Dienstag, 30.08.2022 / 14:38 Uhr

Mohammad Karikaturen und documenta Bilder: Falscher Vergleich

Von
Aus dem Netz

Titel der Jungle World, Ausgabe 12/2019

Auf einen Artikel in der FAZ, in dem Saba-Nur Cheema und Meron Mendel Mohammad Karikaturen und antisemitische documenta Bilder in Verbindung bringen, reagiert Theirry Chervel im Perlentaucher:

"Sie verteidigen Rushdie, so weit so gut. Aber für diese Verteidigung bringen sie ein symbolisches Opfer: die Mohammed-Karikaturen. Hier schreiben sie zwei Dinge, die man so nicht stehen lassen darf. Bei Rushdie, schreiben sie, sei Satire völlig legitim, bei den Karikaturen sei sie es nicht. "Wenn in den sogenannten Mohammed-Karikaturen, die von Dänemark bis Frankreich abgedruckt wurden, Muslime als hakennasig abgebildet werden, mit einer natürlichen Neigung zu Gewalt und zur Sodomie mit Kamelen - dann reden wir über etwas anderes, nämlich über Islamfeindlichkeit und Rassismus."

Und sie setzen die Mohammed-Karikaturen mit den antisemitischen Zeichnungen bei der Documenta 15 gleich: "In der Diskussion über antisemitische Kunstwerke auf der Documenta 15 kam glücklicherweise auch niemand auf die Idee, dass die Darstellung von Juden mit blutunterlaufenen Augen, Vampirzähnen und Hakennase nur Religionskritik war."

Mehrere Dinge sind daran auf empörende Weise falsch: Ich kenne nicht alle Karikaturen, die in Charlie Hebdo je zum Thema Islam veröffentlicht wurden. Man kann sicher sein, dass einige dieser Karikaturen misslungen sind. Manche sind wirklich drastisch. Aber die Charlie-Hebdo-Zeichner wurden nicht wegen ihrer eigenen Karikaturen umgebracht, sondern weil sie die dänischen Mohammed-Karikaturen noch ein zweites Mal veröffentlicht hatten und überhaupt daran festhielten, dass man solche Karikaturen zeichnen darf.

Auch einige ihrer eigenen Karikaturen erlangten natürlich Berühmtheit: Aber keine der Karikaturen, die mit den Morden an den Charlie-Hebdo-Zeichnern in Zusammenhang stehen, stellt meines Wissens eine Verbindung zwischen Muslimen und Sex mit Tieren her. Wenn Cheema und Mendel das behaupten, sollten sie es belegen. Womit wir bei einem der Probleme wären, die es stets mit diesen Karikaturen gab: Anders als Cheema und Mendel behaupten, haben viele Zeitungen die Karikaturen nicht nachgedruckt und machten es dem Publikum schwer, sich selbst ein Bild zu machen. Das macht es leicht, falsche Behauptungen über diese Karikaturen in die Welt zu setzen. Für Cheema und Mendel sind die Karikaturen damit so etwas wie ein Kollateralschaden, den sie in Kauf nehmen, um ihre antirassistische Klientel bei Laune zu halten. Die FAZ hat meines Wissens nie alle dänischem Mohammed-Karikaturen veröffentlicht, schon gar nicht, als der Streit akut war. Keine der dänischen Mohammed-Karikaturen zeigt Sodomie mit Kamelen. Die Zeitung sollte diese Falschbehauptung korrigieren.

Aber es ist noch mehr falsch an dem, was Cheema und Mendel sagen. Die Gleichsetzungen mit den Documenta-Zeichnungen ist bestürzend. Nochmal: Niemand kam bei den Documenta-Zeichnungen auf die Idee, "dass die Darstellung von Juden mit blutunterlaufenen Augen, Vampirzähnen und Hakennase nur Religionskritik war", schreiben sie. Erstens tun die beiden in ihrer Logik des symbolischen Opfers so, als würden sich die Documenta-Zeichnungnen und die Mohammed-Karikaturen auf einem Niveau bewegen. Aber die Documenta-Karikaturen wiederholen nur uralte antisemitische Klischees. Die dänischen Mohammed-Karikaturen thematisieren dagegen selbst - mehr oder weniger originell und gekonnt - die Schwierigkeit der westlichen Öffentlichkeit im Umgang mit der islamistischen Herausforderung. Ich sehe in diesen Zeichnungen keine Hakennase. Die Zeichner setzen sich im übrigen ironisch mit der Vorgabe der Redaktion auseinander, die fragte, ob man Mohammed wirklich nicht in Karikaturen darstellen darf. Das alles sind völlig legitime Versuche einer Selbstreflexion der demokratischen Öffentlichkeit.

Zweitens offenbart die Argumentation Cheemas und Mendels en passant, dass die Ideologie des Antirassismus Antisemitismus und "antimuslimischen Rassismus" als etwas Gleiches behandeln will. Aber es handelt sich nicht um Parallelen: Das Judentum ist nicht nur eine Religion, sondern ein Volk. Eine antisemitische Karikatur kann nicht behaupten, sie leiste Religionskritik. Ihr Antisemitismus erweist sich darin, dass sie eine Bevölkerungsgruppe attackiert. Das Judentum ist - im Vergleich zum Islam - eine winzige Minderheit, die eine zweitausendjährige Geschichte essenzialisierender Denunziation erlitten hat. Der Islam ist dagegen die neben dem Christentum mächtigste Religion der Welt."