Der Auschwitz-Prozess im Serienformat und die Frage nach der Abbildbarkeit der Shoa

Miniserie »Deutsches Haus«: Der Abgrund blickt nicht mehr zurück

Der Auschwitz-Prozess inmitten der Trübnis einer postfaschistischen BRD: Die Miniserie »Deutsches Haus« überzeugt mit ihrer dekonstruktiven Erzählweise und nutzt das Format für die Vergegenwärtigung schuldhafter Vergangenheit. Debatten wird die Serie nicht auslösen, vorzuwerfen ist es ihr aber nicht.

Es ist das Metakonzept der nicht mehr gar so neuen Seriendramaturgie, das genreübergreifend funktioniert: Figuren werden möglichst effektreich eingeführt und ihre Beziehungen zueinander entlang eines Hauptstrangs der Handlung entwickelt; dann wird nach und nach klar, dass all diese Figuren – die eine mehr, die andere weniger – nicht sind, was sie zu sein scheinen, ein dunkles Geheimnis pflegen oder in der Vergangenheit eine ganz andere Rolle gespielt haben, als sie jetzt vermuten lassen.

Auch die Beziehung untereinander werden hin- und hergewendet, man wird sie immer wieder in anderem Licht sehen, der Handlungsstrang revoltiert gleichsam gegen sich selbst. Mit jedem neuen Twist der Handlung werden Ereignisse und Charaktere anders interpretiert, oft wechseln sogar die Genres oder erzählerischen Tonlagen. Das mehrdimensionale Wachstum einer solchen Erzählmaschine kann sich mehr oder weniger ewig fortsetzen, aber ebenso gut abrupt zerstört werden (aufgrund mangelnden Zuspruchs beim Publikum oder durch schiere Produktionswillkür). Es gibt jedenfalls weder einen eindeutigen Anfang noch gar ein eindeutiges Ende. Eine solche Erzählweise hat notwendig Züge der Postmoderne, der Nonlinearität und der Dekonstruktion, um es hochtrabend zu sagen.

Die Fernsehserie »Deutsches Haus« funktioniert nach den informellen Codes dieser Erzählweise: Figuren und ihre Beziehungen werden eingeführt; sie selbst oder ihre Umwelt oder der Fortgang der Handlung zwingen sie dazu, das Wesen ihres Charakters und ihrer Beziehungen neu zu sehen oder sehen zu lassen. Dass diese Erzählweise durchaus geeignet ist, historische, politische oder soziale Systeme widerzuspiegeln, zeigen insbesondere einige der erfolgreicheren Serien aus den USA, die das Werden der modernen Gesellschaft (wie in Neo-Western à la »Yellowstone« oder »Longmire«), das Interagieren von Soziotopen (»The Wire«) oder das Funktionieren spezieller Subsysteme von Politik und Ökonomie (»Mad Men«, »House of Cards«, »Nashville« et cetera) wiedergeben.

Es sind die Geschichten dreier deutscher Familien zu Beginn der sechziger Jahre, in die nicht nur die Schatten der Vergangenheit, sondern auch die Konflikte der Modernisierung ragen.

Man kann diese Erzählweise als kritisch-dekonstruktiv ansehen; allerdings birgt sie auch die Gefahr postmoderner Beliebigkeit: Es werden mehr Bälle in die Luft geworfen, als man je wieder auffangen kann. Droht die Erzählmaschine zu stocken, führt man ihr neue Energien zu. Es gibt Serien dieser Art, die mit brillanten Eingangsideen aufwarten, um dann in obskurer Willkür zu enden. Vor allem aber, und das macht diese Erzählweise so interessant, muss man sich hier nicht an klassische Erzählfiguren wie »Held« und »Schurke« oder »Hauptfigur« und »Nebenfigur« halten, was einen moralischen und einen semantischen Aspekt aufweist. Das Prinzip von Identifikation und Abwehr wird durchbrochen.

Die Vergangenheit von Nationalsozialismus und Holocaust

»Deutsches Haus« ist die erste nach diesem Erzählprinzip funktionierende Serie, die sich mit der Vergangenheit von Nationalsozialismus und Holocaust beschäftigt. Es lassen sich damit die Beschränkungen klas­sischer Spielfilm-Plots wie bei »Schindlers Liste« (1993) oder der Dramaturgie einer Miniserie mit Soap-Elementen wie bei »Holocaust« (1978) überwinden, vielleicht auch die Fallen der Vereinfachungen und der Stereotype umgehen, aber man kann damit auch in die Falle der endlosen Selbstreferenz und Verflechtung der Erzählebenen tappen.

