Sonntag, 15.01.2023 / 22:13 Uhr

Nächstes Jahr in Teheran!

Von
Gastbeitrag von Tabby Refael

Bildquelle: Twitter

Geht es um den Iran, stellt sich nicht mehr die Frage, ob das Teheraner Regime gestürzt wird, sondern nur noch, wann es endlich soweit sein wird.

 

Im September verlor ich meinen geliebten Onkel mütterlicherseits, Mansour Torbati, einen Arzt, der in Jerusalem lebte. Sechs Monate zuvor, im Februar, hatte er einen weiteren Herzinfarkt erlitten, doch in dem Glauben, er sei auf dem Weg der Besserung, gab er seiner besorgten Familie eine seltsam anmutende Erklärung: Er würde nach Aserbaidschan gehen. 

Als Mansours Kinder ihn fragten, warum er die ehemalige Sowjetrepublik besuchen wolle, rührte seine Antwort sie zu Tränen. Vor vier Jahrzehnten war Mansour, der in Teheran geboren wurde und immer glaubte, die besten Jahre seines Lebens im Iran verbracht zu haben, gezwungen, mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern aus dem Land zu fliehen. Wie viele Iraner zu jener Zeit verachtete er die fanatische Theokratie unter der Führung von Ayatollah Ruhollah Khomeini, die den säkularen, westlich orientierten Schah Mohammad Pahlavi abgelöst und den Iran in einen offiziellen islamischen Staat verwandelt hatte, in dem Andersdenkende ungestraft getötet wurden.

Mein Onkel quälte sich ewig mit dem Gefühl, dass ihm sein Land entrissen worden war. Er floh nach Israel und begann im jüdischen Staat ein völlig neues Leben, einschließlich einer neuen Arztpraxis. Doch im vergangenen Februar überfiel Mansour ein besonderer Wunsch: Er wollte dem Iran wieder nahe sein.

Als er seine Kinder informierte, nach Aserbaidschan zu reisen, meinten sie, er müsse sich nach dem Herzinfarkt ausruhen und werde außerdem nicht mehr in den Iran einreisen können. Mansour antwortete: »Das weiß ich. Ich möchte nur an der Grenze zwischen Aserbaidschan und dem Iran stehen und über den Weg schauen, um mein geliebtes Land wieder mit eigenen Augen zu sehen, wenn auch nur aus der Ferne.« Er hat es nie bis zu dieser Grenze geschafft. 

Mein Onkel hat sein Leben in Israel nicht immer geliebt. Als leidenschaftlicher Zionist und Jude liebte er das Konzept eines jüdischen Staates und war Israel ewig dankbar. Aber er war ständig gestresst über das, was er als hartes Leben dort beschrieb, insbesondere für einen iranischen Einwanderer, der mit der metaphorischen rosaroten Brille in das Land kam.

Ich selbst bin glühende Zionistin, räume aber ein, dass die jüdische Welt einer allzu romantischen Erzählung anhängt, die Juden, die aus arabischen und muslimischen Ländern geflohen sind, so darstellt, als seien sie in Israel angekommen, ohne jemals zurückzublicken. Aber für viele iranische Juden war es einfach nicht so. Obwohl Hitlers Armee während des Zweiten Weltkriegs der iranischen Grenze gefährlich nahe kam, gab es im Iran (im 20. Jahrhundert) nie dasselbe Ausmaß an Verfolgung, das andere jüdische Gemeinden in der Region plagte, wie etwa das Farhud-Massaker in Bagdad 1941 oder die Flucht-oder-Tod-Gewalt gegen Juden in Ländern wie Libyen und Syrien während des Sechstagekriegs im Jahr 1967.

Die iranischen Juden, die ab den 1950er Jahren nach Israel einwanderten, kamen größtenteils ohne die gleiche verzweifelte Überlebensnotwendigkeit wie andere Juden nach Israel. Sie kamen vor allem, weil sie Zionisten waren (und es half, dass sie vor der Islamischen Revolution von 1979 zwischen Israel und dem Iran hin- und herreisen konnten). Die Revolution, so schrecklich sie auch war, war kein Pogrom gegen Juden. 

Und dann sind da noch die iranischen Juden, die dem postrevolutionären Iran entkommen sind und als Flüchtlinge und Einwanderer in die Vereinigten Staaten kamen. Jahrzehntelang war unsere Geschichte in Amerika eine überwiegend glückliche. Bis jetzt.

Die Revolution, die wir heute im Iran erleben, geht über das Land hinaus; es ist ein Kampf für die Demokratie im Allgemeinen.

Unter den iranisch-amerikanischen Juden geht ein Gemurmel tiefer Besorgnis über den schockierenden Anstieg des Antisemitismus in diesem Land um, verbunden mit einer Welle drohender ziviler Unruhen, sei es im Zusammenhang mit den Rassenbeziehungen oder der gefährlichen – ja, gefährlichen – Kluft zwischen der Linken und der Rechten im heutigen Amerika. Diese Besorgnis kam in einem Gespräch zum Ausdruck, das ich während eines Sukkot-Mittagessens im Herbst mit meinem Freund David Ebrami führte.

