Montag, 24.08.2020 / 23:02 Uhr

Ägypten und Türkei auf Konfrontationskurs

Von
Murat Yörük

Sowohl im östlichen Mittelmeer als auch in Libyen nehmen die Spannungen zwischen Ägypten und der Türkei in letzter Zeit deutlich zu.

 

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Ägyptischer Panzer, Bild: Wikipedia

 

Wie zu erwarten war, reagierte die türkische Regierung äußerst gereizt auf das jüngst von Ägypten und Griechenland vereinbarte Seeabkommen, das im Mittelmeer die Grenzen zwischen beiden Staaten festlegen soll. Dabei handelt es sich um die Einrichtung einer Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ), wie es Artikel 55 des Seerechtsübereinkommens der UN von 1982 vorsieht.

Die griechische Tageszeitung Kathimerini zitierte den türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu mit den Worten: „Ein solches Abkommen ist für uns null und nichtig“. Und: „Das werden wir an der Front und am Tisch beweisen“.

Der türkische Staatspräsident Erdoğan verkündete kurz darauf, dass die Türkei ihre Bohrungen im östlichen Mittelmeer fortsetzen werde. Wenige Tage später gab die türkische Marine eine Navigationsnotiz heraus – bekannt als Navtex –, dass das Forschungsschiff Oruc Reis bis zum 23. August im östlichen Mittelmeer ihre seismischen Aktivitäten wiederaufnehme.

Ankara sucht die Eskalation

„Diese Ankündigung ist ein klares Zeichen dafür, dass die Türkei eine kontrollierte Eskalation im östlichen Mittelmeerraum suchen wird“, so der Analyst und Militärexperte Metin Gürcan. Ankara habe mit dem Abkommen zwischen Ägypten und Griechenland als Reaktion auf das äußerst umstrittene Abkommen zwischen der libyschen Regierung und der Türkei vom November 2019, das international nicht anerkannt wird, nicht gerechnet und sei überrascht worden.

Die Türkei hat sich bis heute damit nicht abgefunden, dass in Ägypten die Show für die Muslimbrüder vorerst vorbei ist.

Inwieweit das ägyptisch-griechische Abkommen allerdings gehen werde, um der Türkei gegebenenfalls auch militärisch entgegenzuwirken, sei ungewiss. Eine solche Konstellation habe es seit dem Unabhängigkeitskrieg Griechenlands in den 1820er Jahren nicht gegeben.

Dennoch müsse – insbesondere weil die ägyptische Marine in den vergangenen Jahren stark aufgerüstet habe – davon ausgegangen werden, dass Ägypten und Griechenland deutliche Akzente gegenüber der Türkei setzen werden, zumal sich nun Seegebiete überschneiden, die sowohl von Ägypten und Griechenland als auch von der Türkei für sich beansprucht werden. Eine militärische Eskalation ist keineswegs ausgeschlossen. Anzeichen dafür, dass einer der Kontrahenten davor zurückschrecken würde, gebe es nicht, so Gürcan.

Muslimbrüder im türkischen Exil

Dass die türkische Aggression neben Griechenland nun auch Ägypten trifft, überrascht nicht. Die Beziehungen zwischen Ägypten und der Türkei haben sich nach dem Machtantritt von Abd al-Fattah as-Sisi nach dem Sturz des Muslimbruders Mohammed Mursi im Juli 2013 rapide verschlechtert.Die Türkei hat sich bis heute damit nicht abgefunden, dass in Ägypten die Show für die Muslimbrüder vorerst vorbei ist. Mehrere Tausend von ihnen leben heute im türkischen Exil und führen von dort die Organisation weiter. Eine aktuelle Analyse geht sogar von bis zu 30.000 Exilanten aus, die der ägyptischen Muslimbruderschaft zugerechnet werden.

 

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Zu Gast bei Freunden; Hamas-Delegation in Ankara

 

Die Zukunft der Muslimbrüder werde sich in Istanbul offenbaren, so die These des Analysten Abdelrahman Ayyash. In Ägypten seien ihre Strukturen zerschlagen, im türkischen Exil konstituierten sie sich neu. Ob sie sich jemals wieder den Organisationsgrad der Vergangenheit erreichen könnten, hänge nicht zuletzt auch davon ab, wie viel Freiraum ihr die türkische Regierung gewähre. Nichts spreche dafür, dass ihr die Unterstützung aus Ankara entzogen werden könnte.

Ganz im Gegenteil: Der türkische Präsident trete immer mehr als Lehrmeister auf, gerade auch mit seinem taktischen Auftreten gegenüber dem türkischen Militär. Nach anfänglichem Zögern insbesondere in den 2000er Jahren, als die AKP noch nicht offen mit dem türkischen Säkularismus gebrochen habe, genieße der große Bruder Erdoğan unter den Muslimbrüdern mittlerweile hohe Anerkennung. Ideologisch und historisch erfreuten bestünden enge Verbindungen zwischen den ägyptischen und den türkischen Islamisten.

Die türkische Gastgeberrolle ist dem ägyptischen Präsidenten as-Sisi deshalb ein Dorn im Auge und die Furcht verständlich , dass Ankara einen Regimewechsel in Kairo zugunsten der Muslimbrüder herbeiführen wolle. Für Kairo ist die türkische Präsenz im Mittelmeer, und schwerwiegender noch die im benachbarten Libyen, eine ganz offensichtliche Kampfansage.

Kräftemessen in Libyen

Während der Machtkampf im östlichen Mittelmeer zunimmt, mobilisieren beide Seiten auch Verbündete in Libyen, wo die Türkei ihre Intervention ausweitet. Ägypten unterstützt die Kräfte um General Haftar in Ostlibyen, die Türkei hingegen steht auf der Seite der libyschen Regierung in Westlibyen und schickt unablässig Verstärkung in Form syrischer Söldner an die Kriegsfront. Entscheidend für den weiteren Verlauf im libyschen Bürgerkrieg wird daher auch sein, wie der Streit um die Gasvorkommen im Mittelmeer verlaufen wird.

Noch zögert Ägypten, in Libyen mit eigenen Truppen einzumarschieren. Kairo sieht sich allerdings durch die türkische Intervention im Nachbarland massiv bedroht. Bereits im Juni zog as-Sisi deshalb Konsequenzen. Er erklärte das Gebiet zwischen Sirte am Mittelmeer und um den Jufra-Luftwaffenstützpunkt in Zentrallibyen zu seiner roten Linie.

Das sieht die türkische Seite als willkommene Gelegenheit, um die ägyptische Entschlossenheit zu testen. Ankara weiß, dass Kairo sich in einem Dilemma befindet. Jede weitere Handlung – insbesondere um Sirte und Jufra – könnte einen offenen Krieg zwischen der ägyptischen und türkischen Armee provozieren, jedes Zögern allerdings als Schwäche verstanden werden und zum Vormarsch der türkischen Söldner einladen.

Der Sprecher des türkischen Präsidenten, Ibrahim Kalin, erklärte entsprechend: „Die Türkei ist besorgt darüber, dass sich in den libyschen Städten Sirte und Jufra seit einem Jahr militärische Kräfte angesammelt haben, die eine Bedrohung für den Frieden und die territoriale Integrität des Landes darstellen“ Wenn Waffen und Söldner aus Sirte und Jufra abgezogen würden, könnte das ein guter Schritt sein, um weitere Konfrontationen zu vermeiden.

 

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch