Junge rechtsextreme Influencer

Voll normale Hetze

Die Youtuber »Eingollan« und »Ketzer der Neuzeit« machen lockere Videos mit extrem rechten Botschaften.

Unbehagen ist das Grundgefühl der Moderne. Die Spannung zwischen dem Verdacht, dass irgendetwas nicht stimmt, und der Sehnsucht nach einer heilen Welt – das ist so etwas wie die Grundzutat faschistischer Agitation, die darauf zielt, gleichzeitig zu blinder ­Rebellion und absoluter Passivität anzustacheln. Wie diese Stimmung genutzt werden kann, demonstriert der Trailer eines kürzlich im Internet erschienenen Dokumentarfilms: Man untermale Aufnahmen vom Strand oder einer Fahrt mit dem Campingbus mit einem unheimlichen Soundtrack, lasse jemanden in dramatischem Tonfall andeuten, dass unter uns gefährliche, bösartige Menschen lebten (»schwarzer Block, alle vermummt«), und blende dann über zu sanftem Abendlicht, melancholischer Gitarrenmusik und nachdenklich in die Ferne blickenden Menschen. Aus dem Off sind Gespräche zu hören, die von schweren Prüfungen, Knast, Glaube und Zwangsimpfungen berichten. Am Ende lachen die beiden jungen blonden Helden aus­gelassen am Strand – es gibt wohl doch Hoffnung trotz der verderbten Gegenwart.

Mit diesem Trailer bewerben Leonard Jäger und Michelle Gollan ihren ersten Film »On Tour«, der auf ihrer ­eigens eingerichteten Streaming-Plattform für 14,90 Euro zu kaufen ist. Die beiden gelten als Influencer, sie betreiben erfolgreiche Social-Media- und Youtube-Kanäle mit mehr oder weniger offen faschistischen Botschaften. Jäger nennt sich »Ketzer der Neuzeit« und stellt damit bereits klar, dass er sich als verfolgter Wahrheitsprediger sieht. Wogegen er »ketzt«, ist die »NWO« – die sogenannte Neue Weltordnung, Gegenstand einer antise­mitischen Verschwörungstheorie. Gollan gibt sich als »Eingollan« lockerer, sie vertritt vor allem antifeministische und andere reaktionäre Positionen mit gelassener Selbstverständlichkeit.

Die Themen, die die beiden in ihren Straßeninterviews und Videocollagen bespielen, sind Klassiker der neuen Rechten: »Kulturmarxismus« und »Transgenderideologie« als Bedrohung für Kinder, mit Zwangsgebühren finanzierte Mainstream-Medien, linksgrüne Vorherrschaft, die die Antifa dulde, wenn nicht gar unterstütze, und allgemein der Untergang des Abendlands, der sich in Sittenverfall und ideologischem Wahn äußere.

Die extrem rechten Influencer geben sich nahbar, oft betont naiv und an den geeigneten Stellen demonstrativ unpolitisch.

Die Videos sind nicht auf den ersten Blick als rechtsextreme Propaganda zu erkennen. Die Präsentation und das Auftreten unterscheiden sich wenig von den üblichen humoristischen Videos auf Youtube. Der Tonfall ist betont harmlos, voller ironischer Andeutungen. In den meisten Videos werden Passanten – oft Linke, Feministinnen und Öko-Aktivisten – interviewt, mit der Absicht, sie lächerlich zu machen. Dabei berufen sich die beiden Influencer eher auf das Bauchgefühl des kleines Mannes von der Straße als auf dezidiert vertretene Ideologie. Man selbst sei normal, die anderen nicht – das ist die Botschaft, wenn etwa Eingollan ein wenig verquer daherredende alte Öko- oder junge Queeraktivisten interviewt, und dabei immer wieder süffisant in die Kamera grinst.

Die Aussagen der linken Gegner werden gelegentlich mit Zeitungsmeldungen und vermeintlichen Gegen­argumenten zusammengeschnitten, um zu zeigen, wie absurd sie seien – meist aus dem Munde Julian Reichelts oder der AfD. Ein Klassiker reaktionärer Projektion: Man sieht sich in einem Kampf gegen eine alberne und schwache, aber dennoch alles beherrschende Macht.

