Dienstag, 01.10.2024 / 12:26 Uhr

EU-Flüchtlingsdeal mit Tunesien: Staatlich orchestrierte Menschenrechtverletzungen

Boot der tunesischen Küstenwache, Bildquelle: Wikimedia Commons

Mit ihren Geldern fördert die EU Korruption und Missmanagement innerhalb der tunesischen Sicherheitskräfte, so, wie sie es zuvor schon in Libyen tat.

Der Deal gegen Flüchtlinge, den die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vergangenes Jahr überhastet mit dem autokratisch regierenden tunesischen Präsidenten Kais Saied abgeschlossen hat, stieß schon kurz danach sogar in den Reihen der EU auf Kritik.

 

Seitdem hat sich die Lage in Tunesien weiter verschlechtert: Die anstehenden Präsidentschaftswahlen sind ein besserer Witz, denn Saied hat de facto alle möglichen Gegenkandidaten hinter Gitter bringen lassen und regiert das Land inzwischen wie ein Diktator. Das weiß man auch in Brüssel, wo entsprechende Berichte sogar vonseiten der EU vorliegen, wie The Guardian kürzlich in Erfahrung brachte:

 

»Ein interner Bericht des diplomatischen Dienstes der EU (EAD), der dem Guardian vorliegt, beschreibt ›eine deutliche Verschlechterung des politischen Klimas und eine Einschränkung des zivilgesellschaftlichen Raums‹ unter dem tunesischen Präsidenten Kais Saied, der seit seinem Amtsantritt im Jahr 2019 das Parlament suspendiert und die Macht in seinen Händen konzentriert hat. (…)

 

Der fünfseitige Bericht schildert die Verhaftung von Oppositionspolitikern, Journalisten, Anwälten und Geschäftsleuten vor den Präsidentschaftswahlen im nächsten Monat. Auch Mitarbeiter von NGOs, die Migranten helfen, wurden verhaftet, ›die meisten davon sind Durchführungspartner von EU-finanzierten Programmen‹, heißt es in dem EU-Dokument.

 

UNO weiß Bescheid

 

Was für Oppositionelle und Kritiker des Präsidenten gilt, gilt umso mehr für all jene Flüchtlinge aus dem subsaharischen Afrika, die es nach Tunesien geschafft haben. Gegen sie wird neuerdings mit aller Härte vorgegangen. Schon letztes Jahr wurde bekannt, dass tunesische Sicherheitskräfte Flüchtlinge im Niemandsland an der libyschen Grenze aussetzten, wo einige sogar verdursteten. Diese Praxis wird fortgeführt und nun auch an der algerischen Grenze praktiziert. Auch bei der UNO weiß man Bescheid:

 

»Ein vertraulicher UN-Bericht über Menschenrechte besagt, dass tunesische Grenzpolizisten Migranten festnahmen und sie nach Libyen überstellten, wo sie Erpressung, Folter und sogar Tötungen sowie Zwangsarbeit ausgesetzt waren. Beide Länder spielen eine wichtige Rolle bei den Bemühungen der EU, den Zustrom von Migranten aus Nordafrika nach Südeuropa über das Mittelmeer einzudämmen.

 

Der Bericht vom 23. Januar enthüllte, dass in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres Hunderte von Migranten in Tunesien verhaftet und nach Libyen deportiert wurden. Auf der Grundlage von Interviews mit achtzehn zuvor inhaftierten Personen und Beweisen, darunter Fotos und Videoclips von Foltervorfällen in einer Einrichtung, hebt der Bericht den systematischen Missbrauch hervor, dem Migranten ausgesetzt sind, und verschärft damit die bereits in Libyen weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen.«

 

 Offenbar scheint sich allerdings in Europa, wo man sich mit Vorschlägen für eine noch repressivere Flüchtlingspolitik förmlich überschlägt und inzwischen sogar Deals mit der quasi von der Hisbollah kontrollierten libanesischen Regierung abschließt, wenig um solche gezielten und staatlich orchestrierten Menschenrechtsverletzungen zu scheren. Hauptsache, es kommen weniger Menschen über das Mittelmeer. Alles andere ist zweitrangig.

 

EU fördert Korruption

 

Interessieren müsste sich die EU allerdings eigentlich für etwas anderes. Was in Libyen seit Jahren Praxis ist, wird nun auch aus Tunesien berichtet: Sicherheitskräfte profitieren sowohl vom EU-Geld als auch von den Unsummen, die Menschen für die lebensgefährliche Fahrt nach Italien zahlen müssen.

