Martin Künkler, DGB-Bundesvorstand, im Gespräch über die gewerkschaftliche Perspektive auf Hartz IV

»Hartz-IV-Bezug macht nicht rebellisch«

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Interview Von

 

Wäre es dann nicht besser, gleich ein bedingungsloses Grundeinkommen zu schaffen, anstatt die Leistungen an Lohnarbeit zu koppeln?.
Ich kann die Motive derer, die ein ­bedingungsloses Grundeinkommen wollen, teilweise nachvollziehen. Ich glaube aber, es ist ein Glücksversprechen, das nicht eingelöst werden kann. Es ist kein solidarischer Ansatz, weil nur einige aus der Lohnarbeit aussteigen können, während die anderen über Lohnarbeit den Ausstieg finanzieren. Dieses Glücksversprechen kann also für einzelne aufgehen, aber nie für die ganze Gesellschaft, die auf Erwerbsarbeit angewiesen ist. Das bedingungslose Grundeinkommen hat nur vermeintlich Glanz. Es ist keine Alternative zu guter Arbeit und einer ausreichenden sozialen Absicherung.
Die Idee von staatlichen Subventionen statt Tariflöhnen kann aber doch nicht im Sinne von gewerkschaftlicher Arbeit sein.

Das ist gerade unsere Forderung: Die öffentlich bezuschussten Arbeitsplätze müssen tariflich bezahlt werden. Langzeitarbeitslose sollen dauerhaft aus dem Leistungsbezug rauskommen können. Das gelingt viel eher mit Tariflöhnen als mit dem Mindestlohn. Der Mindestlohn hat zwar für Millionen Menschen materielle Vorteile gebracht. Er ist aber nicht hoch genug, um in Städten mit hohen Mieten aufstockende Hartz-IV-Leistungen zu vermeiden. Hier müssen wir noch einen Schritt weitergehen und den Mindestlohn so erhöhen, dass er ein Leben unabhängig von Hartz IV garantiert.

Mit dem subventionierten Arbeitsmarkt schafft man auch Anreize für Arbeitgeber. Die kommen günstig an Arbeitskräfte. Hält man durch dieses Konzept menschliche Arbeitskraft künstlich billig?
Das stimmt sicher für Kombilohn­modelle. Das solidarische Grundeinkommen sieht vor, nur gemeinwohl­orientierte Arbeit zu finanzieren. Die Stellen sollen bei den Kommunen oder kommunalen Tochterunternehmen entstehen. Da besteht nicht die Gefahr einer problematischen Subventionierung von Gewinnen, die privat kassiert werden. Trotzdem stellen wir uns vor, dass lokale Ausschüsse geschaffen werden, in denen sich Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter auf den Zuschnitt des sozialen Arbeitsmarkts verständigen.

Bremst der soziale Arbeitsmarkt nicht auch Innovation, wenn die Arbeitskraft immer noch billiger ist als eine Modernisierung?
Wenn ein Mehrwert für den Einzelnen und die Gesellschaft entsteht und in den Kommunen sinnvolle Angebote ausgeweitet werden, ist das doch gut. Eine Modernisierungsbremse sehe ich darin nicht. Wirtschaftliche Entwicklung und Nachfrage nach Arbeitskräften gehen ja parallel weiter.

Gewerkschaften sollen die Position der Lohnarbeitenden gegenüber den Arbeitgebern stärken. Entsteht durch den sogenannten sozialen ­Arbeitsmarkt nicht ein gegenteiliger Effekt?
Uns ist ganz wichtig, dass es ein hohes Maß an Autonomie bei den geförderten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gibt. Sie sollen ihre Interessen und Wünsche einbringen können und die Teilnahme am sozialen Arbeitsmarkt soll in jedem Fall freiwillig sein. Es gibt Begleitforschung zu Beschäftigungsprogrammen, die zeigt, dass mit einem Arbeitsplatz die Lebenszufriedenheit deutlich steigt, weil die Wirksamkeit des eigenen Handelns wieder erlebt wird.

Führt das nicht zu einer Entmündigung, weil die Leute einfach gehorsam gemacht werden?
Nein. Ich glaube, dass das Vertrauen und das Zutrauen ins eigene Handeln gestärkt werden. Wir beobachten ja ­gerade nicht, dass Hartz-IV-Bezug rebellisch macht. Das ist auch nachvollziehbar, weil es viel Kraft raubt, das eigene Leben mit zu wenig Geld organisieren zu müssen. Der Wechsel von Hartz IV in Arbeit wird der »Aufmüpfigkeit« ­sicher keinen Abbruch tun.

Und wie können Gewerkschaften das eigene Handeln stärken?
Es ist wichtig, die Tarifbindung wieder zu erhöhen, um Arbeitnehmerrechte zu stärken und Arbeitnehmer zu schützen. Das ist der zentrale Hebel. Die ­öffentliche Hand muss Tarifverträge schneller und einfacher für ganze Branchen flächendeckend verbindlich vorschreiben können. Und natürlich muss es neue Regeln bei Hartz IV geben. Die Menschen sind momentan gezwungen, jede Arbeit anzunehmen, egal wie prekär und schlecht bezahlt sie ist. Auch das macht es den Gewerkschaften schwerer, Menschen zu gewinnen.