»Deutsches Haus« weist viel von den Stärken der seriellen Erzählweise auf, bestätigt aber auch einige ­ihrer Macken. Die Einführung der Figur, die durch ihre Verbindung mit allen anderen die Entwicklung vorantreibt, zugleich Handelnde, Zeugin und auch wieder Opfer, erfolgt auf denkbar effektvolle Weise: Eva Bruhns (Katharina Stark), eine junge Frau im Jahr 1963 in der immer noch von Kriegsspuren gezeichneten Stadt Frankfurt am Main, steht da im Schneegestöber. Es ist kalt in Deutschland, und Eva ist viel zu luftig be­kleidet. Hinter ihr das elterliche Heim, die Gaststätte »Deutsches Haus«, darüber die Wohnung der Familie.

Die Mutter ruft noch hinaus, sie solle wenigstens ihren Mantel anziehen: »Du holst dir noch eine Lungenentzündung. Du wirst noch an meine Worte denken.« Eva wartet auf ihren Verlobten und hofft wie der Rest der Familie darauf, dass der wohlsituierte Jürgen Schoormann (Thomas Prenn) ihr einen Heiratsantrag machen wird. Auf dem Fahrrad fährt ein Mann vorbei, einen Tannenbaum für das bevorstehende Weihnachtsfest transportierend.

Schnitt auf den Flughafen und das damals moderne Empfangsgebäude. Mercedes-Limousinen warten aufgereiht, um die Passagiere abzuholen. Ein Mann aus Polen steht da, ein wenig verloren. Und verloren ist auch der Mann, der ihn in die Stadt bringen soll und kein Polnisch versteht.

»Ich hatte gar keine Schuld«

Im Haus der Familie Bruhns ist der Tisch gedeckt. Auch eine andere deutsche Familie versammelt sich um einen gedeckten Tisch – so luxuriös, dass man zunächst gar nicht bemerkt, wo man sich befindet, nämlich in einer Haftanstalt. Die Tochter hat dem Vater etwas zu beichten, einen Schaden am Automobil. Aber gleich wird klar: »Ich hatte gar keine Schuld.« Der Trinkspruch dieser deutschen Familie: »Wo wir sind, ist oben.« Und »wenn der Prozess zügig über die Bühne geht«, wird der Vater in sechs Wochen wieder daheim sein und die Familie zum gewohnten Skiurlaub aufbrechen können. Es ist die Familie von Wilhelm Boger (­Heiner Lauterbach), dem Adjutanten des Au­schwitz-Kommandanten Rudolf Höß. Boger war berüchtigt für seine sadistischen Folterungen, seine Lust am Quälen der Häftlinge, seine Morde.

Die drei Konstellationen werden nun miteinander verbunden. Eva wird als »Europa-Sekretärin« und Dolmetscherin aus dem Polnischen zunächst für den Empfang der Zeuginnen und Zeugen, dann auch für den Prozess selber herangezogen. Es ist der erste Frankfurter Auschwitz-Prozess, der am 20. Dezember 1963 im »Römer« beginnt. Zum ersten Mal befasst sich ein deutsches Gericht mit den Verbrechen des Holocaust. Angeklagt sind 23 Mitglieder der Lagermannschaft des Vernichtungslagers, unter ihnen Stefan Baretzki, Emil Bednarek, Wilhelm Boger und Robert Mulka.

Der Prozess wurde möglich durch die eindeutigen Belege von Erschießungslisten, die dem hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (Thomas Bading) zugespielt worden waren. Eine Mehrheit der Deutschen, so viel wird schon in diesen Tagen eruiert, ist gegen den Prozess; viele Menschen, und so auch Eva, haben weder in ihren Familien noch in den öffentlichen Diskussionen etwas darüber erfahren, was in Auschwitz geschah. Der Erfahrungs- und Erkenntnisprozess, den Eva durchmacht, soll auch der sein, der einem Zuschauer, einer Zuschauerin des Jahres 2023 möglich ist.

Der historische Auschwitz-Prozess ist vielleicht der Beginn dessen, was man später »Aufarbeitung« oder auch »Erinnerungskultur« nennen wird.

Der historische Auschwitz-Prozess ist vielleicht der Beginn dessen, was man später »Aufarbeitung« oder auch »Erinnerungskultur« nennen wird. Weil es Dokumentation und Öffentlichkeit gibt, wird nicht nur im Gerichtssaal das bis dahin funktionierende Schweigegebot gebrochen, sondern auch in den Medien, in den Fabriken, in den Behörden, in den Schulen, vor allem aber, und davon handelt ein wesentlicher Teil dieser Serie, in den Familien.