 

Jene Milizen, die in Libyen seit einiger Zeit vor allem mit italienischem Geld als Küstenwache fungieren, sind nämlich selbst als Menschenschmuggler aktiv. Diese Information stammt unter anderem von der EU-Flüchtlingskommissarin selbst. In einem Hearing im EU-Parlament sprach sie im Sommer von »einem klaren Hinweis darauf, dass kriminelle Gruppen die Küstenwache unterwandert haben«.

 

Kaum ein Jahr nach dem Tunesien-Deal häufen sich die Indikatoren, dass Ähnliches nun auch in Tunesien geschieht. Erneut sind diese Erkenntnisse dem Guardian zu verdanken, der im südtunesischen Sfax, wo sich bis zu 20.000 Menschen aus dem subsaharischen Afrika unter elendigsten Bedingungen aufhalten, mit verschiedenen Schleusern sprach. Die Zeitung schrieb von unfassbaren Zuständen und systematischer Repression seitens tunesischer Polizisten.

 

Inzwischen scheint die Polizei sogar selbst in das lukrative Geschäft eingetreten zu sein: »Schmuggler aus Sfax berichten dem Guardian jedoch von weit verbreiteter und systematischer Korruption zwischen ihnen und der Nationalgarde. ›Die Nationalgarde organisiert die Boote für die Überfahrt über das Mittelmeer. Sie beobachten, wie sie zu Wasser gelassen werden, konfiszieren dann das Boot und den Motor und verkaufen sie an uns zurück‹, erzählte Youssef. Der Mangel an 2.400-Euro-Motoren in Sfax bedeute, dass die Nationalgarde oft der einzige Verkäufer ist. ›Schmuggler rufen die Polizei an, um Ersatzmotoren zu bekommen. Ein Schmuggler kauft vielleicht viermal denselben Motor von der Nationalgarde.‹«

 

De facto fördert die EU also Korruption und Missmanagement innerhalb der tunesischen Sicherheitskräfte, so, wie sie es zuvor schon in Libyen tat. Das allerdings scheint Politiker in Brüssel nicht davon abzuhalten, weitere Gelder nach Tunesien zu überweisen, wie der Guardian schreibt:

 

»Ein Aktionsplan, der im vergangenen Dezember in Umlauf gebracht wurde, besagt, dass 25 Millionen Euro für Patrouillenschiffe, Ausbildung und Ausrüstung für die nationale Seestreitmacht bereitgestellt wurden. Berichten zufolge plant die EU bereits, die Mittel für die Sicherheitskräfte Tunesiens in den nächsten drei Jahren auf bis zu 167 Millionen Euro aufzustocken.«

 

 Bestenfalls ein müdes Lächeln

 

Auf Druck verschiedener Parlamentarier und Menschenrechtsorganisationen sah sich die EU-Kommission kürzlich zu der Zusage genötigt, in absehbarer Zeit eine Fact Finding Mission nach Tunesien zu schicken, um den Vorwürfen nachzugehen.

 

Ein Sprecher der Kommission sagte, alle Vorwürfe von Fehlverhalten der tunesischen Sicherheitskräfte sollten von den zuständigen tunesischen Behörden untersucht werden. »Die Achtung der Menschenrechte und der Menschenwürde aller Migranten, Flüchtlinge und Asylsuchenden sind grundlegende Prinzipien des Migrationsmanagements, die im Einklang mit den Verpflichtungen des Völkerrechts stehen. Die EU erwartet von ihren Partnern, dass sie diese internationalen Verpflichtungen erfüllen, einschließlich des Rechts auf Nichtzurückweisung. Die Kommission setzt sich weiterhin für die Verbesserung der Situation vor Ort ein.«

 

Nur wer noch daran glaubt, dass EU-Außen- bzw. Flüchtlingspolitik noch irgend etwas mit Respekt vor Menschenrechten zu tun hat, mag hoffen, dass diese Mission irgendwelche konkreten Folgen haben werde. Ähnlich wie im Falle Libyens, wo es ähnliche Initiativen gab, dürften ein paar Reformvorschläge die Folge sein, die bei den Betreffenden in Tunesien nicht einmal ein müdes Lächeln hervorrufen, denn sie wissen ganz genau, dass die EU sie dringend braucht und auch in Zukunft alle Augen zudrücken will – und wird.

 

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watchh