Donald Trump schlachtet das Attentat auf ihn für den Wahlkampf aus

Göttliche Glückssträhne

Der frühere US-Präsident Donald Trump hat den Mordanschlag auf ihn bei einer Kundgebung knapp überlebt und wurde nur leicht am Ohr verletzt. Für seinen Wahlkampf scheint das Ereignis bereits nützlich zu sein.

Nur wenige Minuten nach den Schüssen, die Donald J. Trump am Samstag bei einer Wahlkampfrede im Bundesstaat Pennsylvania am Ohr verletzten und einen seiner Anhänger töteten sowie zwei schwer verletzten, zeigten sich sogar Journalisten überrascht davon, wie kalkuliert der ehemalige US-Präsident auf den Mordanschlag eines jungen Mannes aus der Region reagierte. Er wies die Agenten des Secret Service an, die ihn in Sicherheit bringen wollten, kurz stehenzubleiben, um das Foto zu ermöglichen, von dem praktisch sofort feststand, dass es ein einprägsames werden würde: Trump, mit blutigem Gesicht und erhobener Faust, umringt von Sicherheitspersonal, während im Hintergrund die US-Flagge weht.

Dieses Berechnende sollte bei Trump nicht überraschen: Er hat praktisch sein ganzes erwachsenes Leben der Pflege des eigenen Images gewidmet und es ist daher nachvollziehbar, dass er selbst in einer unvorhersehbaren Situation nur daran denkt, wie er den größtmöglichen Nutzen daraus ziehen und sich in Szene setzen kann. Zumal dann, wenn man Bilder und Filme anderer Attentate und Anschläge auf Politiker und Prominente gesehen hat: Als beispielsweise im Jahr 1981 ein 17jähriger während der alljährlichen Militärparade zu Ehren des britischen Monarchen, genannt »Trooping the Colour«, mehrere Schüsse auf die vorbeireitende Queen Elizabeth II. abgab, blieb die britische Königin gefasst, zügelte ihr erschrockenes Pferd und ritt weiter, als sei nichts geschehen. Das dürfte auch daran gelegen haben, dass sie, wie auch US-Präsidenten, von ihren Sicherheitsleuten auf derartige Angriffe vorbereitet worden war und auch trainiert hatte.

Trump-Anhänger brachen kurz nach dem missglückten Anschlag in quasireligiöse Verzückung aus: Gott habe seine schützende Hand über ihn gehalten, weil er noch Großes mit ihm vorhabe.

Gleichwohl brachen die Trump-Anhänger bereits kurz nach dem Anschlag in ausgiebige, quasireligiöse Verzückung aus: Gott habe seine schützende Hand über ihn gehalten, oder, je nach Sichtweise, die Jungfrau Maria, weil er oder sie noch Großes mit ihm vorhätten, hieß es unter anderem – Großes natürlich im Sinne von »die politischen Gegner« beziehungsweise »Kommunisten« bei der Präsidentschaftswahl am 5. November zu schlagen und sie danach inhaftieren zu lassen. Ganz neu sind weder diese Sicht der Dinge noch die Bereitschaft, in praktisch allem, was Trump tut oder was ihm widerfährt, einen Beleg für dessen Auserwähltheit zu sehen. Auch Trump sagte in einem Interview mit der New York Post nach dem Attentat selbst: »Durch Glück oder durch Gott – und viele Leute sagen, es war Gottes Werk – bin ich noch hier. Ich sollte nicht hier sein. Ich sollte tot sein.«

Was zweifelsfrei feststeht: Trump hat derzeit eine Glückssträhne. Am Montag hat die Bundesrichterin im Staat Florida, Aileen M. Cannon, die Anklage gegen Trump wegen des Vorwurfs der missbräuchlichen Verwendung von Verschlusssachen abgewiesen. Sie entschied außerdem, dass der mit dem Fall betraute Sonderermittler Jack Smith unrechtmäßig ernannt worden sei. Damit ist so gut wie ausgeschlossen, dass das Verfahren um die von Trump illegal in seinem Anwesen in Mar-a-Lago gelagerten geheimen Akten vor der Präsidentschaftswahl eröffnet werden kann. Es ist sein zweiter großer juristischer Sieg in weniger als einem Monat, nach einer historischen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zur Immunität von US-Präsidenten im Rahmen ihrer Amtstätigkeit.

Von Trump beförderte rechtskonservative Richter

Eine riesige Überraschung ist Cannons Urteilsspruch nicht: Sie gehört zu den rechtskonservativen Richtern und Richterinnen, die während der Präsidentschaft von Trump gezielt in höhere Positionen befördert worden waren. Ausschlaggebend waren dafür meistens weniger die beruflichen Qualifikationen, sondern vielmehr die politischen Überzeugungen der Juristen.

Cannon gilt beispielsweise als unerfahren – und als Trump-Unterstützerin. Die Richterin hatte bereits im Jahr 2022 durch fragwürdige, allerdings von höheren Gerichten einkassierte Entscheidungen dafür gesorgt, dass die Ermittlungen gegen Trump wegen der Lagerung der Geheimdokumente verschleppt worden sind. Entsprechend waren sich politische Beobachter sicher, dass sie auch weiterhin alles tun werde, um das Verfahren in dieser Sache gegen Trump zu torpedieren. Einige Republikaner unternahmen wenig, um ihre überaus große Freude zu verbergen oder wenigstens vorzugaukeln, dass es sich nicht um eine politische Entscheidung gehandelt habe. Der ultrarechte Kongressabgeordnete Matt Gaetz aus Florida etwa postete bei X ein Bild Cannons und setzte hinzu: »Zukünftige Richterin am Obersten Gerichtshof«.

