Der dritte Mann

Der Aufstieg des christdemokratischen Kandidaten François Bayrou ist die Überraschung im französischen Wahlkampf. Sein Vorbild ist die deutsche Große Koalition. von bernhard schmid, paris

Nun werden die Boxhandschuhe ausgepackt. Nach der Vorausscheidungsrunde kann jetzt der eigentliche Wettkampf anfangen. 43 Kandidaten wollten ursprünglich zur französischen Präsidentschaftswahl in einem Monat antreten, elf oder zwölf »offizielle« Bewerber sind es geworden. So viele konnten die gesetzliche Voraussetzung erfüllen, nach der 500 Unterstützungs­unterschriften von Mandatsträgern der Republik – Bürgermeistern, Bezirks-, Regional- oder Europa-Parlamentariern, Abgeordneten – beizubringen sind. Ob das Dutzend voll wird, war bis Redaktionsschluss nicht klar. Es musste noch überprüft werden, ob der linkspopulistische Kandidat José Bové die 500 begehrten Unterschriften zusammenbekommen hat oder nicht. Am Freitag hat er, wie die übrigen Bewerber auch, die Formulare für die »Wahlpatenschaft« beim Verfassungsgericht hinterlegt – in letzter Minute.

In anderer Form als der frühere Bauerngewerkschafter tritt der christdemokratische Zentrumspolitiker François Bayrou als Herausforderer des politischen Establishments auf. Seit Ende Februar hat er die bis dahin vorherrschende Bipolarität der Vorwahldebatten – in denen Nicolas Sarkozy und Ségolène Royal als die beiden sicheren Anwärter auf den Wahlsieg präsentiert wurden – aufbrechen können. Plötzlich erschien er als der dritte Mann, dem es noch gelingen könnte, das ganze Spiel, das bis dahin abgekartet schien, gründlich aufzumischen.

Dafür ist freilich auch der äußerst schwache Auftritt, den Ségolène Royal darbot, verantwortlich. Viele Wähler, die eher dem rechten Flügel der Sozialdemokratie nahe stehen, denken aus diesem Grunde an eine Stimmabgabe für Bayrou. Die Wahl des Christdemokraten wird von gemäßigten ehemaligen Linkswählern oft unter dem Aspekt des kleineren Übels diskutiert: Käme es zur Stichwahl zwischen Royal und Sarkozy, so würde die sozialdemokratische Bewerberin geschlagen. Nur Bayrou könne gegen den derzeitigen Innenminister gewinnen, da er sowohl Stimmen aus der rechten Mitte als auch aus den Teilen der politischen Linken, die vor allem Sarkozy und Le Pen verhindern möchten, auf sich vereinigen würde.

Bayrou tritt in diesem Wahlkampf mit einer eigentümlichen Mischung aus rebellischem Gestus und Konsensangebot auf die Bühne. Denn er zog im vergangenen Herbst durch seine Agitation gegen die Verflechtung aus großen Parteien und politischem Establishment, Medienkonzernen und Wirtschaftsinteressen die Aufmerksamkeit auf sich. Hintergrund war vor allem, dass die Medienberichterstattung monatelang auf Sarkozy und Royal fixiert war.

Dass dem so war, ist nicht verwunderlich: Sarkozy zählt als ehemaliger Wirtschaftsanwalt viele Chefs von führenden Medienunternehmen zu seinen früheren Klienten, ja zu seinen Duzfreunden. Dass Royal ihrerseits überhaupt zur glaubwürdigen Kandidatin werden konnte, hat sie zum Großteil den Medien zu verdanken, darunter die Regenbogenpresse, deren Produkt ihre politische Karriere zum Teil ist. Bayrou schlug deswegen mit der Faust auf den Tisch, um sich Gehör zu verschaffen, und man hörte von dem moderaten katholischen Politiker plötzlich Töne, als sei er durch einen antikapitalistischen Agitationslehrgang gegangen. Zeitweise schlug er ein Entflechtungsgesetz vor, das es im Mediengeschäft tätigen Konzernen verbieten sollte, Staatsaufträge entgegenzunehmen. Dies träfe Mischkonzerne mit hohem Rüstungsanteil wie Dassault und Lagardère, denen je rund ein Drittel der französischen Presse gehört, empfindlich.

