Dienstag, 14.05.2024 / 12:02 Uhr

Iran: Völlig dysfunktionales Bildungssystem

Von
Gastbeitrag von Farzad Amini

Studentinnen im Iran, Bildquelle: INSA

Die fehlgeleitete Jugendpolitik des iranischen Regimes hat zu drängenden gesellschaftlichen Herausforderungen geführt, wie das verfehlte Bildungs- und Jugendmanagement belegt.

 

Nach der Islamischen Revolution im Iran im Jahr 1979 und in den ersten beiden Jahrzehnten nach der Revolution erfuhr das Land einen erheblichen Anstieg des Bevölkerungswachstums. Dabei erlebte der Iran einen bemerkenswerten demografischen Wandel, der durch eine wachsende junge Bevölkerung gekennzeichnet war, die sich nach Bildung und Beschäftigungsmöglichkeiten sehnte. 

Eine fehlgeleitete staatliche Jugendpolitik führte jedoch zu tiefgreifenden gesellschaftlichen Problemen. Insbesondere im Bereich der Hochschulbildung hatten Maßnahmen wie die Priorisierung von Bildung ohne Berücksichtigung der Anforderungen des Arbeitsmarktes weitreichende negative Auswirkungen auf diese Generation. Die Auswirkungen dieser Politik wirken noch immer nach, da ein großer Teil der jungen Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen lebt und darum kämpft, Stabilität in familiären, sozialen, wirtschaftlichen und beruflichen Bereichen zu erreichen.

Während der achtjährigen Präsidentschaft von Ali Akbar Haschemi Rafsandschani in den 1990er Jahren setzte die Regierung eine fehlgeleitete Strategie um, um den Zustrom junger Menschen zu bewältigen, von denen viele negative Erfahrungen wie den iranisch-irakischen Krieg, Sanktionen und die Inflation erlebt hatten. 

Die Strategie der Rafsandschani-Regierung beinhaltete die Gründung diverser Universitäten im ganzen Iran, darunter die Azad-Universität, Elmi Karbordi, Payam Noor und andere, selbst in den kleinsten Städten des Landes, um Studenten anzuziehen. Das Hauptziel dieser Gründungsinitiative war es, junge Menschen den Erwerb einer Universitätsbildung zu ermöglichen, da die Regierung keine sonstigen Pläne für ihre Beschäftigung hatte. Im Wesentlichen diente die Ausbildung als vorübergehende Ablenkung und Beschwichtigungsmaßnahme, um diese Menschen vom Arbeitsmarkt fernzuhalten.

Bildung ohne Aussicht

In dieser Zeit erzielten bestimmte Einrichtungen wie Aufnahmeprüfungsinstitute und privat geführte Universitätszentren, die oft von Regimebeamten beaufsichtigt wurden, erhebliche Gewinne. Die Aufnahmeprüfungsindustrie und der damit verbundene Erfolg wurden für das Regime über Jahrzehnte hinweg zu einem lukrativen Geschäft.

Um die Jugend mit einer Ausbildung zu beschäftigen, die nicht unbedingt mit darauffolgenden Arbeitsmöglichkeiten verbunden war, ermutigte das Regime sie auch, unter dem Versprechen, sich damit bessere gesellschaftliche Positionen zu sichern, ein höheres Bildungsniveau anzustreben. Zusammen mit der Ausbreitung bezahlter Universitätszentren führte dies dazu, dass viele Universitätsabsolventen glaubten, der Abschluss von Master- und Promotionsprogrammen sei für den Erfolg im Beruf und in der Gesellschaft unerlässlich. 

In Folge dauerte das Streben nach Bildung mit dem Ziel, eine angemessene Beschäftigung zu finden, für die meisten jungen Menschen oft länger als ein Jahrzehnt. Aufgrund der Diskrepanz zwischen ihren dabei erworbenen Fähigkeiten und den herrschenden Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt konnten viele trotz ihrer umfassenden Ausbildung nach dem Studium keine angemessene Beschäftigung finden.

Um die Jugend mit einem Studium beschäftigt zu halten, das oft nicht in eine Arbeitsstelle mündete, förderte das Regime die Weiterbildung als Weg zu einem besseren gesellschaftlichen Ansehen. Infolgedessen dauerte das Streben nach Hochschulbildung mit dem Ziel der Beschäftigungssicherung für die meisten jungen Menschen oft länger als ein Jahrzehnt.

Darüber hinaus hat die staatliche Hochschulpolitik nicht nur der Quantität den Vorrang vor der Qualität gegeben, sondern auch die Bildungsdisparitäten verschärft. Die Gründung gewinnorientierter Universitäten im ganzen Land ermöglichte es vermögenden Personen, Abschlüsse auf der Grundlage finanzieller Mittel und nicht auf der Grundlage von Verdiensten zu erwerben, wodurch sozial schwache Studierende benachteiligt und die Anerkennung akademischer Spitzenleistungen untergraben wurden.

Trotz jahrelanger Universitätsausbildung sind die Beschäftigungsmöglichkeiten für viele der zwischen 1976 und 1996 Geborenen nach wie vor gering, und die Daten deuten auf eine hohe Arbeitslosenquote oder eine Beschäftigung in Bereichen hin, die nichts mit ihrem akademischen Hintergrund zu tun haben. Darüber hinaus spiegelt die Schließung kostenpflichtiger Universitätszentren den Rückgang der Einschreibungen bei den nachfolgenden Generationen und ihre Unwirksamkeit bei der Förderung von Beschäftigung wider.

Notlösungen statt Problembehebungen

Die fehlgeleitete Jugendpolitik des Regimes in der ersten und zweiten Generation nach der Islamischen Revolution von 1979 hat im Iran zu mehreren bedeutenden gesellschaftlichen Herausforderungen geführt: In erster Linie verfügt ein erheblicher Teil der jungen Menschen zwar über einen Hochschulabschluss, auch einen Doktortitel, doch fehlt es ihnen an praktischer und wissenschaftlicher Kompetenz, um diese Qualifikationen zu belegen. 

Im Grunde haben viele nur einen Abschluss erworben, ohne sich die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten anzueignen. Darüber hinaus zögern viele Menschen, eine Beschäftigung außerhalb ihres Studienfachs anzustreben, was zu Enttäuschungen führt, wenn sich keine geeigneten Möglichkeiten bieten. Infolgedessen sehen sich viele zwar als Teil einer Elite, obwohl sie nicht über die erforderlichen Qualifikationen verfügen, diese Behauptung zu untermauern.

Letztendlich ist die fehlgeleitete Politik des iranischen Regimes offensichtlich geworden, die oft durch kurzsichtige Ansätze gekennzeichnet ist, die eher vorübergehenden Notlösungen als einem dauerhaften Angehen der Probleme ähneln. 

Besonders deutlich wird dieser Trend im Umgang mit den zwischen 1976 und 1996 geborenen Generationen. Die verfehlte Jugendpolitik der Regierung dieser Zeit hat die iranische Gesellschaft nachhaltig beeinflusst, was bis heute nachwirkt. Gegenwärtig hat das Regime mit einer Generation zu kämpfen, die zwar über einen Hochschulabschluss verfügt, der aber die praktischen Fähigkeiten und die Orientierung fehlen, die für ein sinnvolles Engagement in ihrem Leben notwendig sind. Infolgedessen finden sich viele inmitten der Komplexität des Erwachsenseins hilflos und unsicher wieder.

 

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch