Die Hauptgruppen der deutschen Klimabewegung schlagen verschiedene Richtungen ein

Diäten oder Hungerstreik

Die Gruppen der Klimabewegung gehen getrennte Wege: Die Letzte Generation kandidiert für das Europaparlament, andere treten in den Hungerstreik oder protestieren gegen Tesla, während Fridays for Future endgültig zur profillosen NGO verkommt.

Wuppertal, Mitte Mai: Statuen im ganzen Stadtgebiet sind über Nacht mit orangenen Warnwesten und Plakaten behängt worden. »Hand aufs Herz – Demokratie braucht Ehrlichkeit!« ist auf den Plakaten zu lesen. Hinter der Ak­tion steckt die Letzte Generation. Die Gruppe, die dafür bekannt ist, dass sich ihre Mitglieder auf Straßen festkleben, möchte bei der Wahl am 9. Juni ins Europaparlament einziehen. Nicht als Partei, sondern als »sonstige politische Vereinigung«.

Ein Programm hat die Letzte Generation noch nicht. Das sollen »Runde Tische« noch erarbeiten. Aber immerhin gibt es vier Kernforderungen. Die Demokratie soll durch sogenannte Gesellschaftsräte gestärkt werden, die mit nach dem Zufallsprinzip ausgelosten Bürgern besetzt werden, und ab 2030 soll vollständig auf die Nutzung fossiler Energieträger verzichtet werden. Außerdem ist die Gruppe für »soziale Gerechtigkeit weltweit« und will »Bewegungen für so­ziale und Klimagerechtigkeit« unterstützen.

Es ist nicht überraschend, dass die Letzte Generation jetzt den Weg ins EU-Parlament sucht. Schließlich gründete sich die Gruppe im Bundestagswahlkampf 2021 und begann mit einem Hungerstreik und Appellen an die Kanzlerkandidat:innen – auch daraus sprach schon ein großes Vertrauen in den Politikbetrieb. Doch die folgenden Klebeaktionen und Attacken auf Kunstwerke konnten weder die Bundesregierung beeindrucken noch die Massen mobilisieren. Stattdessen wurde die Gruppe mit Strafverfahren überzogen. Vergangene Woche wurde in Brandenburg gegen fünf Mitglieder Anklage wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung erhoben. Der Einzug ins Europaparlament, für den keine Fünfprozenthürde gilt, böte einen willkommenen Ausweg aus der aktivistischen Sackgasse. Zusätzlich zur Abgeordnetendiät gäbe es reichlich Budget für Mitarbeiter:innen.

Vergangene Woche wurde in Brandenburg gegen fünf Mitglieder der Letzten Generation Anklage wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung erhoben.

Nach neuen Betätigungsfeldern sucht man auch in der linksradikalen Klimagerechtigkeitsbewegung. Noch einmal mit »Ende Gelände« in eine Kohlegrube zu springen oder sich vor ein Kohlekraftwerk zu setzen, ist wohl wenig attraktiv. Der Kohleausstieg ist beschlossen, wenn auch nicht so schnell und umfassend wie gefordert – weshalb man für Proteste gegen die Kohleindustrie nicht mehr über den eigenen Kreis hinaus mobilisieren kann.
Der neue Gegner ist deshalb – durchaus naheliegend – die Autoindustrie. Will man die Klimakrise in den Griff bekommen, muss der Individualverkehr reduziert werden. Der bloße Umstieg auf Elektroautos reicht nicht. Das weiß und propagiert man auch bei Bündnissen wie Disrupt, die als inoffizieller Nachfolger von Ende Gelände gelten. Mitte Mai konnte die Gruppe praktisch alles, was es in der deutschen Bewegungslinken noch gibt, für einen Protest zum Tesla-Werk in Grünheide mobilisieren, von »Ums Ganze« bis zur »Interventionistischen Linken«.

Dass Disrupt den Tesla-Geschäftsführer Elon Musk als eine Art James-Bond-Bösewicht sieht und zum Ziel des Protests erklärt hat und nicht etwa die Heimatstadt des Kraft-durch-Freude-Wagens, Wolfsburg, dürfte zumindest in den Lobby-Abteilungen der deutschen Autokonzerne für ein bisschen Aufatmen gesorgt haben. Nun hat Disrupt sicher nicht Tesla als Gegner ausgewählt, um das deutsche Kapital zu schonen. Ohne Zweifel hat das Bündnis aber die allgemeine Anti-Musk-Stimmung bei seiner Mobilisierung einkalkuliert.

Es stimmt zwar: Tesla steht symbolisch für das falsche Versprechen, durch Elektroantrieb lasse sich die Klimakrise beenden. Den Vorwurf, dass die deutschen Autobauer eher noch klimaschädlicher produzieren und ein kleiner Produktionsausfall in Wolfsburg, Stuttgart oder München dem Planeten mehr genutzt hätte, muss das Bündnis sich aber schon gefallen lassen.

Zwischen dem Gang ins Parlament und der antikapitalistischen Kritik an Tesla bietet die Klimabewegung noch allerlei Raum für den üblichen Aktivismus. Fridays for Future (FFF) ruft für den 31. Mai mal wieder zu einem Klimastreik auf. Das macht die NGO vor jeder Wahl, nur kommen immer weniger Leute. Diesmal soll es weniger ums Klima gehen als um die Erstarkung der Rechten in Europa. Die nützt dem Klima zwar gewiss nicht, doch zeigt diese Schwerpunktsetzung, wie sich FFF immer mehr zum beliebigen Sprecher für irgendwie »progressive« Angelegenheiten gemausert hat. Gewohnt professionell hat FFF sogar einen eigenen Werbespot für die Kampagne gedreht.

Immerhin stirbt dabei niemand – was man nicht mit völliger Sicherheit über andere Formen des Klimaprotests sagen kann. Zum Beispiel bei der ein Ableger der Letzten Generation namens »Hungern bis ihr ehrlich seid«: Seit über zwei Monaten betreibt die Gruppe ein Camp vor dem Bundestag. Mehrere Leute sollen sich dort zum Teil schon seit Wochen im Hungerstreik befinden.

Zwei sind deshalb sogar schon ins Krankenhaus eingeliefert worden. Einer von ihnen, ein 61jähriger Mann, befand sich offenbar nach 31 Tagen ohne Nahrung in Lebensgefahr. Der andere war bereits Mitte Mai zusammengebrochen, wurde aber schon bald wieder aus dem Krankenhaus entlassen. Bei ihm kehrte nach dem Unwetter im Saarland die Vernunft ein und er beendete seinen Hungerstreik. Er habe Olaf Scholz in Gummistiefeln gesehen, der sein Mitleid über die Flutfolgen ausdrückte, dabei aber die Klimakatastrophe nicht erwähnte, hieß es in einer Erklärung. Der hungernde Aktivist, der sich selbst Tin nennt, habe dann festgestellt: »Wenn Olaf Scholz mit Gummistiefeln mitten in der Wahrheit steht und diese immer noch nicht aussprechen kann, dann bezweifle ich, dass mein Tod ihn dazu bewegen wird.«