Wie ich hat auch David schon als Kind den Iran verlassen. In den letzten Jahrzehnten hat er zugegeben, in Los Angeles ein »tolles Leben« geführt zu haben. Aber jetzt sieht Dave, wie ich ihn nenne, eine Veränderung zum Schlechteren. Während des Mittagessens sprachen wir über die aktuelle, historische Revolution im Iran, die auf den Sturz des theokratischen Regimes abzielt. Aber wir sprachen auch über Los Angeles, ein Los Angeles, das keiner von uns beiden mehr kennt: Gewaltverbrechen, die nicht geahndet werden, ein Gefühl des Grauens, ist man auf der Straße unterwegs, und die Ungewissheit, ob das Gegenüber ein heimlicher Antisemit ist.

Dann machte Dave eine erstaunliche Beobachtung, die den Pessimismus in Bezug auf das heutige Amerika mit dem Optimismus in Bezug auf die derzeitige Revolution im Iran verband: »Tabby«, sagte er lachend, »wäre es nicht unglaublich, wenn die Dinge in Amerika so schlecht und im Iran so gut würden, dass wir, die Flüchtlinge, die in dieses Land geflohen sind, zurück in den Iran fliehen müssten?!« – Stellen Sie sich das vor.

Aber die Realistin in mir – diejenige, die von Staatsstreichen und Kriegsführung gelernt hat, bevor sie ernte, ihre Schuhe zu binden – weiß, dass im Leben (und in der Staatskunst) alles passieren kann. Und wenn es um den Iran geht, stellt sich nicht mehr die Frage, ob das Regime gestürzt werden wird, sondern nur noch, wann es endlich so weit sein wird..

Während es auch erfreuliche Nachrichten gibt, sind die Iraner auf der ganzen Welt zutiefst betrübt über die Hunderten von Toten und Zehntausenden von Verhafteten im Iran.

Letzten Monat sind die Iraner in der Diaspora fast von den Stühlen gefallen, weil eine Frau namens Badri Hosseini Khamenei einen Brief geschrieben hat. Sie warf dem Obersten Führer seine »despotische« Herrschaft vor und beschuldigte das Regime, dem Iran und den Iranern »nichts als Leid und Unterdrückung« zu bringen, und ging sogar so weit, zu fordern, dass das Korps der Iranischen Revolutionsgarde (IRGC) seine Waffen niederlegt. – Badri Hosseini Khamenei ist die Schwester des Obersten Führers des Irans, Ayatollah Ali Khamenei.

Dann kam die Nachricht, die Mullahs führten Gespräche mit venezolanischen Führern über eine mögliche Zuflucht in dem lateinamerikanischen Land, falls das Regime gestürzt werden sollte. »Hast du Whiskey in der Speisekammer?«, fragte mich mein Vater, als er mir die Neuigkeiten aus Venezuela erzählte. »Das ist eine Entwicklung, die es wert ist, gefeiert zu werden.«   

Doch während es auch erfreuliche Nachrichten gibt, sind die Iraner auf der ganzen Welt zutiefst betrübt über die Hunderten von Toten und Zehntausenden von Verhafteten im Iran, darunter über fünfzig Kinder, die im Zusammenhang mit der historischen Revolution, die heute im Land stattfindet, getötet wurden. Wir in der Diaspora sind den Menschen im Iran für ihre Aufopferung und ihren unerschrockenen Mut auf ewig zu Dank verpflichtet. Wir können ihnen das nie vergelten, aber wir werden sie immer ehren.

Die Revolution, die wir heute im Iran erleben, geht über das Land hinaus; es ist ein Kampf für die Demokratie im Allgemeinen. Sollte die iranische Armee (nicht zu verwechseln mit den gefürchteten Basij oder den IRGC, die völlig untergebene Regimetreue sind) eingreifen und die Demonstranten auf der Straße verteidigen, hat die Revolution die besten Chancen auf Erfolg. 

Erst dann, nachdem ich für diejenigen gebetet habe, die nie einen freien Iran erlebt haben, weil sie für einen freien Iran gestorben sind; nachdem ich einen erfolgreichen Übergang von der theokratischen Tyrannei zur wählbaren Demokratie erlebt und gesehen habe, wie die Porträts der Ajatollahs Khomeini und Khamenei aus iranischen Regierungsgebäuden entfernt und durch Bilder von Mahsa Amini ersetzt wurden, der 22-jährigen Frau, deren brutaler Tod im September einen historischen Brand auslöste, hoffe ich, ein Glas Whiskey zu trinken, an meinen verstorbenen Onkel Mansour zu denken, den ich vor vier Monaten in Jerusalem verloren habe, und auszurufen: »Nächstes Jahr in Teheran!«

Tabby Refael ist preisgekrönte Schriftstellerin, Rednerin und Aktivistin für Bürgerinitiativen aus Los Angeles. (Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate. Übersetzung für Mena-Watch von Alexander Gruber.)