Eine Koranverbrennung in Schweden führte zu Protesten islamisch orientierter Regierungen

Legale Aktion, verbotenes Feuer

Die Verbrennung eines Exemplars des Koran in Stockholm führte zu Protesten von islamisch ausgerichteten Regierungen und einem Sturm auf die schwedische Botschaft in Bagdad.

Ein Mann verbrennt in Stockholm ein Exemplar des Koran. Hunderte aufgebrachte Menschen stürmen daraufhin die schwedische Botschaft in Bagdad, die Außenministerien mehrerer muslimisch geprägter Länder bestellen die Botschafter Schwedens ein, Marokko ruft seinen Botschafter aus Schweden zurück, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan erklärt, dass er den schwedischen Beitritt zur Nato verhindern werde, der Papst schaltet sich ein und spricht davon, dass er Abscheu empfinde – und zwei Männer dürften hochzufrieden sein, weil sie erreicht haben, was sie erreichen wollten.

Chris Madeng Makoundoul, Vorsitzender eines weitgehend unbekannten Kulturvereins namens Liberty Apal­larkerna, sowie der aus dem Irak nach Schweden geflohene Salwan Momika hatten im Februar im Rahmen von beantragten Demonstrationen Koranverbrennungen vor ausländischen Botschaften in Stockholm angekündigt – allerdings unabhängig voneinander und aus unterschiedlichen Gründen. Die schwedische Polizei verbot umgehend beide Kundgebungen aus Sicherheitsgründen, wogegen Makoundoul und Momika vor dem Verwaltungsgericht klagten. Im April bekamen die beiden recht, die Polizei legte Berufung vor dem Kammergericht ein, die jedoch am 12. Juni abgewiesen wurde.

Makoundoul hatte die von ihm geplante Koranverbrennung gegenüber der schwedischen Presse damit begründet, dass er sich gegen das wehren wolle, was »wir als einen Bruch mit Schwedens Verfassung und seiner Rechts­praxis sehen, die Meinungs- und Redefreiheit garantiert«. Wer »wir« ist, bleibt unklar, denn nur er äußert sich in der Öffentlichkeit, was daran liegen könnte, dass sein Verein Liberty Apallarkerna Journalisten zufolge weniger als zehn Mitglieder hat. Die Koranverbrennung sei jedenfalls als Zeichen des Widerstands gegen den Nato-Beitritt Schwedens nötig, aus »einer Reihe von Gründen, unter anderem die wirtschaftlichen Kosten eines Nato-Beitritts und deren Auswirkungen auf das Gesundheitswesen, den Bildungssektor sowie die Kriminalität«.

Chris Madeng Makoundoul, der sich bei Pinterest als »liberaler Nietzscheanist« bezeichnet, hofft, dass der Beitritt Schwedens zur »Kriegsorganisation Nato« verhindert werden kann und das Land seine Neutralitätspolitik fortsetzt.

Nach der endgültigen Entscheidung des Gerichts sagte Makoundoul dann jedoch in einem Interview auf einem Kanal der öffentlich-rechtlichen schwedischen Fernsehgesellschaft SVT, dass er nie wirklich vorgehabt habe, einen Koran zu verbrennen. »Wir wollten lediglich vor der türkischen Botschaft demonstrieren und dabei dem Botschafter die schriftliche Genehmigung zur Koranverbrennung sowie einen vollkommen unbeschädigten Koran übergeben.« Schließlich habe man nichts gegen Muslime, »sondern nur dagegen, dass man uns in die Nato zwingt, ohne öffentliche Diskussion oder Volksabstimmung«. Bis zur Gerichtsverhandlung habe er im Übrigen ganz bewusst so getan, als wolle er einen Koran verbrennen, »denn ich wollte ja nicht, dass die Richter die Kundgebung am Ende aus den falschen Gründen verbieten«. Nun hoffe er, dass Erdoğan »zu seinem Versprechen steht, den schwedischen Nato-Beitritt zu verhindern«. Der türkische Präsident sei zwar »ein Diktator, aber der Feind unserer Feinde ist unser Freund«, und um in Schweden »einen demokratischen Prozess in Gang zu setzen, ist es erlaubt, sich an einen Diktator zu wenden«.

Makoundoul, der sich bei der Online-Pinnwand Pinterest als »liberaler Nietzscheanist« bezeichnet, hofft nun, dass der Beitritt Schwedens zur »Kriegsorganisation Nato« verhindert werden kann und das Land seine Neutralitätspolitik fortsetzt. Dass mittlerweile 67 Prozent der Schweden den Beitritt wollen – Anfang 2022, vor dem russischen Angriff auf die Ukraine, waren es nur rund 20 Prozent gewesen –, beeindruckt Makoundoul offenbar nicht.

»Ich möchte nicht, dass meine Kinder in einer Gesellschaft leben, in der Menschen ohne jede Erklärung verschwinden« und verdächtige Personen gefoltert würden, begründete er am 5. April in einem Facebook-Post seine Ablehnung eines schwedischen Nato-Beitritts. Nur wenige Menschen wüssten, was eine Nato-Mitgliedschaft bedeute, nämlich dass nicht nur US-Militärbasen im Land errichtet würden, sondern auch »der amerikanische Sicherheitsapparat mit aller Macht hierherkommt«. Zu solchen Äußerungen passt ein Bericht der Tageszeitung Expressen, die vor einigen Monaten schrieb, dass Makoundoul auf seinen Social-Media-Accounts russische Propaganda teile und darüber klage, dass Schweden Waffen an »die kriegsverbrecherischen Nazis in der Ukraine« liefere. Diese Postings sind allerdings öffentlich nicht mehr einsehbar.

