Wie baut man einen Löwen?

William Clinton stellt auf seiner elftägigen Afrika-Tournee sein neues Album "Trade, Not Aid" vor. Der Titel kommt schlechter an als der Interpret

Die Bilder gleichen sich: Vor 20 Jahren tourte US-Präsident Jimmy Carter durch Afrika, zog brav die als Geschenk gereichten Ethnogewänder über und sprach von Hilfe, Unterstützung und Versäumnissen. Seit Anfang vergangener Woche ist William Clinton in Afrika unterwegs: Staatsempfänge, Konferenzen und Foto-Shootings, hier Shakehands zur moralischen, dort ein paar Dollar zur ökonomischen Unterstützung. Fast überall strahlende und lachende Gesichter, genauso wie einst beim Besuch des letzten von den Demokraten gestellten US-Präsidenten.

Und doch hat sich viel geändert. Suchte Carter 1978 noch vorsichtig danach, wer sich als Bündnispartner im kalten Krieg kaufen ließe, kann Clinton heute selbstbewußt seine als "Jahrhundertreise" apostrophierte Tournee ohne nennenswerte Kosten durchführen. Breiter politischer Unterstützung kann er sich ohnehin gewiß sein. Frankreichs Einfluß in Zentralafrika nimmt seit dem Sturz des frankophonen Hutu-Regimes in Ruanda 1994 und dem Machtwechsel im vergangenen Jahr im Kongo stetig ab. Selbst in der traditionellen Einflußsphäre Frankreichs, Westafrika, paktieren - geheim oder offen - einzelne Staaten inzwischen lieber mit Washington denn mit Paris.

Seit dem 23. März ist Clinton in Afrika unterwegs. In elf Tagen bereist er Afrika südlich und nördlich des Äquators, angefangen im Westen, dann in den Osten, von dort in den Süden, schließlich zurück an die Westküste: ein Tag Ghana, eineinhalb Tage Uganda, drei Stunden Ruanda, vier Tage Südafrika, den Rest müssen sich Botswana und der Senegal teilen.

Mit den Worten "Mein Traum ist, daß unsere Enkel in hundert Jahren sagen werden, dies war der Beginn einer afrikanischen Renaissance", fand Clinton in Ghana gleich den richtigen Ton zum Auftakt. Sich visionär geben, unverbindlich bleiben - und die Reise demonstrativ in einem Staat Westafrikas beginnen. Ghanas Präsident Jerry Rawlins durfte sich zur Begrüßung aber auch allerhand Kryptisches und Kritisches anhören - Clinton charakterisierte Afrika als "Ort des Neuanfangs und alter Weisheiten" und griff das nigerianische Militärregime scharf an. Nigeria, bis vor wenigen Wochen noch Bündnispartner gegen Frankreich, scheint den USA seit dem militärischen Eingreifen in Sierra Leone zu dominant zu werden, zumal sich Alleinherrscher Sani Abacha um eine Wiederannäherung an Frankreich bemüht.

Am nächsten Tag ging es zum ersten der beiden wichtigsten Ziele weiter. Empfangen von Ugandas Präsidenten Yoweri Museveni bekannte sich Clinton zu den "Sünden der Vergangenheit" - zumindest ein bißchen: Im Kampf gegen den Kommunismus habe die USA während des Kalten Krieges nicht so genau hingesehen, wen sie unterstütze. Dies sei eine "Sünde der Vernachlässigung und Ignoranz" gewesen, ebenso wie der Sklavenhandel, von dem aber "europäischstämmige Amerikaner" profitiert hätten, "noch bevor wir eine Nation wurden", versuchte Clinton zu beschwichtigen.

Noch reuiger zeigte er sich während eines dreistündigen Kurztrips in Ruandas Hauptstadt Kigali. Er sei gekommen, so Clinton, den Opfern des "Genozids" den "Respekt meiner Nation" zu bezeugen, da der Massenmord der Hutu an über einer Million Menschen in Ruanda 1994 "fünfmal schneller als die Gaskammern der Nazis" gewesen sei.

