Mit der Letzten Generation im Gotteshaus

Eher Kirchentag als Chaostage

Die Letzte Generation lud zum Auftakt ihrer Proteste in Berlin vergangene Woche zum Brunch in eine Kreuzberger Kirche. Es ging besinnlich zu.
Raucherecke Von

Der Auftakt für die Berliner Protestwochen der Gruppe Letzte Generation war ein gefundenes Fressen für all jene, die der Klimabewegung vorwerfen, quasireligiöse Züge zu haben. Als Startpunkt für ihre groß angekündigten Proteste, mit denen man die Hauptstadt »zum Stillstand« bringen möchte, hatte die Gruppe eine Kirche ausgewählt.

Und so ging es am Mittwochmorgen vergangener Woche los mit einem »Auftaktbrunch« in der St.-Thomas-Kirche in Berlin-Kreuzberg, die in den achtziger Jahren schon Hausbesetzern Unterschlupf geboten hatte. Es war die bis dahin größte öffentliche Veranstaltung der Letzten Generation, die »inklusiver« werden und mehr Menschen für ihren Protest gewinnen möchte, wie es in ihrem Te­legram-Kanal hieß.

Der gemeinsame Brunch sollte dem Kennenlernen dienen und die Möglichkeit bieten, sich am Protest zu beteiligen. Das Setting war typisch linksaktivistisch gestaltet: Es gab ein großes veganes Buffet, Tofu-Crumbles und Antipasti, dazu mehrere Reden. Außerdem Orgelmusik, zu der man eingeladen war, zu meditieren.

Die Pressesprecherin der Letzten Generation, Carla Hinrichs, sagte: »Viele Leute haben wegen der hohen Energiepreise am Ende des Monats kein Geld mehr. Währenddessen fliegen die Reichen mit Privatjets über unsere Köpfe hinweg. Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten.«

Die Gruppe war sehr bemüht darum, dass man sich bei ihr wohlfühlt. Neue Personen wurden sofort angesprochen und wer noch keine »Bezugsgruppe« hatte, konnte in kleinen Kennenlernrunden schnell eine finden. Unter den etwa 300 weitestgehend jüngeren Teilnehmern waren – neben 40 Pressevertretern – auch mehrere Mitglieder der Gruppe Extinction Rebellion, mit der die Letzte Generation eine Woche zuvor die Fassaden von Konzern- und Parteizentralen mit Kunstöl übergossen hatte.

Nicht nur das hallende Echo des Kirchenraums verlieh den Reden Pathos. Der Tonfall changierte teils zwischen Selbsthilfegruppe und evangelischem Kirchentag. »Schau andächtig in das Gesicht der Person neben dir, auch diese Person lebt mir dir auf dem Planeten Erde«, eröffnete eine Aktivistin. Lars Ritter, der wegen Blockaden bereits im Gefängnis gesessen hatte, sprach von der Angst, sich »offen zu zeigen«, und davon, dass man in die Konfrontation gehen müsse. »Konfrontation ist Demokratie«, sagte er, »und das, was unsere Demokratie momentan nicht schafft, das schaffen wir durch die Konfrontation auf der Straße.« Im Hintergrund läuteten die Glocken.

Die aus dem Fernsehen bekannte Pressesprecherin der Letzten Generation, Carla Hinrichs, sagte in ihrer Rede: »Viele Leute haben wegen der hohen Energiepreise am Ende des Monats kein Geld mehr. Währenddessen fliegen die Reichen mit Privatjets über unsere Köpfe hinweg. Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten.«

Neben einem Tempolimit von 100 Stundenkilometern fordert die Gruppe ein bundesweites Neun-Euro-Ticket und die Einführung eines »Gesellschaftsrats«. Dieser soll per Los besetzt werden und ausarbeiten, »wie Deutschland bis 2030 die Nutzung fossiler Rohstoffe beendet«. Die Bundesregierung solle öffentlich zusagen, diese Maßnahmen »in das Parlament einzubringen«, dort die »nötige Überzeugungsarbeit« zu leisten und sie dann »in einer beispiello­sen Geschwindigkeit und Entschlossenheit umzusetzen«.

Der Beifahrer eines vorbeifahrenden Transporters kurbelte sein Fenster herunter und schrie: »Geht arbeiten, ihr Arschlöcher!«

Nach dem Programm ging es los mit den Protesten. Statt der üblichen Sitzblockaden gab es sogenannte Slow Walks – eine Neuheit im aktivistischen Repertoire der 2021 gegründeten Gruppe. Mit diesen langsamen und unangemeldeten Demonstrationen, die den Verkehr blockieren, wollte man die Hürden senken, sich am Protest zu beteiligen, wie es vorher auf einem Online-Strategietreffen erklärt worden war.

In mindestens drei Richtungen ging es los. Sehr schnell hielt die Polizei die jeweils bis zu 40 Personen umfassenden Protestzüge auf, die von einer Traube Journalist:innen begleitet wurden. Zwei Gruppen konnten sich dennoch durch Kreuzberg bis zum Alexan­derplatz und über die Karl-Marx-Allee bis zum Frankfurter Tor bewegen. Sowohl Polizei als auch Demonstrierenden blieben weitestgehend ruhig. Für den meisten Lärm sorgten Autofahrer und Passanten. Der Beifahrer eines vorbeifahrenden Transporters kurbelte sein Fenster herunter und schrie: »Geht arbeiten, ihr Arschlöcher!«

Ein Mitglied des Demozugs, der auf der Schillingbrücke über die Spree Richtung Alexanderplatz von der Polizei festgesetzt worden war, schaffte es, aufs Dach eines Polizeiwagens zu gelangen. Unter Jubel setze er sich auf den Wagen, reckte die Hand in den Himmel, zückte den Kleber und verteilte ihn auf seiner Handfläche. Dafür, dass er sich dennoch nicht festkleben konnte, sorgte jedoch ein schnell kletternder Beamter.