Mittwoch, 29.03.2023 / 18:37 Uhr

Demonstrationen gegen türkische Besatzer in Afrin

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Proteste in Jindiris, Bildquelle: Youtube

Die Türkei und ihre lokalen Verbündeten kontrollieren den Nordwesten Syriens. Bei den Verbrechen, die dort geschehen, will niemand hinsehen.

 

In Jindêris, einer kleinen nordsyrischen Stadt in der Provinz Afrin, wollten am Neujahrfest Newroz Kurdinnen und Kurdinnen, wie überall auch, ein wenig feiern. Das endete in einem Blutbad, weil mit der Türkei verbündete Milizen das Feuer auf sie eröffneten. Vier Menschen starben. Seitdem finden fast täglich Demonstrationen statt, die ersten seit türkische Truppen 2018 in Afrin einmarschiert sind.

Die Provinz war bis dahin Teil des selbstverwalteten Rojava-Gebietes – und der türkischen Regierung ein Dorn im Auge. Deshalb eroberten türkische Truppen mit Unterstützung der sogenannten Syrian National Army (SNA) die Region. Die SNA sollte nicht mit der Free Syrian Army (FSA) verwechselt werden, die sich 2012 aus Deserteuren der regulären Armee bildete, anfangs vor allem mit dem Ziel, Demonstrationen vor syrischen Sicherheitskräften zu schützen. Die SNA ist eher eine Söldnertruppe im Dienst der Türkei und setzt sich aus ehemaligen Mitgliedern verschiedener islamistischer oppositioneller Milizen zusammen.

 

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Seit Afrin von den Türken besetzt wurde, kam es dort zu massiven und systematischen ethnischen Säuberungen, deren Ziel, so der Betreiber der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abd Al-Rahman, darin besteht, eine sunnitisch-arabische Bevölkerungsmehrheit zu schaffen. Laut Human Rights Watch zerstörten oder enteigneten syrische Milizionäre auch unzählige Gebäude, die Kurden gehörten. Nach Angaben der Vereinten Nationen verließen oder flohen nach der türkischen Invasion fast drei Viertel der ursprünglichen Bevölkerung Afrin.

Mit Hilfe der Türkei soll dieses Gebiet also systematisch arabisiert und Flüchtlinge aus anderen Teilen des Landes, vor allem dem Süden Syriens, hier angesiedelt werden. Mit dieser Politik versucht der türkische Staat, seine Grenze besser zu sichern und die PKK zu schwächen, während sich oppositionelle syrische Islamisten, die seit Jahren im Krieg mit der kurdischen PYD liegen, eine Ausweitung ihrer Einflusszone erhoffen.

Nun wurde Afrin, wie andere Teile Nordwestsyriens auch, während des Erdbebens im Februar schwer zerstört. Ganze Viertel von Jindêris etwa liegen in Trümmern, die Versorgung der Betroffenen geht, wenn überhaupt, nur schleppend voran.

Aufklärung gefordert

Auf den Demonstrationen wird von türkischen Besatzungstruppen und SNA eine Aufklärung der jüngsten Morde und ein Ende der Arabisierungspolitik gefordert. Human Rights Watch hat sich in einer Erklärung diesen Forderungen angeschlossen. »Diese Morde geschahen nach über fünf Jahren unaufgeklärter Menschenrechtsverletzungen durch türkische Streitkräfte und von ihnen unterstützte lokale syrische Gruppierungen«, so Adam Coogle, stellvertretender Direktor für den Nahen Osten bei Human Rights Watch.

»Die Türkei hat diesen Kämpfern erlaubt, ungestraft Menschen zu missbrauchen, die in den Gebieten unter ihrer Kontrolle leben, und riskiert, sich an den Übergriffen mitschuldig zu machen.

 

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Bildquelle: Wikimedia

 

Als Besatzungsmacht und als Unterstützer der lokalen Gruppierungen, die in Gebieten unter ihrer Kontrolle in Nordsyrien operieren, ist die Türkei verpflichtet, diese Morde zu untersuchen und dafür zu sorgen, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Die Türkei sollte auch jegliche Unterstützung für SNA-Fraktionen einstellen, die in wiederkehrende oder systemische Menschenrechtsverletzungen und Verletzungen des humanitären Völkerrechts verwickelt sind.«

Es steht weder zu erwarten, dass die türkische Regierung diesen Forderungen nachkommen, noch dass es nennenswerten Druck auf sie aus Europa oder den USA geben wird, dies zu tun. Faktisch geschah der Einmarsch 2018 mit stiller Duldung aus dem Westen – und seitdem wird systematisch weggeschaut, wenn es in Afrin zu Menschenrechtsverletzungen und Vertreibungen kommt.