschiebeflüge, die von deutschen Polizeibeamten überwacht werden – verhinderten die eritreischen Behörden, indem sie ihren Staatsbürgern keine Pass-Ersatzpapiere ausstellten. Deshalb brauche es nun das entschlossene Handeln des Bundes und auch der Europäischen Union, »um diesen Widerstand zu brechen«, so die Ministerin.

Ein entscheidendes Hindernis für Abschiebungen nach Eritrea ist jedoch gerade der Rechtsstaat, den Politiker wie Nopper durch hartes Durchgreifen angeblich schützen wollen. Das Auf­enthaltsgesetz untersagt es, eine Person abzuschieben, wenn ihr im Zielstaat »eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit« droht oder ihr Leben oder ihre Freiheit wegen ihrer »politischen Überzeugung bedroht ist«. Deshalb haben praktisch alle der 5.694 eritreischen Staatsangehörigen in Baden-Württemberg entweder Flüchtlingsstatus oder stehen unter subsi­diärem Schutz. Rund 200 seien zwar ausreisepflichtig, doch seien Abschiebungen »sowohl aus rechtlichen als auch aus tatsächlichen Gründen nicht möglich«, teilte das Landesjustizministerium der Wochenzeitung Kontext mit.

Seit 2013 veröffentlichen die Vereinten Nationen Sonderberichte zur Menschenrechtslage in Eritrea und stellen dabei regelmäßig schwerste Verstöße fest. Neben dem unbefristeten Militärdienst für beide Geschlechter und staatlich verordneter Zwangsarbeit wird dort aufgeführt, dass regelmäßig Gegner:innen der Einparteiendiktatur »verschwinden« und Todesurteile ohne Gerichtsprozess vollstreckt werden. An den Grenzen werden Menschen beschossen, um sie an der Flucht zu ­hindern. Dennoch machen sich, wie der Bericht erwähnt, sogar Siebenjährige unbegleitet auf die lebensgefährliche Reise. Wer geht, gilt als Verräter und muss bei einer Rückkehr ins Land erst eine Erklärung unterzeichnen, der ­zufolge man die Verletzung nationaler Pflichten bereut und »angemessene Maßnahmen« akzeptieren wird, um Gerechtigkeit wiederherzustellen.

Es ist bereits in mehreren westlichen Städten zu Krawallen zwischen An­häng­er:innen und Gegner:innen des Regimes gekommen: Schon zweimal im hessischen Gießen, zudem in Opfikon bei Zürich, in Stockholm, Seattle, Toronto und, besonders heftig, in Tel Aviv mit 150 teils Schwerverletzten.
Dabei tritt auch ein Generationenkonflikt zutage. Die Jüngeren lehnen die Herrschaft von Präsident Afwerki überwiegend ab. Dieser regiert seit 30 Jahren ohne Wahlen. Seiner Diktatur war ein ebenfalls 30 Jahre währender Krieg vorangegangen, in dem Eritrea die Unabhängigkeit von Äthiopien ­erkämpfte.

Nach Einschätzung der Eritrea-Expertin Nicole Hirt haben vor ­allem ältere Eritreer:innen, die noch vor Afwerkis Machtergreifung nach Deutschland geflüchtet sind, ein positiveres Bild von seinem Regime. Sie hätten damals große Hoffnungen mit der Unabhängigkeit verbunden. Die ­regierungsnahen Vereine in Deutschland seien deshalb fast ausschließlich in dieser Alterskohorte beliebt. Die ältere Generation habe »größtenteils ein inzwischen völlig verklärtes Bild« von dem, »was in Eritrea wirklich vor sich geht«.