Donnerstag, 10.09.2020 / 12:09 Uhr

El Loco, die Katze und das Pressing der Anderen

Von
KL
Torwartlegende René Higuita macht den "Skorpion"

Torwartlegende René Higuita macht den "Skorpion"

Bild:
Screenshot Youtube

Tennis Borussia Berlin und seine Torhüter

In der Oberligasaison 2018/2019 untermauerte Tennis Borussia Berlin seine Aufstiegsaspirationen und holte vom damaligen Zweitligisten Eintracht Braunschweig Torwart Eric Verstappen. Verstaapen galt als Königstransfer, konnte er doch eine bemerkenswerte Vita vorweisen: Der ehemalige niederländische Junioren-Nationalspieler wurde beim PSV Eindhoven ausgebildet. Verstaapen wirkte jedoch vom ersten Saisonspiel an unsicher und leistete sich regelmäßig spielentscheidende Fehler. Nach wenigen Spieltagen mieden seine Mitspieler den Rückpass, Verstaapens Verunsicherung nahm weiter zu, er segelte nun ständig an Bällen vorbei, schlug Abstöße verlässlich ins Seitenaus und ließ haltbare Schüsse passieren.

Der damalige Trainer Dennis Kutrieb zog am 5. Spieltag die Reißleine und tauschte Verstappen gegen Ertugrul Aktas aus. Aktas, ursprünglich eingeplant als Torwart der U19, kam unverhofft zu seinem ersten Herreneinsatz. Tennis Borussia kassierte kein Gegentor bei Aktas’ Premiere und die Nachwuchskraft blieb auch in den folgenden Spielen im Tor, während Verstappen kein Spiel mehr im Ligabetrieb machte und vor der Rückrunde schließlich an die Würzburger Kickers abgegeben wurde.

Die Torwartposition blieb zumindest formal weiterhin umkämpft, wurde doch als zweiter Torwart der erfahrene Bjarne Rogall geholt, der zumindest eine Einsatzgarantie für die Pokalspiele bekam. An dieser Idee hielt Trainer Kutrieb eine Halbzeit fest. Denn ähnlich wie Verstappen passierten auch Rogall unerklärliche Fehler. Rogall warf ohne Bedrängnis einem gegnerischen Stürmer den Ball in den Lauf und kassierte umgehend das Tor, während er wenig später eine ungefährliche Flanke ins eigene Tor boxte. Folgerichtig wurde Aktas im laufenden Spiel eingewechselt und hielt sogleich einen Elfmeter. Auch Rogall machte kein Spiel mehr für die Charlottenburger und Aktas wurde in der folgenden Spielzeit eine Institution im Tor.

Aktas ist ein junger Torwart der alten Schule. Hätten wir nicht das Jahr 2020, sondern 1985, und wäre das nicht die 4. Liga, sondern die Bundesliga, würden die Kommentatoren im Öffentlich-Rechtlichen ihn in Anlehnung an Ralf Zumdick ‚die Katze‘ nennen. Wie Zumdick verfügt Aktas über eine enorme Reaktionsschnelligkeit und Sprungkraft, was ihn überdurchschnittlich gut auf der Linie verteidigen lässt.

Nach dem pandemiebedingten Saisonabbruch und dem Aufstieg von Tennis Borussia wurde Markus Zschiesche neuer Cheftrainer. Aktas hat den Sprung in die Regionalliga Nordost geschafft, saß jedoch in den ersten vier Spielen auf der Bank. Jens Fikisi wechselte vom Bonner SC nach Charlottenburg und galt vorerst als gesetzt, obgleich Zschiesche einschränkte, er sei gewillt, je nach Spielweise des Gegners die Torhüter zu wechseln.

Die ersten vier Spiele liefen durchwachsen für Fikisi. Am 2. Spieltag zeigte der Torhüter eine solide Leistung gegen Chemie Leipzig, trotz der deutlichen Niederlage. Im Spielverlauf zeigte sich, dass ein wichtiger Grund für Fikisis Aufstellung seine offensive Auslegung des Torwartspiels war. So steht der ehemaliger Bonner bei Ballbesitz seiner Mannschaft außerhalb der Strafraums, um eventuelle Konter abzufangen und den Gegenangriff direkt einzuleiten.

Wenngleich sich mancher Tribünenbesucher dazu bemüßigt fühlte, ihn als Manuel Neuer der 4. Liga zu bezeichnen, erinnern seine Ausflüge eher an das anarchistische Fußballverständnis der kolumbianischen Legende René Higuita. Der Torwart, der in seinem Land auch El Loco („der Verrückte“) genannt wird, war bekannt für seine impulsiven Ausflüge ins Mittelfeld und Hackenparaden auf der Torlinie, den berühmten „Skorpion”. Obwohl Fikisi nicht an die Exzentrik von Higuita herankommt, weisen die gewagten und manchmal unkoordiniert anmutenden Exkursionen ins Mittelfeld Parallelen zum Kolumbianer auf.

Eine kleiner Teil des Tribünenpublikums war allerdings vom Charlottenburger „El Loco“ nicht überzeugt und forderte bereits beim 3. Ligaspiel seine Auswechslung. Das irritierte nicht nur Trainer Zschiesche sichtlich, denn Fikisi zeigte eine annehmbare Leistung gegen Lichtenberg und blieb ohne Gegentor. Doch der alte Mechanismus schien schon wieder zu greifen. Im folgenden Auswärtsspiel gegen Meuselwitz kam es zu folgenschweren Aussetzern des Torwarts, die an die Aussetzer von Verstappen und Rogall erinnerten. Beim ersten Gegentreffer verließ Fikisi den Strafraum, um einen ungefährlich wirkenden langen Pass von Meuselwitz in die Spitze abzufangen, verschätzte sich aber bei der Flanke und verlor seinen deutlichen Vorsprung gegen den Meuselwitzer Stürmer.

Der Neuzugang rannte ohne Verständnis für Zeit und Raum von einer Ecke des Strafraums zur anderen und sah doch nur dem Ball hinterher. Gegen Ende des Spiels rutschte Fikisi das Spielgerät beim Abfangen eines Freistoßes aus der Hand und Meuselwitz traf erneut. TeBe gelang zwar in der Nachspielzeit der Ausgleich, doch ein Wechsel auf der Torwartposition zeichnete sich nunmehr ab. Gegen Viktoria Berlin stand dann tatsächlich Aktas im Tor. Vieles wäre einfacher, wenn Aktas kein Tor bekommen hätte und die Geschichte ihren vertrauten Lauf nehmen würde. Tennis Borussia kassierte jedoch zwei Gegentore an diesem Nachmittag.

Den Toren ging kein Torwartfehler voraus und Aktas spielte insgesamt solide. Dennoch war zu erkennen, was ‚El Loco‘ der ‚Katze‘ voraus hat. Aktas interpretierte seine Torwartrolle sehr defensiv, verließ nicht den Strafraum. Viktoria Berlin presste hoch, Aktas geriet des Öfteren unter Druck, was zu Ballverlusten führte. Fikisi hingegen agiert gelassener mit dem Ball am Fuß und bietet den Mitspielern eine weitere Anspielstation außerhalb des Strafraums an, was Entlastung bei hohem Pressing des Gegners bieten kann. Aktas jedoch beherrscht den Strafraum besser und ist auf der Linie einer der besseren Torhüter in der Regionalliga. Es bleibt also spannend, nicht nur im Kasten der Charlottenburger. Der Zweikampf zwischen Aktas und Fikisi wird wohl die gesamte Saison über weitergehen.