»Lifestyle-Linke« auf dem Kriegspfad
»Von friedensbewegten Idealisten zu Panzerfans« (Spiegel), »Waffen statt Windräder« (Handelsblatt), »Bellizisten« (Zeit) – als sich im Frühjahr Politiker der Grünen damit hervortaten, die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine zu fordern, kommentierten das viele Medien mit Überraschung. In ihrem Wahlprogramm im vorherigen Jahr hatte sich die Partei gegen Waffenlieferungen in Kriegs- und Krisengebiete positioniert und versprochen, sie stehe »für Frieden, Abrüstung« und »eine Kultur der militärischen Zurückhaltung«.
Der grüne Bundestagsabgeordnete Anton Hofreiter, zuvor nicht gerade als Militarist bekannt, repräsentiert den Sinneswandel der Partei besonders eindrücklich. Mitte Dezember sagte er, die Ukraine könne in Zukunft nur durch eine Nato-Mitgliedschaft oder mit »3 200 Leopard-Panzern« vor russischen Angriffen geschützt werden. Oft sei es in der Geopolitik geboten, »mit dem Colt auf dem Tisch« zu verhandeln, zitierte ihn die Berliner Zeitung.
Doch allzu überrascht kann über diese Töne nicht sein, wer die weltpolitischen Entwicklungen der vergangenen Jahre und die Reaktion der Grünen auf sie verfolgt hat. Seit langem plädieren die Grünen für einen härteren Kurs gegen Russland und China, lehnten beispielsweise den Bau der Pipeline Nord Stream 2 nicht nur aus klimapolitischen Gründen ab, und warnten vor der wirtschaftlichen Abhängigkeit Deutschlands von China. Vielleicht weil sie anders als die großen »Volksparteien« weniger mit den industriellen und gewerkschaftlichen Interessenvertretern verbunden sind, die gute Wirtschaftsbeziehungen mit Russland und China priorisierten, oder weil ihre Wählerschaft es mit dem Liberalismus ein bisschen ernster meint als die Anhänger anderer Parteien – jedenfalls hat man den Eindruck, dass grüne Politiker das pflichtschuldige Eintreten für Demokratie und Menschenrechte mit etwas mehr Überzeugung absolvieren als Vertreter von CDU und SPD.
Gleichzeitig hat sich im linksliberalen Milieu die Auffassung durchgesetzt, dass der westliche Liberalismus, will er sich gegen seine illiberalen Herausforderer behaupten, auch machtpolitisch und eben auch militärisch stärker auftreten müsse – beispielsweise so vertreten durch den von ehemaligen Grünen-Politikern geleiteten Think Tank Zentrum Liberale Moderne. Es ist dieses Parteiergreifen für einen transatlantisch geeinten und starken Westen, der die ehemals pazifistischen Grünen heute für Waffenlieferungen eintreten lässt. Umfragen belegen, dass von den Anhängern aller deutschen Parteien nur die der Grünen mehrheitlich die Lieferung deutscher Kampfpanzer an die Ukraine befürworten.
Kein Wunder also, dass auch die extreme Rechte die Grünen als »Kriegstreiberpartei« bezeichnet – sie stört nicht der Militarismus an sich, sondern dessen liberale Ausrichtung. Die AfD wünscht sich Russland als Partner und eine strikt nationale deutsche Interessenpolitik statt der »Kriegstreiberei« der »Globalisten«, wie es Björn Höcke formulierte. Vorgemacht haben das die Anhänger von Donald Trump, die vor Jahren schon »Killary« Clinton, wie sie sie nannten, als blutrünstige neokonservative Kriegstreiberin denunzierten. Auch sie wünschen sich natürlich ein mächtiges Militär, aber eines, das männlich-martialisch auftritt und für US-Interessen kämpft, statt, wie sie es phantasieren, unter der Regenbogenflagge für den »Globalismus«. Die Behauptung, das westliche Gerede von universell gültigen Werten sei ein reiner Betrug und diene allein dazu, das skrupellose Streben nach Weltmacht zu verschleiern, bringt übrigens auch Wladimir Putin immer wieder vor.
Es ist jedoch klar, dass sich auch viele Linke mit dieser grünen Politik nicht anfreunden können. Kaum etwas repräsentiert die sogenannte Normalisierung der deutschen Außenpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg, also den Anspruch, auch dank einer weltweit einsatzfähigen, leistungsfähigen Armee als einer der mächtigen Staaten der Welt auftreten zu können, wie die Wandlung der Grünen. Wie gut das mittlerweile klappt, zeigte Außenministerin Annalena Baerbock im vergangenen Oktober, als sie vor ihrer Partei die Genehmigung von Rüstungsexporten nach Saudi-Arabien damit rechtfertigte, dass sich Deutschland sonst aus gemeinsamen EU-Rüstungsprojekten zurückziehen müsse – und diese seien nun mal notwendig, um trotz der nötigen Militärausgaben noch genug Geld für die Finanzierung des Sozialstaates übrig zu haben. Auch die Bündnispolitik mit Staaten wie der Türkei oder Aserbaidschan, wo es deutsche Interessen gebieten, beherrschen die Grünen problemlos, gerade weil ihre Vertreter dabei noch ein wenig betonter als die Konkurrenten anderer Parteien so innerlich zerrissen die Stirn in Falten legen wie Wirtschaftsminister Robert Habeck in Katar.
Nicht wegdiskutieren lässt sich jedoch, dass die Grünen die russische Politik früh realistisch eingeschätzt haben, während viele Linke jahrelang gegen alle Evidenz der Überzeugung anhingen, es sei bloß die aggressive westliche Politik, die eine friedliche Koexistenz mit Russland unmöglich mache. Seit der russischen Invasion wirkt die Linkspartei entsprechend orientierungslos und gespalten. Kein Wunder, dass viele ihrer Politiker im Grünen-Bashing eine Möglichkeit sehen, wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren, und sich dementsprechend auf die grünen »Sofa-Bellizisten« (Sevim Dağdelen) eingeschossen haben. Selbstkritik dankt einem im politischen Wettbewerb sowieso niemand, mögen sie denken, das Feindbild der »olivgrünen Bellizisten« zu pflegen, wirkt dagegen identitätsstiftend und stärkt den politischen Markenkern. »Die Beiträge grünaffiner Lifestyle-Linker in Kriegsfragen« würden sich »durch besondere Aggressivität hervortun« – mit diesen Worten schaffte es auch Sahra Wagenknecht, dieses Thema für ihre Kulturkampfrhetorik zu nutzen. Überhaupt ist es einfacher, angebliche Kriegsbegeisterung in Deutschland anzuprangern oder mit selbstgerechten »Bellizismus«-Vorwürfen um sich zu werfen, als sich ehrlich mit dem schrecklichen Dilemma der ukrainischen Gesellschaft oder Wladimir Putins Annexionsgelüsten zu beschäftigen.