Was Eva im Gerichtssaal erfährt, das trägt sie in ihre Familie, in der jeder auf seine Weise mit dem Schweigegebot umgeht. Nach und nach offenbart sich auch eine persönliche Verstrickung zwischen der Familie Bruhns und der des Auschwitz-Offiziers, aber auch eine Hintergrundgeschichte aus der Familie von Evas Verlobtem Jürgen, dessen Vater, ein erfolgreicher Unternehmer, an Demenz erkrankt ist. So viele Menschen erscheinen in diesem Umfeld, so viele Möglichkeiten auch, das Vergangene zu verdrängen, vor der Erinnerung zu fliehen, Schuld zu leugnen.

Es sind also die Geschichten dreier deutscher Familien zu Beginn der sechziger Jahre, in die nicht nur die Schatten der Vergangenheit, sondern auch die Konflikte der Modernisierung ragen – von der Waschmaschine, die der Mutter eine Freiheit verspricht, mit der sie nichts anzufangen weiß, bis zum beginnenden Wandel der Sexualmoral, begleitet von der frühen Musik der Beatles und der Rolling Stones. Zugleich ist »Deutsches Haus« die in Teilen dokumentarische Wiedergabe des Auschwitz-Prozesses, unter Verwendung von Dokumenten und Protokollen, gespiegelt in längeren Einstellungsfolgen, die ein genaues Zuhören ermög­lichen.

Schließlich gibt es in der vierten und vorletzten Folge der Serie, in der es um einen Lokaltermin auf dem Gelände des ehemaligen Vernichtungslagers Auschwitz geht, einen noch radikaleren Bruch mit den Erzählkonventionen: Der Film hält inne. Er schweigt für eine Minute, die sich, nicht nur für Fernsehredaktionen, auch ewig anfühlen kann.

Verbindung von Geschichte und Psyche

Der lineare Fortgang des Prozesses und der nicht unbedingt lineare Prozess der Zersplitterung der Familien und die teils bewussten, teils psychotischen Reaktionen auf den Bruch des Tabus sind miteinander verknüpft, gelegentlich auch durch metaphorisch verdichtete Szenen. Zum Beispiel wenn Evas kleiner Bruder, der mit seiner Schleuder einen Spatzen tötet, schuldbewusst-unaufrichtig fragt, ob auch Tiere in den Himmel kommen. Leitmotive sind Szenen am Esstisch, aber auch wiederkehrende Hinweise auf emotionale und nicht zuletzt sexuelle Blockaden.

Diese Verbindung von unumstößlicher, grausamer Geschichtswahrheit vor Gericht und in aller Öffentlichkeit und soziologisch-kultureller Fiktion in den Familien, präzis zwar im Ausstattungsdetail und in den Sprechweisen, aber eben doch reduziert und gelegentlich bis an die Grenzen des Plakativen verdichtet, machen den Reiz und den eigentlichen Erkenntnisgewinn der Serie aus. Es geht nicht nur darum, was da an Schrecken zutage kam, von dem die Angeklagten mit arroganter Beharrlichkeit behaupten, nichts gewusst zu haben, es geht auch um ihre Verarbeitung in den Familien und in den Milieus, für die das »gutbürgerliche« Wirtshaus der Bruhns ein ideales Modell abgibt. Es ist spürbar, dass die Autorin Annette Hess dabei auf Erfahrungen und Vorbilder aus der eigenen Familie zurückgegriffen hat.

Und doch hat diese Verbindung von Geschichte und Psyche ihren Preis. Jede Figur muss für eine Haltung, eine Strategie, einen Konflikt stehen, ist zugleich Wesen und Modell; jede Handlung und jeder Dialogsatz ist Teil einer Aufstellung und Teil einer ­Diagnose, Teil einer »Entlarvung«. Wenn, nur zum Beispiel, Jürgen Schoormann begeistert die Entwicklung eines elektrischen Eierköpfers vorstellt und sein Vater ­Walther (Henry Hübchen) erkennt: »Das ist Schrott, wenn es vom Band kommt«, hat man die Kurzfassung des Wirtschaftswundermärchens und des »Konsumkapitalismus« vor sich.