Danach schnell wieder zurück nach Uganda zum Ostafrika-Gipfel mit den Regierungschefs von Uganda, Ruanda, Tansania, Kongo, Kenia, Äthiopien, dem Finanzminister Zimbabwes und dem Generalsekretär der Organisation für Afrikanische Einheit, um die "Grundsatzerklärung von Entebbe" zu verabschieden: Die Gipfelteilnehmer erkennen an, heißt es dort, "daß es kein fixes Modell für demokratische Institutionen oder Übergänge gibt und daß alternative Ansätze zum demokratischen Umgang mit kultureller Verschiedenheit erforscht werden müßten". Was nichts anderes bedeutet, als daß gewaltsame Machtwechsel im nachhinein legitimiert werden, wenn der neue Machthaber sich durchsetzen kann - und sich kooperationsbereit zeigt. Ganz so wie in frühen Phasen westlicher Demokratien. Auch können Mehrparteiensysteme und andere Elemente bürgerlicher Demokratiemodelle vorhanden sein, sie müssen aber nicht.

Die nächste Station war nicht nur zeitlich die bedeutendste: Südafrika. Nach einem Besuch der ehemaligen Gefängnis-Insel Robben Island, zusammen mit Nelson Mandela, der dort den größten Teil seiner Gefangenschaft absitzen mußte, stand trotz guter Beziehungen und gemeinsamer wirtschaftlicher Interessen Kritik im Vordergrund. Die ANC-geführte Regierung Südafrikas unterhält - als Dank für die Unterstützung im Kampf gegen das Apartheidsregime - gute Beziehungen zu Libyen, dem Iran und Kuba, was von den USA immer wieder kritisiert wird. Südafrika lehnt schon seit geraumer Zeit jegliche Einmischung der USA in die Außenpolitik des Landes ebenso ab wie den Pentagon-Vorschlag zu einer afrikanischen Friedenstruppe unter US-Schirmherrschaft.

Für weitere Verstimmung hatte der African Growth and Opportunity Act gesorgt, ein neues US-Handelsgesetz, das zwar die Reduzierung von Grenzzöllen vorsieht, insgesamt aber afrikanische Handelspartner benachteilige, wie Vizepräsident Thabo Mbeki kritisierte. Zudem sei Clintons Afrika-Konzept "Trade, not aid" ("Handel statt Hilfe") kurzsichtig, Afrika brauche beides, führte Mbeki aus, der im nächsten Jahr Mandela als Staatschef ablösen wird. Die USA wollen ihre Hilfsprogramme für Afrika zurückfahren. Das Entwicklungshilfe-Budget für Afrika - 1992 noch 1,4 Milliarden Dollar, aktuell 700 Millionen - soll weiter gesenkt werden, fordern vor allem die im Senat dominierenden Republikaner.

Trotz aller Differenzen erhielt der US-Präsident am Ende den höchsten Orden Südafrikas, mit dem auch schon sein Intimfeind, Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi, ausgezeichnet worden war.

Rund eintausend Leute begleiten Clinton: Delegierte verschiedenster internationaler und US-amerikanischer Organisationen, Gruppen und Parteien, Staatsdiener, Lobbyisten, ausgewählte Journalisten, Wirtschaftsbosse, Bodyguards und andere Sicherheitskräfte. Vor Reiseantritt wurde streng darauf geachtet, daß Menschen dunkler Hautfarbe in allen Begleitergruppen überdurchschnittlich vertreten sind. Außenpolitisch soll damit signalisiert werden, daß der american dream nichts mit der Hautfarbe zu tun habe: "Die afrikanischstämmigen Mitglieder" seiner Delegation, äußerte Clinton in Uganda, seien "respektierte Mitglieder des amerikanischen Volkes", die tatkräftig am Ruhme der USA mitgearbeitet hätten. Innenpolitisch versucht Clinton, nicht nur die Afroamerikaner, die etwa 12 Prozent der US-Bevölkerung stellen, aus wahltaktischen Erwägungen auf seine Seite zu ziehen, sondern auch den Black Caucus, einen Zusammenschluß aller schwarzen Parlamentarier in den USA. In Einzelfällen könnte mit deren Unterstützung die republikanische Mehrheit im Senat umgangen werden.

