Die Schändung eines Berliner Denkmals zeigt, was »Free Palestine from German guilt« meint

Überschmierte Erinnerung

Das Denkmal »Frauenprotest 1943« in Berlin-Mitte wurde mit antisemitischen Parolen beschmiert. Dass es gerade dieses Denkmal getroffen hat, ist besonders bezeichnend für die antisemitischen Übergriffe seit dem 7. Oktober.

Die roten Dreiecke der Hamas und Palästina-Parolen werden an NS-Gedenkorten geschmiert, deren Leiter:innen bedroht, Universitätsinstitute, israelsolidarische und israelische Restaurants, Kneipen, Clubs und Privatwohnungen markiert oder sogar verwüstet – all das ist im Zuge der regelrechten Welle von antisemitischen Ausbrüchen seit dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober derart »alltäglich« geworden, dass es solche Vorkommnissen allenfalls noch zu einer kleinen Meldung bringen. Im Besonderen gilt das für Berlin, wo nach wie vor fast täglich irgendwo Aufzüge vermeintlicher »Palästinafreund:innen« mit antisemitischen Ausschreitungen einhergehen.

Mittwoch vergangener Woche schaffte es eine antisemitische Aktion, diesen Übergriffen noch eine besonders perfide Note hinzuzufügen. Das Denkmal in der Rosenstraße in Berlin-Mitte wurde mit der Parole »Jews are committing Genocide« nebst einer auf den Boden gesprühten Palästina-Flagge beschmiert, gerahmt von »Free Palestine«.

Nicht einmal versucht, die antisemitische Intention als »Israelkritik« zu camouflieren

Dabei sticht nicht nur hervor, dass hier ganz unverblümt »die Juden« eines angeblichen Genozids beschuldigt werden, also nicht einmal versucht wird, die antisemitische Intention als »Israelkritik« zu camouflieren. Der Anschlag trifft auch nicht irgendeinen der sich in Berlins Mitte befindlichen Gedenkorte an die Deportationen in die Todeslager. Die von der mütterlicherseits aus einer jüdischen Familie stammenden kommunistischen Bildhauerin Ingeborg Hunzinger 1995 geschaffene und nun beschmierte Skulpturengruppe »Frauenprotest 1943« erinnert an die tagelangen Protestaktionen nichtjüdischer Frauen aus sogenannten »Mischehen«, deren jüdische Männer am 23. Februar 1943 im Rahmen der sogenannten »Fabrikaktion« verhaftet und in der Rosenstraße zum Weitertransport in die Konzentrations- und Vernichtungslager interniert wurden.

Da es sich dabei um eine der wenigen, wenn nicht die einzige bekannt gewordene breitere Protestaktionen nichtjüdischer Deutscher gegen Deportationen handelt, wurden die Protestaktionen der Rosenstraße, nachdem sie erst spät öffentliche Beachtung gefunden hatten, bald als Symbol eines »besseren Deutschland« und der Möglichkeit von Protest im Nationalsozialismus beschworen – inklusive eines klischeebehafteten Filmdramas von Margarete von Trotta.

Den Täter:innen ist es nicht nur unerträglich, dass an die jüdischen Opfer des präzedenzlosen Vernichtungswahns NS-Deutschlands erinnert wird. Um »die Juden« von heute als Täterkollektiv zu diffamieren, muss zwanghaft noch die Erinnerung an die spärlichen nichtjüdischen Widerstandsakte gegen die Vernichtung buchstäblich übermalt werden. 

Ob und inwieweit tatsächlich die Proteste dazu geführt haben, dass die verhafteten Männer großteils freikamen und »nur« Zwangsarbeit leisten mussten, ist unter Historiker:innen zumindest umstritten. Eike Geisel schrieb bereits in den neunziger Jahren: »Das mutige Vorgehen der ›Frauen in der Rosenstraße‹ hat mangels anderer Beispiele offenen Protests zu einer eigentümlichen Verklärung der Aktion wie der Beteiligten geführt.«

Er erinnerte dar­an, »wie entscheidend größer als die Zahl der notdürftig geretteten jüdischen Ehepartner die Anzahl der meist von nichtjüdischen Ehemännern aufgelösten ›Mischehen‹ war«, was in der Regel einem Todesurteil für die Betroffenen gleichkam. Ingeborg Hunzingers Vater zumindest, der Chemiker Hans Heinrich Franck, ließ sich trotz entsprechenden Drucks nicht von seiner jüdischen Frau scheiden.

Mit dem Anschlag auf das Denkmal wird nun selbst dieser hellsichtige Text von Geisel historisch überholt. Den Täter:innen ist es offenbar nicht nur unerträglich, dass an die jüdischen Opfer des präzedenzlosen Vernichtungswahns des nationalsozialistischen Deutschlands erinnert wird. Um »die Juden« von heute als Täterkollektiv zu diffamieren, muss zwanghaft noch die Erinnerung an die spärlichen nichtjüdischen Widerstandsakte gegen die Vernichtung buchstäblich übermalt werden. Konnte Geisel noch über das offizielle Gedenken an die Opfer sarkastisch schreiben: »Je toter sie waren, desto eher wurden sie sogar geliebt«, so zeigt sich nun, dass der Angriff auf die lebenden Juden zugleich den auf die Erinnerung an die toten fordert.

Die Grenzen zwischen den antisemitischen Milieus verschwimmen

Ob sich die Betreffenden der geschilderten Hintergründe des Denkmals überhaupt bewusst waren, spielt dabei ebenso wenig eine Rolle wie die Frage, ob es sich um Täter:innen aus der linken, palästinensisch-islamistischen oder doch eher der rechtsextremen Szene handelt, von der bislang die meisten Denk- und Grabmalschändungen ausgingen. Im Angriff auf die Erinnerung verschwimmen die Grenzen zwischen diesen Milieus zusehends. »Antiisraelischer Mob, Islamisten und Nazis aller Couleur vergreifen sich an dem Mahnmal«, zitiert die Taz eine Reaktion der Israelitischen Synagogen-Gemeinde Adass Jisroel auf die Schmierereien. »Auch diese außergewöhnliche Ausnahme, dieser mutige Widerstand in einem Meer von Täter- und Komplizenschaft deutscher Volksgemeinschaft wurde jetzt geschändet.«

Die Schändung des Denkmals in der Rosenstraße und die anderer Gedenkorte mit derart offen antisemitischen Sprüchen ergibt sich konsequent aus den seit letztem Herbst auf zahlreichen Demonstrationen vorgetragenen Parolen »Free Palestine from German guilt« und dem mit pseudoreligiöser Erlösungsmystik aufgeladenen »Palestine will set you free«. Erst wenn die Erinnerung an die jüdischen Opfer der deutschen Tat vollständig mit dem Wahnbild eines jüdischen Täterkollektivs übertüncht ist, kann man auch völlig erlöst von jeder historischen Verantwortung gegen die Existenz des jüdischen Staats zu Felde ziehen.