Der Streit über Panzerlieferungen in die Ukraine zeigt die Uneinigkeit in der Nato

Fadenscheinige Ausreden

Deutschland hat Panzerlieferungen in die Ukraine verzögert – das war eine willkommene Deckung für andere, die sich bei der Hilfe für die Ukraine auch nicht vor Eifer überschlagen.
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Ordnung muss sein. Auf die Frage, wann Polen der Ukraine deutsche Leopard-2-Panzer liefern könne, antwortete Steffen Hebestreit, Sprecher der Bundesregierung, am Montag: »Ich möchte es vielleicht so sagen: Wenn ein solcher Antrag in Deutschland gestellt würde, was zur Stunde noch nicht der Fall ist, dann gibt es dafür eingespielte Verfahren, in denen eine solche Anfrage beantwortet wird. Und an die halten wir uns alle.«

Am Tag zuvor hatte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) Polen zumindest implizit eine antragslose und schnelle Genehmigung zugesagt: »Wenn wir gefragt würden, stünden wir dem nicht im Wege.« Damit steht sie im Widerspruch zur Haltung von Bundeskanzler Olaf Scholz und Verteidigungsminister Boris Pistorius (beide SPD). Ein formeller Antrag Polens, der Ukraine 14 Leopard-2-Panzer überlassen zu dürfen, traf am Dienstag ein. Wie der Spiegel unter Berufung auf eine Quelle aus Regierungskreisen berichtete, gebe es »keine Vorfestlegung« bei der Entscheidung – obwohl die Anfrage nicht gerade überraschend kam.

Pistorius lässt unterdessen eine »Bestandsprüfung« vornehmen, um festzustellen, welche Leopard-2-Modelle für eine Lieferung an die Ukraine in Frage kämen. Das sollte man knapp ein Jahr nach Kriegsbeginn eigentlich wissen – und man weiß es wohl auch: Dem Spiegel liegt nach eigenen Angaben das Ergebnis einer solchen bereits im vergangenen Jahr vorgenommenen Prüfung vor.
Schwere Kampfpanzer könnten für die Ukraine sowohl bei der Abwehr russischer Vorstöße als auch bei Operationen zur Rückeroberung besetzter Gebiete sehr nützlich sein. Offenkundig ist es vor allem die SPD, die mit fadenscheinigen Begründungen und Ausreden eine Entscheidung über die Lieferung der Leopard-2-Panzer verzögert und dafür den Ärger wichtiger Verbündeter und eine diplomatische Isolation Deutschlands in Kauf nimmt. Westliche Regierungen und Medien versuchen, die Motive zu ergründen, doch es bleibt unklar, worauf Scholz hinauswill. Eine klare Ablehnung von Panzerlieferungen wäre verheerend für die Verteidigungsanstrengungen der Ukraine, ließe aber eher so etwas wie eine Strategie erkennen. Scholz’ Verzögerungstaktik aber ist gewiss nicht ausreichend, um den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu beeindrucken.

Vielleicht handelt es sich schlicht um die schlechte Improvisation einer Partei, die maßgeblich die desaströse Energiepartnerschaft mit Russland zu verantworten hat und hofft, das Geschäft wieder aufnehmen zu können, aber die westlichen Verbündeten nicht allzu sehr verprellen will; einer Partei, deren Politiker:innen immer wieder einen deutschen Führungsanspruch in Europa erheben, aber zu provinziell denken, um ihn durchsetzen zu können. Man könnte sich daran erfreuen, dass Scholz in den sozialen Medien zur Witz­figur wird, ginge es nicht um die Zukunft von etwa 40 Millionen Ukrainer:innen und den Kampf gegen das expansionistische Regime Russlands, das auch andere Nachbarstaaten bedroht – und gäben Scholz’ Auftritte nicht eine willkommene Deckung für andere, die sich bei der Hilfe für die Ukraine auch nicht vor Eifer überschlagen.

So ist etwa auch Frankreich eher zögerlich bei der Lieferung schwerer Waffen, vor allem aber wird unter den Nato-Staaten, die der Ukraine Panzer liefern könnten, einer meist gar nicht erst genannt: die Türkei, die über 316 Leopard-2-Panzer verfügt – vier mehr als die Bundeswehr –, einige aber in Syrien einsetzt und den Großteil wohl gegen Griechenland in Bereitschaft hält, das seine etwa 350 Panzer umfassende Leopard-2-Streitmacht ebenfalls nicht verkleinern will. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan will zudem den Nato-Beitritt Schwedens blockieren – die Koranverbrennung in Stockholm ist hier nur ein Vorwand für eine offenbar grundsätzliche Entscheidung. So ist es nicht »die Nato«, die an der Seite der Ukraine steht, es sind vornehmlich die USA, Großbritan­nien und die Staaten mit einer Grenze zu russischem Staatsgebiet: Polen, Lettland, Litauen und Estland, während andere eher widerwillig oder gar nicht mitziehen und das lukrative Russland-Geschäft gern wieder aufnehmen würden.

Deutschland scheint nun allerdings unter noch stärkeren Druck geraten. Scholz hat die Lieferung der Leopard-2-Panzer immer an die Bereitschaft der USA gebunden, Abrams-Panzer zu liefern. Dies hatten die USA bislang abgelehnt, da für den Einsatz dieser Panzer der Aufbau einer komplexen Logistik erforderlich wäre, doch einer Meldung des Wall Street Journal vom Dienstag zufolge »neigt« die US-Regierung nun doch zu einer Lieferung. Sollte sich das bestätigen, dürfte selbst Scholz Mühe haben, eine neue Aus­rede zu finden.