נושא - Israels Ministerpräsident Netanyahu kämpft ums politische Überleben

Knesset oder Knast

Israel ist unter der Regierung Benjamin Netanyahus als Regionalmacht stark wie selten zuvor. Doch eine Reihe schwerer Korruptionsvorwürfe überschatten dessen Amtszeit, seine Zukunft ist ungewiss.

Seit Juli ist Benjamin Netanyahu länger Ministerpräsident Israels als sein bisher am längsten amtierender Vorgänger, der Staatsgründer David Ben-­Gurion. Die erste Amtszeit Netanyahus dauerte von 1996 bis 1999. Die zweite begann 2009 und dauert noch an. Als Ministerpräsident blickt er auf eine Reihe beachtlicher Erfolge zurück. Israels Wirtschaft boomt, nicht zuletzt dank der von seinen Regierungen initiierten Privatisierungen. In Netanyahus erster Amtszeit begann die Regierung mit dem Verkauf staatlicher Anteile an Banken und große Unternehmen.

Eine Schwäche für fragwürdige informelle Abmachungen begleitet Netanyahus Karriere schon lange.

Wie die Tageszeitung Haaretz im vorigen Dezember berichtete, ist das Bruttoinlandsprodukt seither durchschnittlich um drei Prozent oder mehr pro Jahr gewachsen, die Staatsverschuldung auf 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gesunken, die Arbeitslosigkeit ist auf einem Rekordtief, die Beschäftigung auf einem Rekordhoch.
Außenpolitisch unterhält Netanyahu gute Beziehungen zu US-Präsident ­Donald Trump. Dieser ließ nicht nur im Mai 2018 die US-Botschaft nach Jerusalem verlegen und erkannte im März die 1967 eroberten und 1981 von Israel annektierten Golan-Höhen erstmals formell als zum Staatsgebiet Israels gehörig an. Auch der im laufenden Wahlkampf von Netanyahu angekündigten Annexion von israelischen Siedlungen im Westjordanland dürfte Trump wohl nicht widersprechen. Eine zukünftige Zweistaatenlösung würde dadurch noch unwahrscheinlicher – aber derzeit scheinen sich weder die meisten Bürger Israels noch die Regierungen Ägyptens, Jordaniens, der Golfmonarchien und der USA besonders für die Errichtung eines Palästinenserstaats zu interessieren.

In der gesamten Region gab es 2011 große soziale Proteste – auch in Israel, wo sie sich gegen die hohen Mieten und Lebenshaltungskosten richteten. Doch von der Bewegung ist bis auf ein paar winzige linke Projekte nichts mehr übrig. Die Nachbarstaaten sind mit dem Iran und den Konflikten in ­Syrien und im Jemen mehr beschäftigt als mit dem derzeit im Wesentlichen durch Kontrolle und hochentwickelte Abwehrtechnik weithin eingedämmten Konflikt zwischen den Palästinensern und Israel. Auch mit Russlands Präsident Wladimir Putin pflegt Netan­yahu ein gutes Verhältnis.

 

Dennoch kämpft Netanyahu um seine politische Zukunft – verliert er, könnte er sogar im Gefängnis landen. Die israelische Polizei ermittelt gegen den Ministerpräsidenten wegen Bestechung und Amtsmissbrauch in mehreren Fällen. Ärger bereitet ihm außerdem kurz vor den Wahlen am 17. September ein Streit mit einem ehemaligen Förderer, dem US-amerikanischem Milliardär Sheldon Adelson. Diesem gehört die kostenlose israelische Tageszeitung Israel Hayom, er ist derzeit einer der größten Spender für die US-Republikaner. Vor kurzem teilte er israelischen Ermittlern mit, dass Netanyahu Gespräche mit Arnon Mozes, dem Herausgeber von Israels größter Zeitung, Yedioth Ahronoth, geführt habe, um ein Verbot der kostenlosen Verteilung von Zeitungen zu verhängen. »Weil Israel Hayom nichts kostet, hat die Zeitung einen enormen Marktvorteil«, sagt Uri Mizgav, ein Mitarbeiter von Haaretz, der Jungle World. Die übrigen israelischen Printmedien seien davon akut bedroht, allen voran das Boulevardblatt Yedioth Ahronoth.