In ihrer großen Szene wendet sich Iris Berben, die Cohen verkörpert, wohl nicht nur an die Angeklagten, sondern das deutsche Volk, noch allgemeiner: ans Publikum, wenn sie aufschreit: »Davon wollt ihr nichts gewusst haben?«

Über die Zeit hinweg leiden die Figuren auch darunter, dass sie jeweils auf Kontrast hin konstruiert sind: Annegret Bruhns (Ricarda Seifried) will um jeden Preis die fragwürdige Harmonie des von ihrer Schwester Eva hinterfragten Schweigegebots aufrechterhalten. Selbst unter den Zeugen, die Auschwitz überlebten, fallen zuerst die Kontraste von Anklage und Rückzug auf. Für Ersteres steht die Figur der Überlebenden Rachel Cohen. In ihrer großen Szene wendet sich Iris Berben, die Cohen verkörpert, wohl nicht nur an die Angeklagten, sondern das deutsche Volk, noch allgemeiner: ans Publikum, wenn sie aufschreit: »Davon wollt ihr nichts gewusst haben?«

Jeder Charakter, selbst Boger, ist eine Zusammenfassung, ein Modell, und viele der Sätze, die sie sagen, erscheinen so treffend und bedeutend, dass man sie eher auf einer Theaterbühne als im Flow einer Serie verorten würde. Dass die Angehörigen der Angeklagten wie die des SS-Hauptsturmführers Robert Mulka (Martin Horn) vornehm im Hotel »Vier Jahreszeiten« residieren, während die Zeugen in schäbigen Pensionen unterkommen, wo sie auch noch schlecht behandelt und verleumdet werden, ist einer der vielen Verweise, die in ihrer Überdeutlichkeit dann doch im Widerspruch zu der von Hannah Arendt so treffend-erschreckend diagnostizierten Banalität des Bösen stehen. Um zu veranschaulichen, dass es im Faschismus auch um die Struktur der Klassen ging, hätte es ­etwas schärferer analytischer Sichtweisen bedurft. Wenn jede Figur eine Zusammenfassung und Verdichtung darstellt, treten möglicherweise Wesenheiten scharf hervor, die Übergänge und Ränder aber bleiben undeutlich.

Iris Berben als Auschwitz-Überlebende: »Davon wollt ihr nichts gewusst haben?«

Iris Berben als Auschwitz-Überlebende: »Davon wollt ihr nichts gewusst haben?«

Bild:
The Walt Disney Company 2023

Die Entscheidung, nicht der üblichen Dramaturgie des Dokudramas zu folgen, sondern mit den Mitteln der Fiktion auch ins Innere von Figuren und Situationen vorzudringen, unterscheidet »Deutsches Haus« vom üblichen medialen Geschichtsunterricht. Man wird von zwei Seiten berührt, um nicht zu sagen: attackiert, dem Grauen der Prozesswahrheit und dem Grauen der deutschen Nachkriegsfamilie, und beides geht nicht vollständig ineinander auf. Das eine als Erklärung für das andere zu verwenden, stößt immer wieder auf Widerstand und Widerspruch. Erstaunlich genug: Am Ende von »Deutsches Haus« wünscht man sich, dass die Explorationen weitergehen (und tatsächlich lässt der Schluss ein Sequel ohne Weiteres zu).

Dass das Interesse an beiden Sphären kaum nachlässt, auch wenn immer wieder die Konstruktion des Ganzen durchscheint, liegt vor allem am guten Handwerk, von der Autorin und »Showrunnerin« Annette Hess über die Regisseurinnen Randa Chahoud und Isabel Prahl bis zu den Schauspielern (in der ersten Linie die, wie man so sagt, »unverbrauchten« Gesichter, dahinter ein Ensem­ble der alten Hasen und Häsinnen), der Kameraarbeit von Julian Hohndorf und Andreas Köhler und der Ausstattung (Monika Jacobs, Grzegorz Piątkowski, Joanna Pęzińska).

Verzicht auf Rückblenden und eine Visualisierung des Grauens, Bruch mit dem gewohnten Erzähltempo

