Dienstag, 25.09.2018 / 11:59 Uhr

»Knud gegen Böse«, Teil zehn- Wie die Geschichten kamen

Von
Knud Kohr

Meine Damen und Herren,

ich hoffe, es geht Ihnen gut.

In den vergangenen Wochen habe ich regelmäßig darüber geschrieben, wie meine MS in den letzten Jahren kontinuierlich schlimmer geworden ist.

Oftmals thematisierte ihr Blogger also, was ihm von der Krankheit alles genommen wird. Das stimmt zwar, denn die MS ist eine fortschreitende und nach aktuellem Stand der Medizin unheilbare Krankheit. Allein deshalb kann die dem Kranken schon gehörig die Laune versauen.
 
Bleibt allerdings eine Frage, die sich dem Blogger jeden Tag stellt. Angenommen, er fühlt sich mit seinen 52 Jahren noch zu jung dafür, immer nur krank zu sein und auf absehbare Zeit immer stärker jammerlappige zu werden? Oder gar jammerlappant? Was bleibt dann als Alternative?

Also hat ihr Blogger das getan, was er eigentlich immer tut, wenn es besser ist, die Nerven zu bewahren: Er setzte sich einige Stunden auf seinen Balkon.

„Guck mal, Mama, da ist ein Hammer. Und da ist noch einer!“. Bei den beiden Hämmern handelte es sich um den Buchstaben „T“, der in dem Wort „Karstadt“ gleich zwei Mal vorkam. Das Leben ihres Bloggers wurde ab diesem Moment ein anderes.


Und tatsächlich wartete dort schon die Lösung auf ihn. So einfach, aber auch erstaunlich geheimnisvoll. Schon als kleines Kind in Cuxhaven galt ihr Blogger nämlich als Sonderling. Oder als Spinner, der am liebsten auf dem Rücken lag und die Decke ansah. Wenn er nicht gerade stundenlang durch die Wohnung lief. Und sich komplizierte Geschichten erzählte, die er selbst beim Erzählen erfand.

„Es war einmal ein König, der hatte drei Töchter. Die eine hieß Eselkraut. Und die andere war auch ganz nett.“

So lautet die erste Geschichte ihres Bloggers. Als er sie auf die Innenseite eines Zeitschriftumschlags schrieb, war er vielleicht fünf Jahre alt. Oder schon sechs? „Eselkraut“... Ist es denn ein Wunder, dass er sich selbst für ein kommendes Genie hielt?

Eselskraut

Ononis spinosa, auch als dornige Hauhechel bekannt oder Eselskraut genannt. So – oder so ähnlich – hieß die Protagonistin der ersten Geschichte, die Ihr Blogger erfand.


Manchmal war der Blogger von seinen eigenen Ideen so mitgerissen, dass er sie einfach weitererzählen musste.

Dann griff er sich seine duldsame Großmutter mütterlicherseits, die stets ein gern gesehener Gast beim Blogger war. Denn die hatte immer mindestens eine Einkaufstasche voller Spezialitäten dabei. Lakritze zum Beispiel. In schwarz oder in rot. Oder chinesisches Reisgebäck. Und sie war immer bereit, alles stehen und liegen zu lassen, um sich vom Blogger die haarsträubendsten Geschichten erzählen zu lassen.

Das alles geschah in einer Zeit, als seine Karriere als Schriftsteller und Reiseberichterstatter noch nicht begonnen hatte. Oder sich zumindest in ersten Versuchen in einer Schülerzeitung erschöpfte. Oder erschöpfen sollte. Denn bis er sich wirklich in den Raum traute, wo die monatlichen Redaktionskonferenzen seiner Schülerzeitung stattfanden, würde es noch einige Jahre dauern. Als er das endlich tat, blickte er nämlich bereits auf jahrelanges Schaffen zurück.

Eigentlich auch kein Wunder bei jemandem, der seine eigene Mutter bei einem Spaziergang durch die Cuxhavener Fußgängerzone entschieden am Arm packte und sagte: „Guck mal, Mama, da ist ein Hammer. Und da ist noch einer!“

Bei den beiden Hämmern handelte es sich um den Buchstaben „T“, der in dem Wort „Karstadt“ gleich zwei Mal vorkam. Das Leben ihres Bloggers wurde ab diesem Moment ein anderes.

Nachdem er einige Tage lang die gesamte Umgebung nach „T“s abgesucht hatte, schenkte ihm seine Mutter ihre mechanische Reiseschreibmaschine.

Vermutlich aus reiner Notwehr. Einerseits. Denn schon nach wenigen Wochen musste der Buchstabe „T“ ausgetauscht werden.

Andererseits entstanden in dieser Zeit auch die ersten Geschichten ihres Bloggers. Die von Prinzessin Eselkraut kennen Sie ja schon seit einigen Zeilen.

Wann immer ihr Blogger seinen Platz an der Schreibmaschine kurzfristig verlassen musste, um beispielsweise einen neuen Apfel aus dem Korb zu holen oder einfach vor lauter Aufregung auf die Toilette zu gehen, wurde er Opfer des Diebstahls geistigen Eigentums. Die Mutter ihres Bloggers hatte nämlich keine Skrupel, die frisch geschriebenen Frühwerke – etwa die von Eselkraut – aus der Reiseschreibmaschine hinaus zu konfiszieren.

Manchmal strich sie sogar die Schreibfehler in den Frühwerken ihres Bloggers an.

Noch Jahre später brachten sie ihren Blogger damit in peinliche Situationen.

Es ergab sich nämlich, dass ihr Blogger zum ersten Mitglied einer immerhin dreihundert Jahre alten Familie wurde, der aufs Gymnasium wechselte.

Einer von ihnen. Lernt jetzt Englisch. Das musste man sich mal vorstellen! Seine Mutter, die schon immer bildungsbeflissen war, hatte extra in der Volkshochschule ihr Englisch verbessert. So dass sie mit ihrem Sohn beim wöchentlichen Kaffetrinken plötzlich die Sprache wechselte. Die übrige Familie machte dann nur noch matt die Scheibenwischergeste. Vor dem Gesicht.

Sogar die Oma des Bloggers vergaß kurz, dass sie im zweiten Weltkrieg kurzfristig fraternisiert hatte. Jedenfalls weigerte sie sich stets zu erklären, warum sie kurz nach dem Einmarsch der britischen Truppen in Norddeutschland erkennbar schwanger wurde. Und neun Monate später bei der Geburt der Mutter ihres Bloggers fast verschied.

Für heute wünscht Ihnen Ihr Blogger noch einen schönen Tag. Wir lesen uns wieder.