Vor dem »Mietengipfel« der Regierung sorgt eine Hausbesetzung in Berlin für Aufsehen

Gekommen, um zu bleiben

In Berlin haben Hausbesetzer trotz der berüchtigten »Berliner Linie« eine vorübergehende Duldung erkämpft. Gerade vor dem bevor­stehenden »Mietengipfel« der Bundesregierung geben sich Mieter­organisationen kämpferisch.

Sie kamen, um zu bleiben. Das dürfen sie auch, zumindest bis zum 14. Oktober. Am vorvergangenen Wochenende besetzte eine Gruppe eine Etage in einem leerstehenden Haus in der Berliner Großbeerenstraße 17a. Mittlerweile hat die Hauseigentümerin, die katholische Aachener Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft (SWG), eine vorläufige Vereinbarung mit den Besetzern getroffen. Ob diese nach dem 14. Oktober eine Aussicht darauf haben, legalerweise in der Wohnung zu bleiben, ließ der SWG-Projektleiter Benjamin Marx im Gespräch mit dem Tagesspiegel offen.

Auch Eigentümer mit katholischen Grundsätzen wollen mit ihren Mietshäusern Profit erzielen. Die SWG plant derzeit einen Ausbau des Hauses mit Dachterrassen und Balkonen. Zahlreiche Wohnungen in der Großbeerenstraße 17a standen über Jahre leer. Daher unterstützen viele Anwohner die Besetzung und bringen Essen und Möbel vorbei. Mit der Duldung haben Berliner Hausbesetzer einen ersten Erfolg errungen. Anders als den Besetzern in den siebziger Jahren und in den Jahren nach dem Mauerfall geht es ihr weniger um einen wie auch immer ­gearteten Freiraum für eine Subkultur. Die Besetzer gehören zur großen Ber­liner Mieterbewegung und kämpfen um bezahlbare Wohnungen und gegen den Leerstand.

Wegen der staatlichen Praxis, Häuser sofort zu räumen, hatte sich die Ansicht verbreitet, Besetzungen seien sinnlos. Das hat sich durch die Duldung in Kreuzberg geändert.

Im November 2014 gab es einen Besetzungsversuch in der Beermannstraße in Berlin-Treptow. Gemeinsam mit Mietern versuchte die Stadtteil­initiative Karla Pappel damals, den Abriss gut erhaltener Wohnhäuser für den Bau einer Autobahntrasse zu verhindern. Der Besetzungsversuch scheiterte zwar, auch wegen mangelnder Beteiligung aus dem linken Milieu. Doch die Debatte war eröffnet. Bald fanden sich Aufkleber an vielen Orten in Berlin, auf denen es hieß: »Besetzen, bald auch in ihrem Kiez«.

An Pfingsten 2018 besetzten Gruppen gleich in mehreren Stadtteilen Häuser, die aber allesamt nach wenigen Stunden wieder geräumt wurden (Jungle World 22/2018). Auch der Berliner Senat aus SPD, Grünen und Linkspartei handelte gemäß der berüchtigten »Berliner Linie«, der zufolge Häuser innerhalb von 24 Stunden nach Bekanntwerden einer Besetzung ­geräumt werden müssen. Heftig kritisiert wurden dafür vor allem die Linkspartei und die Grünen, die noch im Wahlkampf Sympathien für Besetzungen bekundet hatten. Vor allem im Umfeld von »Die Linke« gab es Diskussionen darüber, die »Berliner Linie« nicht mehr rigoros zu verfolgen und Räumungen nur zu gestatten, wenn der Haus­eigentümer ein Nutzungskonzept für leerstehende Räume nachweisen kann. Anfang September diskutierte auch der der Partei nahestehende Bildungsverein Helle Panke über Hausbesetzungen als politisches Mittel gegen Wohnungsnot.

Die Besetzung in der Großbeerenstraße ist ein erfolgreicher praktischer Versuch in der Frage. Wegen der staat­lichen Praxis, Häuser sofort wieder zu räumen, hatte sich über die Jahre die Ansicht verbreitet, Besetzungen seien sinnlos. Das hat sich durch die Duldung geändert. Derweil erstarkt die Mieterbewegung. »Die Anzahl der kleinen und großen Initiativen ist nicht mehr zu überblicken: Es gibt kaum einen Kiez, in dem keine existieren. Zuletzt riefen im April 2018 rund 250 Organisationen, Vereine und Initiativen zu einer Mieterdemonstration auf, an der 25 000 Menschen teilnahmen. Hier wurde die Vielfalt und Breite sichtbar, die die neuen Mieterproteste angenommen haben«, schreibt Philipp Mattern von der Berliner Mietergemeinschaft in dem kürzlich erschienenen Buch »Mieterkämpfe vom Kaiserreich bis heute – am Beispiel Berlin«. Mattern merkt allerdings auch an, dass die Mietkämpfe oft noch sehr diffus und vereinzelt sind.

Auf die politische Dimension wies Martin Reeh kürzlich in der Taz hin: »Je mehr das Wohnungsthema in den Fokus gerät, desto deutlicher wird, dass es auch um einen ideologischen Kampf geht: Liberalen gilt der Mieter als der neue Hartz-IV-Empfänger – als einer, der es nicht geschafft hat, sich eine Eigentumswohnung zuzulegen.« Reeh warnt: »Die hohe Arbeitslosenquote und das Loch in den Rentenkassen wurden in den nuller Jahren genutzt, um das vergleichsweise egalitäre deutsche Sozialmodell zu zerstören. Nun steht der noch immer relativ egalitäre Wohnungsmarkt zur Disposition.«

Dem Angriff auf den Wohnungsmarkt stellt sich mittlerweile eine wachsende Zahl von Stadtteilgruppen ent­gegen. Inspiriert vom Blog Padowatch, der sich mit den Machenschaften der Unternehmensgruppe Padovicz befasst, organisieren sich in der Initiative »Deutsche Wohnen enteignen« Mieter, tauschen sich aus und bereiten zusammen Proteste gegen berüchtigte ­Eigentümer vor. Gegen den von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) geleiteten »Mietengipfel« am Freitag im Kanzleramt hat sich unter dem Motto »Zusammen gegen den Mietenwahnsinn« ein Bündnis gebildet, das bis in gewerkschaftliche und sozialdemokratische Kreise reicht. Höhepunkte sind ein Gegengipfel an diesem Donnerstag und eine Demonstration am Freitag.

Der Preis für die Größe des Bündnisses ist inhaltliche Schwäche: So wird im Protestaufruf gegen Spekulation gewettert und von einem »Marktversagen« gesprochen, während der kapitalistische Verwertungszwang nicht erwähnt wird. Doch organisieren die beteiligten Gruppen eigene Veranstaltungen, auf denen der im Aufruf fehlende Zusammenhang von hohen Mieten, niedrigen Löhnen und Kapitalismus zur Sprache kommt. Für den 29. September rufen linke Hausprojekte und solidarische Nachbarn zu einer Demons­tration für den Erhalt des Hausprojekts Liebigstraße 34 im Friedrichshainer Nordkiez auf. Das Gebäude wurde 1990 besetzt und später von Padovicz gekauft. Mittlerweile kämpfen die Bewohner um die Verlängerung des Pacht­vertrags.