Der im irakischen Tel Afar geborene Salwan Momika, der zufällig Makoundouls Mitstreiter wurde, war 2017 nach Schweden geflohen. Viele gesicherte Fakten über seinen Lebenslauf gibt es nicht. Eigenen Angaben zufolge war er im Irak politisch aktiv und kämpfte mit der überwiegend schiitischen Miliz al-Hashd al-Shaabi gegen den »Islamischen Staat«. Außerdem soll er der zwar christlich orientierten, aber säkularen Syriac Union Party angehört ­haben, was ein Sprecher jedoch gegenüber schwedischen Medien am Wochenende bestritt. Momika sagt, dass er im Irak von der schiitisch-islamistischen Mahdi-Miliz gefangen genommen und gefoltert worden sei, bevor er fliehen konnte.

Momika hatte eigentlich vor der irakischen Botschaft demonstrieren und dort ein Exemplar des Koran verbrennen wollen. Nach dem Gerichtsentscheid im Juni ließ er diesen Plan jedoch fallen. Er verlegte seine Kundgebung in die Nähe einer zentral in Stockholm gelegenen Moschee, wo er zu Beginn des islamischen Opferfests Eid al-Adha am 28. Juni in Aktion trat. Der 37jährige spielte dabei die schwe­dische Nationalhymne ab, schwenkte die schwedische Fahne und riss meh­rere Seiten aus einem von ihm mitgebrachten Koran. Zusätzlich legte er Schweinespeck zwischen die Buch­seiten, drückte eine Zigarette darauf aus und trampelte schließlich auf dem Buch herum, bevor er es anzündete.

Die Gegendemonstration verlief weitgehend friedlich. Ein schwedischer Muslim verteilte Schokolade, »an Eid al-Adha verschenken wir ja sowieso ­Süßigkeiten«, sagte er einem Journalisten. »Eigentlich grillen wir dann auch Lammfleisch, aber hier nun mit einem Grill zu stehen, hätte vielleicht nicht wirklich gut ausgesehen. Und außerdem ist offenes Feuer im Moment ja wegen der Trockenheit verboten.«

Der 37jährige aus dem Irak geflüchtete Salwan Momika trampelte auf dem Koran herum, bevor er ihn anzündete. Die Gegendemonstration in Stockholm verlief weitgehend friedlich.

Dieses Verbot dürfte für Momika noch Folgen haben. Die Polizei ermittelt nicht nur wegen »Hetze gegen eine ethnische Gruppe« gegen ihn, sondern auch weil er gegen das derzeit geltende Verbot verstoßen hat, ein Feuer zu entzünden. Das erscheint wegen der Genehmigung der Aktion widersprüchlich, Helena Boström Thomas, Pressesprecherin der Stockholmer Polizei, begründete dies so: »Der Schutz der ­Verfassung geht über die Regelung zum Verbot von offenem Feuer«, entsprechend habe es keine Chance gegeben, die Kundgebung zu verbieten.

Auch Momika hat sich widersprüchlich geäußert. »Ich war sicher, dass das Gericht die schwedischen Gesetze vorschriftsmäßig anwenden und es nicht zulassen würde, dass islamisches Recht und Gesetze der Wüste über schwedischem Recht stehen«, sagte er im Juni in einem Interview mit der Zeitung Aftonbladet. Genau das, also »den Koran und das Gesetz Mohammeds über das schwedische Recht zu stellen«, habe nämlich die Polizei getan, als sie die geplante Koranverbrennung verbot, fand er.

Den schwedischen Nato-Beitritt wolle er nicht verhindern, hatte er damals noch betont. Und erklärt, dass er »sehr sorgfältig« darüber nachdenke, wann genau seine Koranverbrennung stattfinden solle. Möglicherweise werde er damit warten, bis Schweden Mitglied der Nato geworden ist, »und erst dann demonstrieren, denn ich möchte keinesfalls, dass meine Demo sich negativ auf das Beitrittsersuchen auswirkt«. Er wolle dem Land, »das mich aufgenommen und meine Würde bewahrt hat, unter keinen Umständen schaden«.

Doch Salwan Momika wartete nicht bis zum Nato-Beitritt, und sein Auftritt liefert den Vorwand für Aktivitäten von Regierungen islamisch geprägter Staaten und islamistischen Gruppen. Die 57 Staaten umfassende, 1969 auf Initiative des berüchtigten ehemaligen Muftis von Jerusalem, Amin al-Husseini, gegründete Organisation für Isla­mische Zusammenarbeit hielt eine Sondersitzung ab und forderte »kollektive Anstrengungen gegen abscheuliche Handlungen« sowie die »Anwendung internationalen Rechts« gegen »reli­giösen Hass«. In Bagdad war es der schiitische Islamist und Milizenführer Muqtada al-Sadr, der sich mit dem Botschaftssturm als Hüter des Glaubens profilieren will. Momika will nun auch noch vor der irakischen Botschaft einen Koran verbrennen – »innerhalb der nächsten zehn Tage«, sagte er am Wochenende.