Netanyahu bat Berichten zufolge Mozes um eine günstigere Berichterstattung über ihn und seine rechtskonservative Partei Likud. Seine fragwürdigen Verhandlungen mit Mozes waren das Hauptthema des sogenannten Falls 2000, einer Untersuchung gegen den israelischen Ministerpräsidenten wegen Korruption. Netanyahu behauptete später, er habe nie beabsichtigt, eine solche Abmachung zu treffen, er habe Mozes täuschen wollen. »Wie ich das sehe, stellt das Bestechung auf dem höchsten Niveau dar, das man sich vorstellen kann«, sagte hingegen im Dezember Mordechai Kremnitzer, Pro­fessor für Verfassungsrecht an der Hebrew University Jerusalem, der Internet-Zeitung Times of Israel. Schon das Inaussichtstellen einer solchen Abmachung sei strafbar.

Es gibt noch weitere schwere Korruptionsvorwürfe gegen Netanyahu, die mit anderen Untersuchungen in Zusammenhang stehen, dem Fall 1000 und dem Fall 4000. Hinzu kommen die Ermittlungen im Fall 3000. Mehrere enge Mitarbeiter Netanyahus, aber nicht der Ministerpräsident selbst, stehen unter dem Verdacht, illegal Gelder im Rahmen eines milliardenschweren staatlichen Kaufs von Marine­schiffen und U-Booten vom deutschen Konzern Thyssenkrupp erhalten zu ­haben. Der Fall gilt als der größte Bestechungsskandal in der Geschichte des Landes.

 

Im Fall 1000 geht es um Geschäfte mit Milliardären, die mutmaßlich gegen Bestechungsgelder und andere Vorteile für Netanyahu und seine Frau Sara um Gefallen ersuchten. Der Filmproduzent Arnon Milchan ist ein Geschäftspartner und Vertrauter Netanyahus. Er sagte über einen Vorfall aus, der sich während eines Dinners in der Residenz des Ministerpräsidenten in Jerusalem ereignet haben soll. Daran hätten Adelson und dessen Frau Miriam sowie Benjamin und Sara Netanyahu teilgenommen.
Sara Netanyahu habe, so Milchan, während des Essens von Miriam Adelson, einer Mitherausgeberin von Israel Hayom, verlangt, Amos Regev, den Chefredakteur der Zeitung, zu entlassen, weil er sie gegen »die tägliche Verleumdung (…) in den Zeitungen und Medien« nicht verteidige. Beide Adelsons seien sehr verärgert über die Forderung und das Verhalten der Frau des Ministerpräsidenten gewesen.

Im Fall 4000 beschuldigt die Polizei Netanyahu einer ungesetzlichen Übereinkunft mit Shaul Elovitch, dem größten Anteilseigner von Bezeq, einem der führenden Telekommunikationsanbieter in Israel.

Der Untersuchung zufolge hatte Netanyahu von Elovitch eine positive Berichterstattung über sich selbst und seine Partei auf Walla verlangt, Israels zweitgrößtem Online-Nachrichtenportal, sowie eine kritische Berichterstattung über seine Rivalen, insbesondere in den Wahlkämpfen 2013 und 2015. Im Gegenzug soll Netanyahu in regulato­rische und andere Geschäftsentscheidungen eingegriffen haben, die Elovitch Vorteile im Wert von Hunderten von Millionen US-Dollar verschafft ­haben sollen, wie zuletzt die Times of Israel am 29. August berichtete.

