Samstag, 01.09.2018 / 12:47 Uhr

Sie sind mehr

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Da mobilisieren sie heute also gegen Rechts in Chemnitz und anderswo mit dem Hashtag: #wirsindmehr

Was soll damit eigentlich zum Ausdruck gebracht werden? Dass Nazis und völkische Rechtspopulisten nicht die Mehrheit stellen? Da reicht ein Blick auf die letzten Wahlergebnisse, um zu erfahren: Tun sie nicht..

Was, wenn" wir" nicht mehr sind oder eines Tages sein sollten? Wenn es nicht mehr reichen sollte, Rockbands zu lauschen oder zu Techno-Klängen durch die Straßen zu laufen, also Dinge zu tun, die man eh gerne tut, ihnen diesmal aber eine höhere Weihe geben kann?

Müssen sie auch gar nicht sein. Es geht nicht ums kindische Mehrheit-Minderheit Getue, dem immer schon auch ein autoritäre Glaube innewohnt, die Merheit habe irgendwie Recht.

Was eben auch nicht stimmt. An diesem ganzen "Wir sind ganz viele", "Ganz Berlin ist gegen die AFD" etc.-Fetisch ist alles falsch, wie man es auch dreht und wendet.

(Was, fragte Hannah Arendt in den Elementen und Ursprüngen, geschieht eigentlich, wenn die Mehrheit ganz demokratisch entscheidet, dass die Minderheit zu verschwinden habe?)

1933 stellten die Nazis im Parlament eine Minderheit, der #Restwarmehr , trotzdem kam es zur Machtübergabe bzw. Machtergreifung.

Und, Hand aufs Herz, wer erinnert sich in diesem Land an eine Massendemonstration, auf der die Teilnehmer nicht davon ausgingen, die heimliche Mehrheit zu repräsentieren?

Egal, ob 1992 mit Lichterketten für Toleranz und Asylrechtsänderung, 2003 mir Schröder für Frieden und gegen George W. Bush, immer wenn in diesem Land mehr als 50.000 Leute einem Aufruf folgen, glauben sie, sie seien eh die Merhheit. (Das gilt übrigens auch für Pegida & Co, die ja auch skandieren, sie seien da Volk, während irgendwelche Globalisierungskritiker die Parole von den 99% verbreiten).

Leider erinnert das auch ungut etwa an das populistisches Demokratieverständnis etwa eines Erdogans, der ja auch diesen Merhheitsfetisch pflegt.

Mit Citoyenité hat das alles wenig zu tun, die nämlich pflegte sich in ihren besseren Zeiten um Mehrheitsmeinungen nicht sehr zu scheren (Sie kannte auch den Begriff der "selbstverschuldeten Unmündigkeit") , sondern folgte, was sie für Wahrheit und Recht hielt oder, wie Rousseau, den man deshalb nicht mögen muss, schrieb: „Der Citoyen ist ein höchst politisches Wesen, das nicht sein individuelles Interesse, sondern das gemeinsame Interesse ausdrückt. Dieses gemeinsame Interesse beschränkt sich nicht auf die Summe der einzelnen Willensäußerungen, sondern geht über sie hinaus.“

Und zuletzt die Frage: Was, wenn" wir" nicht mehr sind oder eines Tages sein sollten? Wenn es nicht mehr reichen sollte, Rockbands zu lauschen oder zu Techno-Klängen durch die Straßen zu laufen, also Dinge zu tun, die man eh gerne tut, ihnen diesmal aber eine höhere Weihe geben kann? Wenn "wir" feststellen, in Wirklichkeit eine Minderheit zu sein?