Freitag, 14.10.2022 / 13:04 Uhr

Wie weiter im Irak?

Von
Gastbeitrag von Hossam Sadek

Straßenschild in Arbil, Bild: Thomas v. der Osten-Sacken

Seit einem Jahr können sich die politischen Parteien weder auf einen Präsidenten noch auf eine neue Regierung einigen. Die Pattsituation kann zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führen.

 

Die politische Krise begann mit dem Ende der Parlamentswahlen vom 10. Oktober 2021, als die Fraktionen des vom Iran unterstützten Koordinationsrahmens, in dem die schiitischen Milizen der Volksmobilisierungskräfte politisch organisiert sind, sich weigerten, ihre Niederlage einzugestehen und es den siegreichen Parteien zu überlassen, eine Regierungskoalition mit einer Mehrheit im Parlament zu bilden.

Die Sadristische Bewegung unter der Führung des schiitischen Predigers Muqtada al-Sadr hatte bei den Wahlen mit 73 Sitzen die meisten Stimmen erhalten. Ihre Bemühungen, eine Mehrheitskoalition mit sunnitischen und kurdischen Kräften zu bilden, scheiterten jedoch am Widerstand des Koordinierungsrahmens und an der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, der höchsten juristischen Instanz im Irak, dass zwei Drittel der Parlamentsmitglieder an der Sitzung zur Präsidentschaftswahl teilnehmen müssen.

Krise in mehreren Etappen

Ein ganzes Jahr lang durchlief das Land eine politische Krise in mehreren Etappen, beginnend mit einem Rechtsstreit vor dem Bundesgerichtshof, um die Wahlen und ihre Legitimität anzufechten, über die Demonstrationen der Kräfte des Koordinationsrahmens, die zwei Monate lang im Präsidentenviertel in Bagdad stattfanden, bis hin zum Rückzug der Sadristen-Bewegung aus dem Parlament. Mit diesem Rückzug im vergangenen Juni trat die irakische Krise in eine neue Phase der Mobilisierung und Gegenmobilisierung auf der Straße ein. Das Land wurde Zeuge eines Kalten Krieges zwischen der Bewegung al-Sadrs und den proiranischen Kräften des Koordinationsrahmens.

Die Eskalation erreichte im Juli ihren Höhepunkt, als Anhänger von al-Sadr- das Präsidentenviertel stürmten und das Parlamentsgebäude für mehr als einen Monat unter ihre Kontrolle brachten. Im August kam es schließlich zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Friedensbrigaden, dem bewaffneten Flügel der Sadristen-Bewegung und anderen mit dem Iran und dem Koordinationsrahmen verbündeten Milizen.

Bei den zweitägigen Auseinandersetzungen in Bagdad gab es an die dreißig Tote und fast zweihundert Verletzte auf beiden Seiten. Stunden später griffen die Kämpfe auf Basra im Süden des Landes über, wo es ebenfalls Tote und Verletzte gab, bevor ein Waffenstillstand vereinbart wurde, der zwar brüchig ist, aber im Großen und Ganzen bis heute andauert.

Wie aus der Sackgasse?

Die Sadristen-Bewegung fordert vorgezogene Wahlen, doch müssten diese unter einer Regierung mit vollen Befugnissen abgehalten werden, die die derzeitige Übergangsregierung nicht innehat. Dies bedeutet, dass sich die verschiedenen Parteien erst auf die Bildung einer neuen Regierung einigen müssten, um dann Neuwahlen vorzubereiten.

In diesem Zusammenhang rief der Chef der geschäftsführenden Regierung, Mustafa al-Kazemi, die Parteien zu Gesprächen auf, um die Pattsituation zu lösen und das Land aus der Sackgasse zu manövrieren. Unterdessen warnte die Mission der Vereinten Nationen, dass der Irak »nicht mehr viel Zeit hat, zumal die anhaltende Krise weitere Instabilität verheißt«.

Der irakische Politologe Ihsan al-Shammari ist der Ansicht, dass der Koordinierungsrahmen schließlich gezwungen sein wird, die Forderungen der Bewegung al-Sadrs zu akzeptieren, von denen die wichtigste die Durchführung vorgezogener Wahlen ist. Gegenüber der amerikanischen Website Al-Hurra erklärte al-Shammari, dass der Koordinierungsrahmen »aufgrund des internationalen Drucks in Verlegenheit geraten« sei, da die widerstreitenden schiitischen Blöcke für die Nichtbildung einer Regierung verantwortlich gemacht würden.

Der politische Analyst Ali al-Baydar meinte in einem Presseartikel, der Koordinationsrahmen »fürchtet die Reaktion der sadristischen Bewegung, weshalb er nicht versucht hat, einseitig eine Regierung zu bilden«. Der irakische Wissenschaftler Ahmed al-Zubaidi fügte hinzu, dass »selbst vorgezogene Wahlen die politischen Probleme des Iraks nicht lösen werden« und kam zu dem beunruhigenden Schluss: »Ich glaube, dass wir uns in einer Sackgasse befinden, und dass das Schlimmste zu erwarten ist.«