Jäger und Gollan geben sich nahbar, oft betont naiv und an den geeigneten Stellen demonstrativ unpolitisch. »Ich persönlich unterstütze keine Partei«, sagt Jäger, »weil ich einfach kein Fan von dieser Scheindemokratie bin.« Er ist nur eine ehrliche Haut, so die Botschaft. Wenn die beiden in ihren Videos auf LGBT- oder Antifa-Demonstrationen gehen, wollen sie demnach nur mit den Leuten reden und deren Meinung erfahren. Meinungsfreiheit sei ein hohes Gut für den »Ketzer«, betont Jäger immer wieder, doch heute werde sie bedroht und unbequeme Meinungen würden als »Rechtspopulismus« oder »Volksverhetzung« verfolgt.

Das bisher meistgeklickte Video von »Ketzer der Neuzeit« trägt den Titel »So reagieren Linke, wenn du LGBTQ-Kitas ablehnst (nicht nachmachen)« und dreht sich um den Bau einer von der Schwulenberatung Berlin initiierten queeren Kita in Schöneberg. Jäger spricht mit Passanten, die das »voll scheiße« finden, winkt fröhlich und locker den Leuten auf dem Balkon, die ihm »Hau ab!« zurufen, und witzelt über die geringe Anzahl von Regenbogenfahnen.

Im selben Video ist Gollan mit Freunden bei der Kundgebung der AfD gegen die Kita unterwegs. Sie fragt dort Leute, die gegen die Kundgebung protestieren, warum sie das tun – es gehe doch immerhin um den Schutz der Kinder vor Pädophilie! Erschüttert zeigen sie sich im danach im Video gezeigten Selbstinterview von der Ignoranz, die ihnen, wie sie meinen, entgegenschlug. Man werde so schnell in die rechte Ecke gestellt, dabei seien doch diejenigen, die andere Meinungen unterdrücken wollen, die eigentlichen Nazis.

Das bisher meistgeklickte Video von »Ketzer der Neuzeit« trägt den Titel »So reagieren Linke, wenn du LGBTQ-Kitas ablehnst (nicht nachmachen)« und dreht sich um den Bau einer von der Schwulenberatung Berlin initiierten queeren Kita in Schöneberg.

Diese unbefangene »Man wird ja wohl noch fragen dürfen«-Stimmung konterkariert Jäger am Ende mit einer sehr eindeutigen Botschaft: Die Diversitätsideologie sei »eine gezielte Destabilisierung unserer Zivilisation, um dann eine neue gesellschaftliche Ordnung einzuführen, die allem, wofür es sich zu leben lohnt, entgegensteht. ­Allem voran ist das Natürlichste und gleichzeitig Schönste in Gefahr: die ­traditionelle Familie.« Dagegen empfiehlt Jäger direkt seine Merchandise-Kleidung, »um dich gegen die allzeit präsente Regenbogenpropaganda modern, aber mit Würde und Stil, zu stellen« – wovon keine Rede sein kann, denn es handelt sich um die üblichen schwarzen Hoodies mit aufgedruckten Parolen. Durch den Kauf unterstütze man ihn, so Jäger, bei der »umfangreichen Arbeit, auch die junge Generation zu inspirieren, frei und unabhängig zu denken«.

Vermutlich können Gollan und Jäger von ihren Videos ganz gut leben. Youtube belohnt followerstarke Kanäle und hohe Klickzahlen mit Beteiligung an Werbeeinnahmen. Ein Beitrag der Projekte »De:hate« und »Kompetenznetzwerk Rechtsextremismusprävention« schätzte kürzlich, dass die beiden allein dadurch jeweils zwischen 5.000 und 9.000 Euro im Monat verdienen.

Außerdem werben sie auf der Website ihrer Streaming-Plattform um Spenden und verkaufen T-Shirts und Pullover, auf denen »Frieden«, »Freiheit« oder »Souveränität« steht. Was die beiden hier bewerben, ist altbekannt, wie sie es tun, allerdings durchaus neu.