Es liegt an der Detailliebe, die zu genauerem Sehen und Hören anstachelt, es liegt nicht zuletzt am Engagement aller Beteiligten: Man spürt eine Passion in diesem Projekt, die selten ist in unserer audiovisuellen Kultur. Und es liegt daran, dass einige kluge Entscheidungen getroffen wurden: der Verzicht auf Rückblenden, auf eine Visualisierung des Grauens, der bewusste Bruch mit dem gewohnten Erzähltempo, das Design eines düsteren und im Wortsinn unerleuchteten BRD-Alltags im Kontrast zu den bunten und aufgekratzten Werbe- und Unterhaltungsbotschaften der frühen sechziger Jahre, von denen der Peter-Alexander-Conny-Froboess-Schlager »Verliebt, verlobt, verheiratet« beinahe wie eine Drohung ins Leben der Familie Bruhns tönt, beständige Minibrüche und -entsprechungen in der Erzählung, zum Beispiel wenn Diana Boger (Runa Greiner), die ihrem Vater im Gerichtssaal die Hand gibt, zur Musik von Dionne Warwick (die tatsächlich mit »Anyone Who Had a Heart« im Jahr 1963 einen Hit landete) miterlebt, was ihm vorgeworfen wird und wie er seine Taten verleugnet.

Auch die etwas kühneren Bildentscheidungen erzwingen immer wieder eine andere, nicht gleichgültige Teilhabe, wenn beispielsweise bei der Verlesung des Eröffnungsbeschlusses nichts anderes als ein redender Mund gezeigt wird. Über dem gesamten Prozessgeschehen schwebt dabei förmlich der Lageplan von Auschwitz, dessen juristische Gültigkeit ständig Gegenstand der Verhandlungen ist – noch eine Schicht der Verleugnung und des nicht Leugbaren. Dass nichts gedankenlos ist in dieser Serie, ist ihr großes Verdienst. Dass aber alles gedacht werden muss, alles inszeniert und konstruiert werden muss, zeugt davon, wie schwer es ist, dieser Vergangenheit noch ein Revivre abzutrotzen. Man sieht in diesen deutschen Abgrund, leuchtet hinein, erhellt einiges. Aber der Abgrund blickt nicht mehr zurück.

Interessanter vielleicht als die Serie »Holocaust« oder der Film »Schindlers Liste« selber waren die öffentlichen und auch privaten Debatten, die sie auslösten. »Holocaust« war die Serie, die als großer Aufreger in der BRD wirkte und vielleicht sogar politische Geschichte schrieb.

Man darf die Serie »Deutsches Haus« wohl als gelungen betrachten, soweit ein solches Projekt eben überhaupt gelingen kann, gewissermaßen im Ausnützen alles dessen, was möglich ist in unserer Medien- und Erinnerungskultur und damit, unfreiwillig, im Aufzeigen ihrer Grenzen. Sie steht in einer langen Reihe von Filmen und Serien über den Holocaust im Allgemeinen, die Prozesse gegen etliche der Täter im Besonderen: angefangen mit dem Film »Urteil von Nürnberg« (1961), dem bemerkenswert differenzierten Justizfilm von Stanley Kramer, über die US-amerikanische Serie »Holocaust« im Jahr 1979, weiter mit Giulio Ricciarellis »Im Labyrinth des Schweigens« (2014), in dem es um die Vorgeschichte der Frankfurter Auschwitzprozesse geht und der mit Fritz Bauers Worten beginnt: »Heute wird Geschichte geschrieben.« Fritz Bauer selbst wird in »Der Staat gegen Fritz Bauer« gewürdigt. Dokumentarfilme wie Ilona Zioks »Fritz Bauer – Tod auf Raten« (2010) vervollständigen das Bild dieses außergewöhnlichen Menschen, der allerdings in »Deutsches Haus« nur am Rande erscheint.

Das generelle Problem aber, das nie wirklich gelöst werden kann, bleibt auch bei dieser Serie bestehen: Wie viel Unterhaltung, wie viel Genre und wie viel Identifikationsangebot darf bei einem solchen Stoff eingesetzt werden, und wie viel davon muss verwendet werden, um überhaupt ein Zuschauen zu ermöglichen? Es gibt darauf durchaus rigorose, gar dogmatische Antworten, immer wieder aufscheinend, bei »Holocaust«, bei »Schindlers Liste«, bei »Jacob der Lügner«, bei »Das Leben ist schön« oder »Zug des Lebens«. Filme und Serien, die auf eine jeweils eigene Weise dem Publikum entgegenkommen, weit entfernt von den radikalen filmischen Gesten wie in Alain Resnais’ »Nacht und Nebel«, Marcel Ophüls’ »Hotel Terminus: Zeit und Leben des Klaus Barbie« oder Claude Lanzmanns »Shoah«.