Wie es in dem Fall weitergehen wird, der eigentlich als derjenige galt, in dem die umfassendsten Beweise gegen Trump vorlagen, ist noch ungewiss. Smith wird mutmaßlich in Berufung gehen, die meisten Experten gehen davon aus, dass am Ende der Oberste Gerichtshof entscheiden wird. Bis dahin ist Trump aber vielleicht der nächste US-Präsident – unwahrscheinlich erscheint derzeit, dass er die Wahl verlieren könnte. Derzeit sind sich die meisten europäischen Kommentatoren einig, dass der Mordanschlag Trumps Vorsprung in den Meinungsumfragen vergrößern und letztlich zu seinem Wahlerfolg führen könnte.
Die erhobene Faust, sein neues Markenzeichen, präsentierte Trump unter dem Jubel seiner Anhänger am Montag bei der National Convention, dem viertägigen Parteitag der Republikaner, in Milwaukee im Bundesstaat Wisconsin, wo er offiziell zum Präsidentschaftskandidaten der Republikaner gewählt werden soll.

»Running Mate« J. D. Vance nannte Trump 2016 einen »Idioten«.

Noch trägt er einen Verband am Kopf. Bis November wird das Ohr allerdings verheilt sein und auch die kämpferische Geste wird wohl nicht mehr so viele Emotionen hervorrufen wie in den Tagen nach dem Anschlag. Auch die Begeisterung über die während der Convention bekanntgegebene Vizepräsidentschaftskandidatur des Senators von Ohio und Schriftstellers J. D. Vance könnte sich bis dahin gelegt haben.

Der Mann, der Trump 2016 einen »Idioten« nannte, hat schließlich wirtschaftspolitische Ideen, die sich kaum mit den Vorstellungen des republikanischen Establishments decken. Vance, der mit der ebenfalls 2016 erschienenen Familiengeschichte »Hillbilly Elegy« einen internationalen Bestseller über das Leben im weitgehend vergessenen Hin­terland der USA geschrieben hatte, setzt sich für eine Erhöhung des Mindestlohns ein, forderte mindestens einmal Steuererhöhungen für Unternehmen, lobte die antimonopolistischen Bemühungen des demokratischen Präsidenten Joe Biden und lehnt den traditionellen Marktfundamentalismus der Republikaner rundweg ab.

Großspender uneins über Vance

Das beunruhigt vor allem Großsponsoren der Partei, auf deren Wahlkampfunterstützung das Team Trump angewiesen ist. Dazu gehören unter anderem der Hedgefonds-Manager und Multimilliardär Kenneth C. Griffin sowie der Medienunternehmer Rupert Murdoch. Dagegen dürfte der Milliardär und Paypal-Gründer Peter Thiel wohl ganz zufrieden mit Vance sein, der sich gegen weitere Investitionen in erneuerbare Energien aussprach; Thiel bevorzugt die Atomenergie. Zudem gilt Vance als russlandfreundlich.

Und trotz all seiner Bekenntnisse zu einem starken amerikanisch-israelischen Bündnis schaffte es Vance doch, zumindest bei liberaleren Juden in den USA für Unbehagen zu sorgen. »Vance ist ein ultrarechter Extremist, der die Wahlergebnisse von 2020 angezweifelt hat, ein nationales Abtreibungsverbot unterstützt und gegen die Unterstützung Israels während des Kriegs mit der Hamas gestimmt hat«, teilte Mark Mellman mit, der Präsident der Interessenvertretung »Democratic Majority for Israel« innerhalb der Demokratischen Partei. Dass Trump sich im November 2022 mit dem rechtsex­tremen Videoproduzenten Nick Fuentes zum Essen traf, wollte Vance partout nicht kritisieren, außerdem neigt er der antisemitischen Verschwörungslüge vom großen Bevölkerungsaustausch zu.

Bilder vom Attentat dürften verblassen

Es scheint nicht sehr wahrscheinlich, dass sich die Republikaner geschlossen hinter Trump und seinem Vizepräsidentschaftskandidaten sammeln werden. Denn auch wenn auf deren Seite weiterhin Fäuste gereckt und Verschwörungsmythen über die Demokraten entwickelt werden, sind nicht alle Republikaner glühende Anhänger Trumps. Das gilt auch für die Wahlberechtigten, die derzeit zwar Umfragen zufolge Trump präferieren, aber das kann sich noch ändern.

In den fast vier Monaten bis zum Wahltermin dürften die Bilder vom Attentat verblassen und neue, ganz andere Aufgeregtheiten die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit beanspruchen. Und es werden nicht nur beständig neue Bilder von angeblichen Aussetzern Bidens veröffentlicht, sondern auch von seinem Kontrahenten, der in der Vergangenheit ebenfalls durch mangelnde geistige Präsenz auffiel, und außerdem nur knapp vier Jahre jünger als der 81jährige Biden ist.

Davon abgesehen haben die Republikaner nach wie vor ein großes Pro­blem mit den Wählerinnen. Selbst traditionell ihrer Partei zugeneigte Frauen sehen die strikte Abtreibungspolitik in einigen Bundesstaaten als Bedrohung ihres Rechts auf Selbstbestimmung. Falls es den Demokraten gelingen sollte, nicht nur diesen Wählerinnen die Auswirkungen des Trump’schen Wahlprogramms aufzuzeigen, könnte das für die Republikaner zu einem Problem werden. Es ist auf keinen Fall falsch, sich auf lange vier Monate voller politischer Winkelzüge, Inszenierungen und viele hochgereckte Fäuste einzustellen.