Razzia bei Christiane F.

Im Streit um die Schließung der Disko »Sound« in Dillingen an der Saar mischt nahezu die gesamte lokalpolitische Szene der kleinen Stadt mit. von carsten klein

In China ist ein Sack Reis umgefallen. Und in Dillingen an der Saar ist die Wiedereröffnung einer Diskothek gefeiert worden. So what? Nun, erstens handelt es sich nicht um irgendeine Disko, sondern ursprünglich um eine Filiale des »Sound« in der Genthiner Straße in Berlin, das durch das Buch und den Film »Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo« und den Soundtrack von David Bowie einige Berühmtheit erlangte. Und zweitens ließ es der Bürgermeister Franz-Josef Berg (CDU) persönlich schließen.

Das Saarländer »Sound« in der Kleinstadt Dillingen, aus der übrigens Oskar Lafontaine stammt, existiert seit 25 Jahren und gehört zu den wenigen Diskos der Region, in denen nicht nur Mainstream-Musik gespielt wird, sondern auch Musikrichtungen wie HipHop oder Dark Wave eine Chance haben. Zudem besteht der Anspruch, Migranten Schutz vor Diskriminierung zu bieten, und auch Menschen mit Behinderung sind hier gerne gesehen. Saarländische Politik- und Wirtschaftsprominenz ist hier gelegentlich anzutreffen, so zum Beispiel einige Landtagsabgeordnete, der Oppositionsführer Heiko Maas (SPD) mit Ehefrau Corinna. Früher sollen der SPD-Linke Ottmar Schreiner, der Chef von Energis und Vertraute des Bundeskanzlers, Leo Petry, sowie Bürgermeister Berg selbst dort gesehen worden sein.

Der Grund für die Entziehung der Konzession durch die Stadtverwaltung war eine Drogenrazzia am 24. Oktober 2004 während einer Techno-Party. Dabei wurden größere Mengen Ecstasy sichergestellt. 79 Personen, meist Jugendliche, wurden vorläufig festgenommen, 140 Polizisten waren im Einsatz. Von den 231 Gästen im »Sound« war etwa ein Drittel im Besitz von Drogen. Als Reaktion auf die Razzia wurden die Techno-Partys aus dem Programm gestrichen.

Das aber reichte dem Bürgermeister offenbar nicht aus. Franz-Josef Berg versuchte, sich als Mann von Recht und Ordnung zu profilieren, und schloss den Laden. Nach Informationen aus CDU-Kreisen soll auch die saarländische Innenministerin Annegret Kramp-Karrenbauer Druck ausgeübt haben, so dass es letztlich zum Konzessionsentzug kam.

Verwundern würde das nicht, bekämpft doch die saarländische CDU-Landesregierung unter Peter Müller alles, worin das Wort »Drogen« vorkommt. So soll auch das Drogenhilfezentrum Brauerstraße in Saarbrücken geschlossen werden. Die Zahl der Drogenabhängigen sei so sehr gestiegen, dass der Standort in der Brauerstraße für die Anwohner nicht mehr zumutbar sei, erklärte der Sozialminister Josef Hecken vorigen Herbst im Saarländischen Rundfunk. Dabei sind die Befürworter des Zentrums auch für räumliche Alternativen offen: »Diese müssten aber citynah sein, damit sie für die Betroffenen erreichbar sind«, sagte Jürgen Nieser aus der Stadtratsfraktion der SPD.

Zur legalen Droge Alkohol bekennt sich die CDU hingegen gern. So trägt Ministerpräsident Peter Müller auch den Titel »Botschafter des Bieres«, und der Geschäftsführende Gesellschafter der Karlsberg Brauerei, IHK-Präsident und Präsident des deutschen Brauerbundes Richard Weber, ist sein Parteikollege. »Dass es (das Bier) Ihnen sehr gut schmeckt, habe ich schon das ein oder andere Mal bezeugen dürfen«, sagte Weber in einer Laudatio auf Peter Müller.

»Ich bin sicher, dass der Entzug der Konzession für das ›Sound‹ die breite Zustimmung der Bevölkerung finden wird«, sagte Berg der Saarbrücker Zeitung. Aber er irrte sich. Schon bald bildete sich ein lockeres Bündnis unter anderem aus saarländischen und luxemburgischen Jusos, der grünen Jugend und der PDS Saar, den SPD-Frauen und dem Dillinger Seniorenbeirat, das unter dem Slogan »Lasst euch nicht verarschen, vor allem nicht vom Berg« gegen das Vorgehen des Bürgermeisters protestierte.

In einer ersten Stellungnahme des Landesvorsitzenden der Jusos, Michael Clivot, hieß es: »Eine der beliebtesten Diskos im Saarland ist vom Dillinger Verwaltungschef Franz-Josef Berg dichtgemacht worden. Im Übrigen befürchten wir nun eine weitere Verlagerung des Drogenhandels an die Schulen.« Protestmails kursierten, Unterschriften wurden gesammelt, an einer Stadtratssitzung mit »Einwohnerfragestunde« nahmen etwa 40 Mitarbeiter und Gäste des »Sound« teil, darunter ein Teilnehmer einer Behindertenwerkstatt der Arbeiterwohlfahrt. Die Schließung der Disko wurde nicht zuletzt deswegen kritisiert, weil es für Jugendliche in Dillingen kaum Alternativen gibt. Ein Jugendzentrum in einem ehemaligen Bahnbetriebswerk, auf das Berg immer wieder verwies, wird erst 2007 fertiggestellt.

Unterstützung bekam Berg dagegen von der NPD-Saar, die sein Vorgehen begrüßte und eine Sammlung von Unterschriften für ein drogenfreies Saarland ankündigte. »Dass die NPD nun Unterschriften für die Maßnahme der Dillinger Stadtverwaltung sammelt, müsste Berg eigentlich ziemlich peinlich sein. Wir erwarten eine klare Distanzierung«, forderte der Vorsitzende der Grünen Jugend, Dominik Bildt. Sie erfolgte bislang nicht.

Natürlich legte der Geschäftsführer des »Sound« beim Verwaltungsgericht Beschwerde gegen den Konzessionsentzug ein.Mit Erfolg. In der Urteilsbegründung heißt es, weder ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren noch polizeiliche Aufklärungsmaßnahmen hätten Erkenntnisse darüber erbracht, dass der Konzessionsinhaber die ihm obliegende Aufsichtspflicht verletzt habe.

Nun ist die Diskothek seit dem 29. Dezember wieder geöffnet, allerdings vorerst nur mittwochs. Mit dem »Drogenproblem« will man offensiv umgehen. So sollen in der Disko Drogenpräventionsmaßnahmen ergriffen werden; eine Anfrage diesbezüglich ging an die Leiterin der Drogenberatungsstelle der Arbeiterwohlfahrt, Sabine Fischer-Theobald.

Dennoch geht der juristische Streit in die nächste Runde. Bürgermeister Franz-Josef Berg wehrt sich jetzt vor dem Oberverwaltungsgericht Saarlouis dagegen, dass seine Schließungsanordnung vom Verwaltungsgericht nicht akzeptiert wurde. Auch die Anhänger des »Sound« richten sich nun auf eine Fortsetzung ihres Kampfes ein. Eine »Coming-Out-Kampagne« mit einem Plakat, auf dem prominente Besucher der Disko abgebildet sind, ist bereits geplant.