Uganda, Ruanda und Südafrika wurden besonders belohnt. Clinton sagte Uganda ein Hilfsprogramm in Höhe von 180 Millionen Dollar zu, die Regierung von Ugandas Alleinherrscher Museveni wurde über alle Maßen gelobt und als vorbildlich für ganz Afrika dargestellt. Museveni, der in kürzester Zeit vom Marxismus zum Neoliberalismus konvertiert ist, wird seit seiner Amtsübernahme 1996 von den USA nach Kräften gefördert. Zum einen, um den Kampf der südsudanischen SPLA-Rebellen gegen das Islamistenregime in Khartoum durch Nachschub aus dem angrenzenden Uganda zu unterstützen, zum anderen, um nach dem Dominanzverlust Frankreichs in Zentralafrika das Machtvakuum auszufüllen.

Ruanda, dem von Clinton 67 Millionen Dollar für den Aufbau eines Justizsystems zugesagt wurden, soll sich künftig auch internationaler Finanzhilfen erfreuen können, sofern es sich an den von Uganda vorgegeben Kurs hält. Südafrika wurde ein Ausbau der Handelsbeziehungen versprochen. Durch die Arbeit einer binationalen Kommission sind bereits jetzt über 200 US-Firmen vor Ort vertreten, rund 9,5 Milliarden Dollar wurden seit 1990 investiert.

Nicht mehr "für Afrika" soll Politik gemacht werden, so Clinton in Kapstadt, sondern "mit Afrika". Die USA wünschten sich ein "starkes Südafrika, das ein gleichberechtigter Partner ist". Denn dieser Partner wird, sofern er nicht zu eigensinnig ist, vor Ort gebraucht für "einen riesigen, bislang kaum erschlossenen Markt von 700 Millionen Menschen, der noch expandiert, immense unentdeckte Reichtümer hat und das Potential, Arbeitsplätze zu schaffen", (in den USA natürlich) so Susan Rice, Staatssekretärin im US-Außenministerium.

Doch neben Südafrika werden weitere Bastionen gebraucht: Uganda, der "US-Flugzeugträger im Herzen Afrikas" (Le Monde) gilt dank großzügiger US-Unterstützung schon jetzt bei IWF und Weltbank als Musterschüler. Durch die neuerliche offizielle Finanzspritze aus Washington - weitere Investitionen aus der US-Wirtschaft werden auf 500 Millionen Dollar geschätzt - kann Uganda seine Hegemonialstellung in Ost- und Zentralafrika ausbauen. Durch die gezielte Investition in eine klassische Institution des bürgerlichen Staates, allein 120 Millionen Dollar sollen dem Erziehungs- und Bildungssektor zukommen, soll das an Bodenschätzen arme Uganda mittelfristig zum ersten "afrikanischen Löwen" aufgebaut werden.

Andere, allen voran Ghana und Botswana, sollen folgen. "Fünf der zwanzig Volkswirtschaften, die mit den höchsten Wachstumsziffern der Welt aufwarten, sind afrikanische Länder, die ausgerechnet zu Onkel Sams Lieblingen gehören", analysierte Le Monde diplomatique in ihrer jüngsten Ausgabe. "Genau wie die asiatischen Tiger innerhalb einer Generation nach vorn gekommen sind, können es die afrikanischen Löwen schaffen", freut sich auch Ken Derr auf die "Löwen". Der ist Repräsentant des US-Energiemultis Chevron in Zimbabwe.