Eine Schwäche für fragwürdige informelle Abmachungen begleitet Netan­yahus politische Karriere schon lange. Bereits das Ende seiner ersten Amtszeit überschattete eine Serie von Korruptionsvorwürfen. 1997 empfahl die Polizei, Netanyahu wegen Amtsmissbrauch anzuklagen, 1999 wegen Be­stechung. In beiden Fällen entschieden die Staatsanwälte jedoch, dass die Beweise nicht ausreichten, um Anklage zu erheben. Netanyahus Wiederwahl scheiterte.
Als er 2009 wieder Ministerpräsident wurde, gelang ihm die Vereinigung der äußerst heterogenen politischen Rechten Israels mit einem harten sicherheitspolitischen Kurs, sowohl gegenüber dem Iran und ­seinen Verbündeten als auch gegenüber den Palästinensern.

 

Inzwischen sei, wie der israelische Journalist Meron Rapoport im linken Online-Portal +972 am 27. August schrieb, die Sicherheitspolitik innenpolitisch kaum noch ein Thema – und mitunter kämen die Differenzen innerhalb von Netanyahus Bündnis rechter Parteien zum Vorschein. So scheiterte nach den Knesset-Wahlen im April eine erneute Regierungsbildung an Konflikten zwischen rechtszionistischen und ultra­orthodoxen potentiellen Bündnispartnern.

Umstritten war bei den Koalitionsverhandlungen unter anderem Netanya­hus Absicht, sich als Ministerpräsident Immunität zu verschaffen. Es ist juristisch umstritten, ob in Israel ein am­tierender Ministerpräsident Immunität vor Strafverfolgung genießt. Bis 2005 konnte Netanyahu als Mitglied der Knesset ohnehin nicht wegen Verbrechen angeklagt werden, die mutmaßlich vor oder während seiner Amtszeit begangen wurden, es sei denn, das ­Parlament hätte seine Immunität aufgehoben. Seit 2005 genießen Abgeordnete nur noch Immunität, wenn ein Knesset-Ausschuss ihnen diese in Einzelfällen nach einer Abstimmung gewährt.

Nach den gescheiterten Koalitionsverhandlungen legte im Frühjahr ein ­Likud-Abgeordneter einen Gesetz­entwurf vor, der die Immunitätsregel wieder ausgeweitet hätte. Dadurch wäre Netanyahu als Abgeordneter vor Strafverfolgung geschützt. Gegen den Entwurf gingen in Tel Aviv Zehntausende auf die Straße, darunter die ge­samte Führung der Oppositionsparteien. Daraufhin sagte Netanyahu im Juli, er habe nicht die Absicht, die geltende Immunitätsregelung zu ändern, denn es sei nichts vorgefallen, wofür er eine solche Änderung nötig habe.

Zusätzlich zu dem vorgeschlagenen Gesetzentwurf gewann Anfang August David Bitan, ein Abgeordneter von Netanyahus Likud, die Unterschrift aller Likud-Abgeordneten für eine umstrittene Petition. »Ungeachtet des Wahlergebnisses ist Netanyahu der einzige Kandidat des Likud für das Amt des Ministerpräsidenten, und es wird keinen anderen Kandidaten geben«, heißt es darin. Damit wollte sie eine vom oppositionellen Parteienbündnis Blau-Weiß angestrebte Regierung mit dem Likud, aber ohne Beteiligung Netanyahus ausschließen.

»Der Likud wurde gestern offiziell zu Netanyahus Marionettenpartei«, sagte daraufhin die Führung der oppositionellen Demokratischen Union in einer Erklärung. Netanyahus ehemaliger po­litischer Verbündeter von der rechtszionistischen Partei Yisrael Beiteinu, ­Avigdor Lieberman, verglich den Politikstil des Likud gar mit dem des nord­koreanischen Regimes.

Indessen hat Israels Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit die Anhörung Netanyahus zu den gegen ihn erhobenen Korruptionsvowürfen für Anfang Oktober anberaumt. Sie würde somit voraussichtlich in die Zeit der Koalitionsverhandlungen nach den Neuwahlen am 17. September fallen. Für Netan­yahu sind das keine guten Voraussetzungen. Egal wie das Wahlergebnis ausfällt, wird er in einer deutlich geschwächten Position sein.