Der algerische Präsidentschaftswahlkampf verspricht wenig Überraschendes

Abstimmung ohne Leidenschaft

Der Präsidentschaftswahlkampf in Algerien stößt bei der Bevölkerung auf geringes Interesse, ein Sieg des Amtsinhabers Abdelmadjid Tebboune gilt als sicher.

Paris. Wird die bereits sehr geringe Beteiligung an der vorigen Wahl noch einmal unterschritten? Diese Frage dürfte sich in Kürze in Algerien stellen, wenn dort am 7. September ein neuer Präsident gewählt wird, der wohl der bisherige sein dürfte.

Turnusgemäß hätte die Wahl erst im Dezember stattfinden sollen: Präsident Abdelmadjid Tebboune war am 12. Dezember 2019 für seine ersten fünf Amtsjahre gewählt worden. Die damalige Präsidentschaftswahl fand vor dem Hintergrund der Massenproteste unter der Bezeichnung Hirak (Dialektarabisch für »Bewegung«) statt. Ihre Abhaltung war umstritten, es gab eine Boykottbewegung und die Wahlbeteiligung sank laut offiziellen Zahlen auf seinerzeit ungewöhnlich niedrige 41,1 Prozent.

Die Mehrzahl der potentiellen Bewerberinnen und Bewerber für das Präsidentenamt wurde unter Vorwänden von der Kandidatur ausgeschlossen.

Desinteresse und Ablehnung dürften seitdem noch breitere Kreise der Bevölkerung erfasst haben. Am 21. März verkündete die algerische Regierung die Abhaltung einer um rund drei Monate vorgezogenen Wahl. Die Gründe dafür wurden nicht genannt. Wahrscheinlich ist jedoch, dass die Machthaber schlicht von der Sommerpause profitieren wollten – im August ist auch in Algerien Urlaubssaison, und wenn ein Gutteil der Bevölkerung auch aus finanziellen Gründen nicht auf touristische Reisen gehen kann, so lockt doch das Meer die Einwohner Nordalgeriens, herrschen Schulferien und es werden familiäre Besuche abgestattet. Am 15. August wurde der Wahlkampf offiziell eröffnet, was die Bevölkerung gleichgültig ließ.

Die Mehrzahl der potentiellen Bewerberinnen und Bewerber wurde unter Vorwänden, und weil sie angeblich nicht die formalen Voraussetzungen erfüllten, von der Kandidatur für das Präsidentenamt ausgeschlossen. So stehen nur drei Kandidaten auf dem Wahlzettel: Den bald 79jährigen Amtsinhaber Tebboune, der auch Verteidigungsminister ist, unterstützen unter anderem die frühere Staats- und vor 1989 auch Einheitspartei FLN (Nationale Befreiungsfront), ihre in den späten neunziger Jahre entstandene Abspaltung RND (Nationale Demokratische Sammlung) sowie die mitregierende konservativ-islamische Harakat al-Bina (Bewegung des Aufbaus). Als weiterer Kandidat tritt der 41jährige Youcef Aouchiche, Vorsitzender der berbersprachigen Regionalpartei FFS (Front der Sozialistischen Kräfte), an.

Starkes Ungleichgewicht der drei Kandidaten in den Medien

Das Kandidatentrio vervollständigt der 57jährige Abgeordnete und Vorsitzende der islamistischen Partei MSP (Bewegung für eine Gesellschaft des Friedens), Abdelaali Hassani Cherif. Der MSP war ab 1999 als Juniorpartner an diversen Regierungen beteiligt. Seit der Bildung der gegenwärtigen Regierung, die ab Juli 2021 zunächst von Aïmene Benabderrahmane und seit Herbst 2023 von Nadir Larbaoui geführt wurde, ist die Partei nicht mehr im Kabinett vertreten, dafür aber ihre Abspaltung Harakat al-Bina.

Reformen könnte man am ehesten vom FFS aus der traditionell aufsässigen Berberregion Kabylei erwarten, aber dort ist die Hoffnung auf die Möglichkeit von Veränderungen über politische Parteien weitgehend geschwunden. Deshalb dürfte der FFS voraussichtlich Mühe haben, seine Basis zu mobilisieren. Nimmt man das starke Ungleichgewicht der Präsenz der drei Kandidaten in den Medien hinzu – mit weitem Abstand entfällt sie auf Amtsinhaber Tebboune –, kann die Wahl wohl als vorentschieden gelten.

Die Außenpolitik könnte theoretisch mehr Leidenschaften entfesseln als die anstehende Wahl. Am 30. Juli berief Algerien seinen Botschafter in Paris ab und in den darauffolgenden Wochen drohte das Land mehrfach damit, sich bei der Rücknahme von Migranten, die Frankreich auf sein Staatsgebiet abschieben will, nicht länger kooperativ zu zeigen.

Streit über die Westsahara

Dem ging die Veröffentlichung eines offiziellen Schreibens des französischen Präsidenten an den marokkanischen Monarchen Mohammed VI. zum 25. Jahrestag von dessen Thronbesteigung voraus, in dem Emmanuel Macron nun auch explizit verkündete, was aus Rücksichtnahme auf internationale Rechtsnormen bislang nicht offiziell bekannt gemacht worden war: dass Frankreich die marokkanische Souveränität über die 1975 nach dem Rückzug der spanischen Kolonialmacht besetzte Westsahara anerkenne. Algerien unterstützt den Frente Polisario, der für einen unabhängigen Staat Westsahara kämpft. Algeriens Nachbar und Konkurrent Marokko feierte seinen Triumph.

Bislang blieb Algerien jedoch bei bloßen Gesten des Unwillens, auch wenn der für diesen Herbst angekündigte Staatsbesuch Tebbounes bei Macron in Frage zu stehen scheint. Die marokkanische Tageszeitung Aujourd’hui le Maroc spekulierte am Freitag voriger Woche sogar über eine »Vermittlung zwischen Marokko und Algerien durch Frankreich« – zumindest eine offizielle Vermittlerrolle Frankreichs dürfte höchst unwahrscheinlich sein, zieht die algerische Staatsmacht doch ihre Legitimität aus dem erfolgreichen Unabhängigkeitskrieg gegen Frankreich. Dies schloss in der Vergangenheit allerdings nicht aus, dass Führungspersonen von FLN und algerischen Streitkräften Besitztümer in Frankreich horteten.

Zu einem Bruch mit Frankreich dürfte es auch diesmal – es gab bereits mehrere vergleichbare Konflikte – nicht kommen. Algerien arbeitete früher eng mit dem sowjetischen Block zusammen, doch eine verstärkte Annäherung an Russland strebt das Land derzeit nicht an. Zwar besuchte Tebboune im Juni 2023 Moskau und unterzeichnete dort diverse Kooperationsabkommen. Doch die Zusammenarbeit mit Frankreich und der Europäischen Union durch eine Bindung an Russland zu ersetzen, kommt nicht in Frage.

Auch kritisierte die algerische Führung mehrmals die Präsenz russischer Söldnerunternehmen wie der Gruppe Wagner und ihres Nachfolgers Afrikakorps im benachbarten Mali und anderen Ländern der Sahelzone. Schon im Januar 2023 hatte Tebboune säuerlich angemerkt, Mali könne sein Geld besser anlegen, als die Gruppe Wagner zu finanzieren. Im Mai dieses Jahres beschwerte sich sein Außenminister Ahmed Attaf bei seinem Amtskollegen Sergej Lawrow über die russische Interventionspolitik in der Sahelzone. Die algerische Führung betrachtet die südlichen Nachbarländer als eigenes Einflussgebiet.