Bayrou fordert auch einen neuen nationalen Konsens, der dem System der beiden Großparteien – der Sozialisten und der Konservativen – ein Ende setzen soll. Rebellisch daran ist nur seine Rhetorik gegen die beiden dominierenden Parteien. Inhaltlich laufen seine Vorstellungen auf ein System hinaus, das dem deutschen Szenario mit der Großen Koalition stark ähnelt. Diese hat Bayrou im Übrigen ausdrücklich zu seinem Vorbild für eine »Regierung der nationalen Einheit« erklärt, die den Hader zwischen den Parteien und die »ständige Polarisierung« beenden soll. Eine Forderung, die durchaus ankommt, allerdings vor allem bei solchen Wählern, die etwa der Streiks im Transportwesen – mit denen sie sich nicht identifizieren mögen und wegen denen sie zu spät zur Arbeit kommen – überdrüssig und der harten sozialen Konflikte müde sind. In ökonomischer Hinsicht laufen Bayrous Forderungen auf eine Art aufpolierten rheinischen Kapitalismus hinaus. Er benutzt den Begriff der »sozialen Marktwirtschaft«, will Frankreich explizit endlich »zum unternehmensfreundlichen Land« machen, dabei aber auch ein paar soziale Wohltaten abfallen sehen.

Konkret spricht er in seinem Wahlprogramm allerdings vor allem vom Abbau der Staatsverschuldung und der »Kosten der Arbeit«, die für die Betriebe zu hoch seien. Deswegen verspricht er, dass Unternehmen, egal welcher Größe, die zwei zusätzliche Beschäftigte einstellen, für diese keine Sozialabgaben abführen müssen. Das könnte zwar kurzfristig einige wenige Arbeitsplätze bei zögernden Mittelschichtlern schaffen, würde vor allem aber einen gigantischen »Mitnahmeeffekt« auslösen und die Sozialkassen noch weiter leeren. Dahinter steht die Idee, dass dann »Arbeit geschaffen« werde, wenn es dem Kapital gut gehe. Den umstrittenen Neueinstellungsvertrag (CNE), der in Kleinbetrieben den Kündigungsschutz während der ersten zwei Jahre eines Beschäftigungsverhältnisses auszuhebeln erlaubt, möchte Bayrou, genau wie Sarkozy und im Gegensatz zu Royal, nicht abschaffen.

Bayrous gesellschaftliche Basis sind die Mittelklassen, während er anfänglich in Wahlumfragen bei sozial schwächeren Wählern fast nicht vorkam. Dort wählt man vor allem Sarkozy, Royal oder Le Pen, in geringerem Maße auch mal linksradikal. Durch den Medienhype, der seit Anfang März rund um Bayrou veranstaltet wird, wächst seine Popularität nun allerdings auch ein wenig im Proletariat. Einen triumphalen Empfang bereitete ihm am Donnerstag voriger Woche aber vor allem der Verband kleiner und mittelständischer Unternehmen.

Das Großkapital hingegen bevorzugt eindeutig Sarkozy. In der vergangenen Woche veröffentlichte das den Arbeitgebern nahe stehende Wirt­schafts­forschungs­institut COE-Rexecode eine Konjunkturprognose im Hinblick auf die Wahlen. Demnach würden sowohl Royals als auch Bayrous Wahl­sieg »Arbeits­plätze kosten« und »das Wachstum hemmen«. Angeblich würde das Programm der Sozialistin ein halbes Prozent, das des Christdemokraten hingegen 0,2 bis 0,5 Prozent Wirtschafts­wachstum kosten. Gefallen findet dort allein das Wahlprogramm Sarkozys. Kennt man die sonstigen Vorstellungen dieses Instituts und seine brutalkapitalistischen Forderungen, muss dies freilich wie ein echtes Kompliment für Bayrou klingen.