Dienstag, 22.09.2020 / 22:26 Uhr

Lockdown in Israel. Keine Endzeitfiktion

Von
Oliver Vrankovic

In Israel wurde angesichts rasant steigender Infektionszahlen erneut ein landesweiter Lockdown verhängt. Die Folge: Unzählige neue Konflikte.

 

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Bildquelle: Pixabay

 

Disclaimer: Die folgenden Zeilen sind keine Endzeit-Fiktion sondern ein Tatsachenbericht aus einem Land, das wegen interner Streitigkeiten auseinanderzufallen droht.

Netanyahus Berater Reuven Azar hat im Supermarkt eingekauft. Das Problem: Er gehörte zur isrelischen Delegation in Washington und müsste in Quarantäne sein. Ebenfalls in Quarantäne sein müsste Topaz Lok, social Media Manager des Premierministers und einer der größten Hetzer des Landes, der auch Teil der Delegation in Washington war. Lok aber wurde auf der Balfur Demonstration gesichtet, wo er mit versteckter Kamera das Fehlverhalten der Protestierenden dokumentieren sollte.

Beste linke Tradition

Dabei schaffen es die Demonstranten in bester linker Tradition sich auch ohne äußeres Zutun zu demontieren. Beispiele: Ein Festessen am Neujahrstag vor der Residenz des Premierministers, ohne Masken und zu Dutzenden, während die Israelis angehalten waren, nur mit der Kernfamilie zu feiern. Ein Protest am Strand, der ganz offensichtlich nur den Zweck verfolgte, das Strandverbot zu umgehen. Das Nichteinhalten der Vorgabe sich bei der Großdemonstration am Sonntag Abend in Gruppen von 20 voneinander abzugrenzen.

Schätzungen für Mitte November variieren zwischen 3.500 und 6.000 schwer verlaufenden Infektionen. Gamzu rechnet mit 600 Toten/Monat.

Dabei hätte es gar keine Linken gebraucht, um das hohe demokratische Gut der Meinungsfreiheit in Seuchenzeiten ad absurdum zu führen. Während Gamzu noch am Abend, der das Neujahrsfest beendete, im TV sei Vertrauen in die Israelis aussprach und lobend erwähnte, dass es während der Feiertage kaum Verkehr auf den Straßen gab machten sich landauf landab Hunderttausende auf den Heimweg, nachdem sie schlichtweg die ganzen Feiertage im großen Familienverbund verbrachten. Die Ultraorthodoxen machten dies via angemeldeter Demonstrationen in Bnei Brak und anderen Städten, die ihnen den perfekten Vorwand boten von überall im Land unbehelligt zurückzukehren. Hunderte Busse wurden durch die Checkpoints gewunken.

Polizei stellt sich blind

Es sei im Zusammenhang mit den Ultraorthodoxen, deren Weigerung einen lockdown in den roten Städte und Stadtteilen zu akzeptieren dazu führte, dass das ganze Land in lockdown ist, noch erwähnt, dass die Polizei sich über die ganzen Feiertage hinweg bewusst blind gestellt hat gegen Verstöße gegen die Restriktionen in Synagogen. Es wurden keine Synagogen überprüft. Kurz gesprochen: Es gab keinen lockdown in Bnei Brak. Der Staat hat die Kontrolle verloren, wie Moshe Nussbaum in den Abendnachrichten auf Kanal 2 erklärte.

Die Nachrichten offenbarten den unglaublichen Gegensatz zwischen den positiven Einschätzungen Gamzus und dem was tatsächlich passierte.

In Ramle selbst bei einem Abendspaziergang Dutzende Zusammenkünfte von Zwei bis zwei Dutzend Leuten gesehen. Alle paar Meter und viele Leute, die mit Salaten und Kuchen unterwegs waren. Unter anderem Umständen wäre es großartig gewesen, dass zu sehen.

Am Tag danach, also gestern, öffneten auf dem Markt in Ramle verschiedene Stände unter einem selbst geschriebenen Pappschild auf dem "Protest" stand in Anlehnung an ein viral gegangenen Bild von zwei Strandgängern, die sich mit einem solchen Pappschild auf ihr Recht auf Protest beriefen.

Widersprüche

Es wäre alles irgendwie lustig, wenn Israel nicht auf die kritische Marke von 800 schwer verlaufenden Infektionen zusteuern würde. Im Rambam KKH in Haifa wird das Parkhausdeck -3 zur Corona Station umgebaut. Gamzu empfiehlt allen KKH weitere Corona Stationen zu schaffen und Verteidigungsminister Gantz wies die Armee an Feldlazarette zu errichten. Schätzungen für Mitte November variieren zwischen 3.500 und 6.000 schwer verlaufenden Infektionen. Gamzu rechnet mit 600 Toten/Monat.

Aber auch hier fehlt es nicht an Widerspruch. So widerspricht das Tel HaShomer dem Gesundheitsministerium, dass die Auslastung der Infektionsabteilung in Israels größtem KKH mit 120% angibt und erklärt noch Kapazitäten zu haben.

Die Folge des Durcheinanders: Im Bus und auf der Straße und sonst überall, wo die einfachen Leute unterwegs sind, werden die offiziellen Zahlen in Zweifel gezogen und die Idee alles sei ein Vorwand um eingesperrt zu werden / gechippt zu werden usw. wird populärer. Was an gesellschaftlichem Kitt noch da ist bröckelt. 43.000 neue Arbeitslose in den letzten paar Tagen wirken da als Verstärker.

 

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Die Knessetabgeordnete Yifat Shasha Biton, Bildquelle: Youtube

 

Heute zitiere ich zum Schluss Yifat Shasha Biton, die Vorsitzende des parlamentarischen Corona Ausschuss, die von Netanyahu derzeit zum Sündenbock gemacht werden soll, weil der Ausschuss in den letzten Monaten einige restriktive Beschlüsse des Corona Kabinetts überstimmt hat. Die Likud Abgeordnete entgegnet auf die Angriffe gegen sie:

"Als der Premierminister mir mitteilte, dass er beschlossen hatte, mich zum Vorsitzenden des Corona-Komitees zu ernennen, betonte er die Bedeutung der Position und die große Verantwortung, die auf meinen Schultern liegt. Ich trat ehrfürchtig diese Position an.

Eine Position, die erfordert, Fragen zu stellen und Zweifel zu äußern, nicht an der Gefahr, die von der Epidemie ausgeht, über die es keinen Streit gibt, sondern an den richtigen Wegen, damit umzugehen.

Alle meine Handlungen waren transparent und ich forderte die Öffentlichkeit nicht auf, "ein Bier zu trinken", ich nahm nicht an Massenveranstaltungen ohne Maske teil, ich lud keine Gäste entgegen den Richtlinien in mein Haus ein und mein Büropersonal verstieß nicht gegen die Isolation.
Ich erinnere den Premierminister daran, dass er derjenige war, der die Umsetzung der Ampelsystens von Prof. Gamzu so oft umgeschrieben hat, bis es nicht mehr zu gebrauchen war.[...]

Ich schlage dem Premierminister vor, zur Besinnung zu kommen und nicht mehr nach Schuldigen zu suchen. Es ist an der Zeit, die Kapazität von Krankenhäusern zu erhöhen, eine wirksame Kontaktnachvervolgung zu schaffen und die Öffentlichkeit zum Kampf zu mobilisieren, indem sie sich angemessen um sich selbst und um Risikogruppen kümmert. Es ist auch ratsam, ein gutes persönliches Beispiel zu geben."