Es bleibt eine Gratwanderung

Eingebettet in Genre- oder eben Post-Genre-Modelle droht das Unerträgliche doch immer wieder erträglich zu werden, weshalb es zu den Vorzügen von Filmen wie »Das Leben ist schön« oder »Zug des Lebens« gehört, dass sie die eigene »Märchenhaftigkeit«, die Leerstellen des Nichtdarstellbaren reflektieren. Das Pro­blem freilich bleibt bestehen: Wird sich ein AfD-Wähler je »Shoah« ansehen, wird sich eine Reichsbürgerin in einen Film zu Ehren von Fritz Bauer verirren? Und andersherum, wenn man es dem Publikum nur so leicht macht wie möglich, wie in einer Unzahl von Filmen, die Shoah, Faschismus und Prozessgeschehen zeigen, die sich leichtfertig in den Erzählgeflechten des Mainstream verheddern, wird es dann gelingen, den Kordon von Gleichgültigkeit und Opportunismus in der Mitte der Gesellschaft zu durchbrechen? So wie auf der einen Seite der Verrat der Erinnerung an die Unterhaltung droht, droht auf der anderen Seite das Phänomen des »preaching to the converted«.

Interessanter vielleicht als die Serie »Holocaust« oder der Film »Schindlers Liste« selber waren die öffentlichen und auch privaten Debatten, die sie auslösten. »Holocaust« war die Serie, die als großer Aufreger in der BRD wirkte und vielleicht sogar politische Geschichte schrieb: Unter dem Eindruck der öffentlichen Diskussion, sagt man, hob der Bundestag die Verjährung für Mord auf und machte damit weitere Prozesse möglich. Eine vergleichbare Wirkung wird man »Deutsches Haus« nicht zutrauen, vielleicht sogar paradoxerweise deswegen, weil die Serie nach den Möglichkeiten des Formats zu gut ist. Die Zustimmung der einen Seite ist ihr so sicher wie die Ignoranz der anderen.

Dass »Deutsches Haus« nicht im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland entstand, sondern für den Streaming-Dienst eines ansonsten für Unterhaltungsware ganz anderer Art bekannten Konzerns namens Disney, spricht für sich.

Es bleibt eine Gratwanderung, ebenso wie die zwischen Dokumentation und Fiktion, zwischen historischer Fülle und dramaturgischer Verdichtung. Was dies anbelangt, erlaubt sich die Serie einige Verstöße, nicht zuletzt im Erzähltempo, wo sogar die regelrechte Unterbrechung für das Angedenken in der Sequenz des Lokaltermins in Auschwitz ihren Platz findet. Dieser Moment von Respekt ist natürlich auch ein cineastischer Effekt, ähnlich dem Rot des Mädchenkleids des kindlichen Opfers in Steven Spielbergs Schwarzweiß-Film »Schindlers Liste«: Der Code wird gebrochen, das Abgebildete öffnet sich zur Abbildung hin. Die Passivität des Zuschauens wird gestört.

Solche Möglichkeiten können sich nur dann entfalten, wenn auch die Gesellschaft als ganze eine solche Herausforderung annimmt, wenn also eine Serie wie »Deutsches Haus« über den Kreis derjenigen hinausreicht, die schon bereit sind, die schon die ersten Bewusstseinsschritte hinter sich haben, weit jenseits der Nullpunktnaivität, die das Drehbuch (wiederum eher metaphorisch als psychologisch-realistisch) seiner Schlüsselfigur am Anfang zuschreibt. Und ob sie mehr auslöst als die Balance von Zustimmung und Ignoranz, das liegt nicht allein in der audiovisuellen Arbeit selbst begründet, sondern auch in der Kultur, auf die sie trifft. Nie kommt es allein auf Filme, Serien, Bücher, Songs oder Texte an, immer auch darauf, was eine Gesellschaft damit macht.

Dass »Deutsches Haus« nicht im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland entstand, sondern für den Streaming-Dienst eines ansonsten für Unterhaltungsware ganz anderer Art bekannten Konzerns namens Disney, spricht für sich. Degeto was not here, glücklicherweise – nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn eine oder mehrere Redaktionen der ARD ins Konzept hineingeredet hätten. So konnte »Deutsches Haus« als Glücksfall entstehen, eine Art Autorenserie, die das Format der dekonstruktiven Serie für eine Erinnerungsarbeit nutzt, die genau zur rechten Zeit erscheint – wenn sie denn ein Publikum erreichen würde, das noch empfänglich für ein Um- und Neudenken wäre. Dann erst würde es sich wohl lohnen, die Debatte über die Darstellung des Nichtdarstellbaren wieder aufzunehmen.

Die Miniserie »Deutsches Haus« (D 2023) läuft auf dem Streamingdienst Disney Plus.