Der Begriff der Utopie sollte nicht den Rechten überlassen werden

Der Traum ist aus

Die klassische Sozialutopie verliert immer mehr an Bedeutung. Daraus resultiert eine Neubestimmung des utopischen Denkens: Rechte Utopien treten an die Stelle linker. Mehr denn je braucht es deshalb ein von Eschatologien und Machbarkeitsphantasien befreites utopisches Denken von links.
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Der Begriff der Utopie ist scheinbar zu einem Schimpfwort verkommen. ­Etwas als »utopisch« zu bezeichnen, heißt, es als unrealistisch, vermessen oder übersteigert zu diskreditieren. Bevor die Utopie als Synonym für Vermessenheit Einzug in die Alltagssprache erhielt, war damit die ­literarische Gattung der Idealstaatsromane gemeint; später wurde damit eine moderne politische Denktradition bezeichnet. Doch nach dem Zusammenbruch des Sozialismus 1989 riefen Liberale und Konservative die mittlerweile zur Phrase verdünnte These vom »Ende der Utopie« aus. Die neuere sozialwissenschaftliche Utopieforschung seit Ende des 20. Jahrhunderts diskutiert, ob die Menschheit in ein »postutopisches Zeitalter« eingetreten oder eine »Renaissance der Utopie« zu beobachten sei.

Die Utopie und das Utopische
Etymologisch setzt sich »Utopie« aus den altgriechischen Wörtern ou (nicht) und topos (Ort) zusammen, bedeutet also Nichtort oder Nirgendwo. Es handelt sich um eine neuzeit­lichen Wortschöpfung von Thomas Morus, in dessen gleichnamigem ­Roman von 1516 Utopia der Name einer fiktiven Insel ist. Der auf den Soziologen Norbert Elias zurückgehende klassische Utopiebegriff orientiert sich an der Ideengeschichte fiktiver Gesellschaftsentwürfe und analysiert den Wandel dieser Form vor dem Hintergrund soziokultureller sowie historischer Entwicklungen. Elias zufolge beziehen sich »alle Utopien als Furcht- oder Wunschgebilde auf akute Konflikte der Ursprungsgesellschaft«. Der Kultursoziologe Karl Mannheim meinte, Utopien seien darauf ausgerichtet, »die historische Seinswirklichkeit durch Gegenwirkung in der Richtung der eigenen Vorstellung zu transformieren« (»Schwebt sie oder schwebt sie nicht?«: Karl Mannheim, die Idee von der »freischwebenden Intelligenz« und die Soziologie der Intellektuellen).

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