Klassenkampf, das Motiv der Kälte im Pop und andere Vermächtnisse

Tod, Steine, Erben

René Pollesch wird schmerzlich fehlen, Jean-Philippe Kindler ist zur Kritik des Neoliberalismus und der Linken angetreten, Florian Völker befasst sich mit dem Musik gewordenen Kältestrom.
Die Summens Von

»Glauben an die Möglichkeit der völligen Erneuerung der Welt« – so heißt eines unserer Lieblingsstücke des kürzlich aus dem Leben gerissenen Regisseurs René Pollesch, der schmerzlich fehlen wird. Wieder ein genialer Streiter weniger auf dem gnadenlosen Schlachtfeld des Kapitalismus mit seinem Zwangsindivi­dualismus.

Auch ein toller Titel: »Scheiß auf Selflove, gib mir Klassenkampf«. Der Kabarettist Jean-Philippe Kindler ist angetreten, um insbesondere die gerne in Nebenwidersprüchen verstrickte Linke daran zu erinnern, dass der neoliberale Glaube an den sozialen Aufstieg durch Arbeit Bull­shit ist.

Kindler möchte repolitisieren und bringt die Kapitalismuskritik zurück ins Spiel.

Kostprobe gefällig? »Bis zum Jahr 2024 werden in Deutschland 3,1 Billionen Euro vererbt. Das ist völlig leistungsbefreites Geld, welches es manchen Kindern ermöglicht, völlig sorgenfrei aufzuwachsen.« Er, Kindler, warte nun ­darauf, dass Markus Lanz zur Abwechslung mal danach fragt, »in­wiefern eine leistungslose Erbschaft ­eigentlich dazu führt, dass die ­Leute zu Hause auf der faulen Haut liegen«.

Klar ist jedenfalls: Wer nicht erbt, steht dumm da; da hilft auch kein Glücksratgeber. Kindler möchte repolitisieren und bringt die Kapitalismuskritik zurück ins Spiel. Ein feines, kleines Bändchen! Die Lektüre kostet gefühlt so viel Zeit wie eine Achtsamkeitsmeditation, mit der sich strukturelle Ungleichheit und Geldprobleme einfach nicht wegatmen lassen wollen.

Der Kabarettist Jean-Philippe Kindler auf der Bühne

Will Klassenkampf statt Selflove: der Kabarettist Jean-Philippe Kindler

Bild:
Wikimedia / Martin Heinlein / CC BY 2.0

Allen dem Popdiskurs Zugeneigten empfehlen wir derweil den Schinken »Kälte-Pop« von Florian Völker. In dem Buch befasst er sich mit dem großen deutschen Pop­export der Nachkriegszeit: dem Musik gewordenen Kältestrom. Er ­analysiert präzise und kenntnisreich den deutschen Nachkriegssound zwischen Kraftwerk, DAF, den Einstürzenden Neubauten und Rammstein. Es geht um die Zeit von New Wave und Neuer Deutscher Welle (NDW) bis hin zum Industrial-Sound zurück zur NNDW der Gegenwart. Völker gelingt es, das Vermächtnis der »Achtundsiebziger« neu ein­zuordnen.

So gehört »Kälte-Pop« ins gutsortierte Bücherregal, irgendwo zwischen Simon Reynolds’ Postpunk-Bibel »Rip It Up and Start Again« und Klaus Theweleits »Männerphantasien«. Im Berliner Maschinenhaus diskutiert er mit dem Zeitzeugen und Musiker Thomas Meinecke (Frei­willige Selbstkontrolle) über die Kälte-Welle im Pop und ihre Erben. Frei nach F. S. K.: »Ja zur modernen Welt!« Bis dahin halten wir uns an Polleschs an der Volksbühne laufendes Stück: »ja nichts is ok«.