Taika Waititis Fußballfilm »Next Goal Wins«

Verlieren lernen

Fußball ist auch nur ein Spiel. In Taika Waititis Sportkomödie »Next Goal Wins« lehrt die Mannschaft ihren Trainer, dass auch Niederlagen einen Sinn haben – und damit klarzukommen, dass sein Abwehrspieler eine Transfrau ist.

In seinem neuen Spielfilm »Next Goal Wins« erzählt der neuseeländische Regisseur, Autor, Schauspieler und Comedian Taika Waititi eine wahre Episode aus der bewegten Geschichte der Fußballnationalmannschaft von Amerikanisch-Samoa. Die Inselgruppe in Polynesien zwischen Neuseeland und Hawaii ist ­US-amerikanisches Außengebiet und hat ein eigenes Nationalteam, das 2001 in einem Qualifikationsspiel für die Fußballweltmeisterschaft mit 0:31 gegen Australien unterlag.

Es war das schlechteste Ergebnis, das je im internationalen Fußball ­erzielt wurde. Auch in den folgenden Jahren konnte das Team in keinem Spiel auch nur ein Tor erzielen. Dennoch versuchte die Mannschaft, sich für die Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien zu qualifizieren, und engagierte dafür den niederländischen Trainer Thomas Rongen.

Der von Michael Fassbender verkörperte Rongen ist ein selbst im Abstieg begriffener Trainer, der sich nicht aus freien Stücken für den Posten am anderen Ende der Welt entscheidet, sondern wegen Erfolglosigkeit von seinem Verband in den neuen Vertrag hineingezwungen wird. Nur zu gern möchte man den Hitzkopf aus der eigenen Umgebung verbannt sehen. Schon bald nachdem er mit wenig mehr als einem kaputten Koffer auf der Insel im Pazifik ankommt, wird klar, dass er Aufmunterung mindestens genauso nötig hat wie die ihm anvertraute Mannschaft.

Vordergründiger noch als andere Filmgenres erzählen Sportfilme Heldengeschichten. Immer geht es darum, die Komfortzone der heimischen Welt zu verlassen, um furchteinflößende Gegner, vor allem aber den inneren Schweinehund zu bezwingen.

Vordergründiger noch als andere Filmgenres erzählen Sportfilme Heldengeschichten. Immer geht es darum, die Komfortzone der heimischen Welt zu verlassen, um furchteinflößende Gegner, vor allem aber den inneren Schweinehund zu bezwingen. Nach tiefen Tränentälern, Selbstaufgabe und Verzettlung sollen die Protagonisten über sich hinauswachsen und Leistungen erbringen – fürs Vaterland, den Sport an sich oder für das eigene Selbstwertgefühl.

Geprägt sind solche Geschichten stets durch eine ordentliche Dosis Pathos. Man findet es bei dem um sich selbst kreisenden Boxer Jake LaMotta (Robert De Niro) in Martin Scorseses »Raging Bull« (1980), der häufig als bester Sportfilm aller Zeiten bezeichnet wird, und Rocky Balboa (Sylvester Stallone) aus der 1976 begonnenen Rocky-Reihe genauso wie bei Sönke Wortmanns deutschem »Das Wunder von Bern« (2003).

Dabei muss der Held weder zwangsläufig ein Mann noch im ethischen Sinne gut sein, wie das Beispiel »I, Tonya« (2017) mit Margot Robbie in der Titelrolle der Eiskunstläuferin Tonya Harding zeigt. Sie will ihren Traum vom Sieg durch einen Anschlag auf Leib und Leben ihrer wichtigsten Rivalin erzwingen. Gut oder nicht – im Sport spiegelt sich die Härte des Lebens, die manchmal aus dem unerbittlichen Wettstreit resultiert, manchmal aber vor allem aus der Herausforderung, mit den eigenen charakterlichen Dispositionen klarzukommen.

All diese Überhöhungen des Helden unterläuft »Next Goal Wins« recht wirkungsvoll. Denn offensichtlich ist Taika Waititi nicht sonderlich daran gelegen, aus seinem Protagonisten eine »tiefe« Figur zu machen, der man Empathie entgegenbringt. Zudem liegen die Sympathien des bei großen Teilen der angloame­rikanischen Kritik als Regieberserker geschmähten Regisseurs eindeutig bei den Loser-Figuren.

Mit ihrer völlig anderen Einstellung zum Gewinnen konterkarieren die Fußballer des Inselparadieses nicht nur alle Bemühungen ihres neuen Coachs, sondern zeigen auch, dass sie Fußball als Spiel betrachten, das nur bedingt Vorrang vor anderen Bereichen des Lebens hat. Womit sozusagen eine Antithese zum Genre des Sportfilms und des Sports an sich präsentiert wird.

Seinen mehrfach Oscar-nominierten Hauptdarsteller, der von Quentin Tarantino über Steve McQueen bis zu David Fincher bereits mit vielen großen Regisseuren gedreht hat, lässt Waititi einen klischeemäßig verkorksten, übellaunigen und dauer­alkoholisierten Trainer spielen.

Herauszuheben aus der Menge an – zugegebenermaßen – wenig entwickelten Charakteren ist hier vor allem der Manager des Teams, Tavita (Oscar Kightley). Auf der Insel hat er – wie die anderen Vereinsmitglieder auch – noch eine Menge anderer Jobs, etwa als Tonmeister beim ortsansässigen Fernsehsender. Rongen tritt er als Gastgeber, Vorgesetzter und Berater gegenüber, wobei er ihn zumindest anfangs immer wieder mit dem Mantra »Nur ein Tor, nur ein Tor!« beschallt, ihn schließlich aber auch an die Hand nimmt, um ihm zu helfen, eine wenigstens etwas bessere Version seiner selbst zu werden.

Außerdem ist da Jaiyah Saelua (Kaimana), das Herz der Mannschaft und für Rongen von Anfang an gleichermaßen Rätsel wie Ärgernis. Sie ist eine Fa’afafine, wie in Polynesien eine biologisch männliche, aber als Frau sozialisierte Person genannt wird.

Der Niederländer kommt mit ihr nicht klar und begeht prompt und entgegen ihrer Warnung den Fehler, sie bei ihrem verhassten männ­lichen Geburtsnamen »Johnny« zu rufen, unter dem sie dem Herren­nationalteam offiziell angehört. Dennoch werden sich die beiden mit der Zeit zusammenraufen, woran die Abwehrspielerin deutlich mehr Anteil hat als ihr Trainer.

Heldengeschichte mal anders. Das Team von Samoa

Heldengeschichte mal anders. Das Team von Samoa

Bild:
Photo by Hilary Bronwyn Gayle. Courtesy of Searchlight Pictures. © 2022 20th Century Studios

Deutlich ergibt sich beim Betrachten des Films der Eindruck, dass Waititi große Freude daran gehabt haben muss, das Genre Sportfilm zu demontieren. Statt die gegebene – und als Dokumentarfilm bereits 2014 unter demselben Namen verfilmte – Geschichte zu nutzen, um ein weiteres Mal von der Macht des Fußballs zu erzählen, entscheidet er sich für die entgegengesetzte Strategie.

Seinen mehrfach Oscar-nominierten Hauptdarsteller, der von Quentin Tarantino über Steve McQueen bis zu David Fincher bereits mit vielen großen Regisseuren gedreht hat, lässt Waititi einen klischeemäßig verkorksten, übellaunigen und dauer­alkoholisierten Trainer spielen. Das Drehbuch baut Waititi zudem aus Fragmenten anderer Sportfilme zusammen und übernimmt dabei die Motivationsrede aus Oliver Stones Football-Drama »An jedem verdammten Sonntag« (1999) fast wörtlich.

Deutlich ergibt sich beim Betrachten des Films der Eindruck, dass Waititi große Freude daran gehabt haben muss, das Genre Sportfilm zu demontieren.

Anstatt aus dieser Herangehensweise Lustlosigkeit oder Nachlässigkeit abzuleiten, könnte es interessanter sein zu ergründen, was es damit auf sich hat: Gleich zu Beginn des Films taucht die – vom Regisseur selbst gespielte – Figur eines Priesters auf, der mit einer platten Rede in die Handlung einführt. Er betont, dass es sich beim Folgenden nicht um eine Geschichte handeln wird, in der ein weißer Mann einer Gruppe von Indigenen den Weg weist. Stattdessen werde der Trainer irgendwann lernen müssen, dass Fußball für sein Team »nur ein Spiel« ist, auch wenn er bisher nie auf die Idee gekommen ist, das so zu sehen.

An seine beste Form – die er in der Vampirkomödie »5 Zimmer Küche Sarg« (2014) oder in der Oscar-prämierten Nazi-Coming-of-Age-Tragikomödie »Jojo Rabbit« (2019) gezeigt hat – kann Waititi immer dann anschließen, wenn er seinem Hauptdarsteller erlaubt, mit einigen Stunts beim Training slapstickhaft albern zu werden; oder wenn er die Form der Heldenerzählung genau da bricht, wo nach den Regeln des Genres das Pathos regiert: in den finalen Minuten des alles entscheidenden Spiels.

Diese zerlegt Waititi so genüsslich wie kunstvoll in kleinteilige Sequenzen, die den bevorstehenden Sieges­taumel immer wieder zurückhalten. Das ist wirklich eine Innovation im Sportfilm, für die sich Waititis Abstecher in ein Filmprojekt mit Independent-Ausmaßen gelohnt hat.

Next Goal Wins (USA 2023). Drehbuch: ­Taika Waititi, Iain Morris. Regie: Taika Waititi. Darsteller: Michael Fassbender, ­Oscar Kightley, Kaimana.
Kinostart: 4. Januar