Auszug aus der im Milena-Verlag Wien erschienenen Sozialsatire

Der Kaiser der Obdachlosen

An einem schönen Sommertag in einer mittelgroßen Stadt findet eine Wahl der besonderen Art statt. Die Wahl zum Kaiser der Obdachlosen, ausgetragen von der bunten Gruppe der wohnungslosen Bevölkerung der Stadt. Mit dem Versprechen auf Obdach und Unterkunft gelingt es Gerhard, nach eigenen Angaben ehemaliger Käpt’n zur See, die Abstimmung für sich zu entscheiden und seine Wählerschaft auf einen Weg zu führen, der in der Besetzung der Kirche mündet. Aus Kapitel eins: »Die Wahl zum Kaiser«.
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Eigentlich würde man davon ausgehen, dass, wenn Obdachlose schon so etwas wie eine Regierung etablieren, sie dies nicht unbedingt auf monarchische Art und Weise tun. Wahrscheinlich ist das ein Vorurteil, aber es ist halt so ein Gefühl in der Magengrube. Monarchistische Obdachlose? Irgendwie komisch. Passt nicht ganz. Denn so ziemlich alles, was wir über Obdachlose wissen, schneidet sich mit dem, was wir über Monarchen wissen, die bekanntlich Schloss- und Burgenbesitzer sind. Die einzige Gemeinsamkeit zwischen Obdachlosen und Monarchen, die sich intuitiv herstellen lässt, ist, dass keine der beiden Gruppen Normalarbeitsverhältnisse schätzt. Sonst gibt’s da nichts, was auch nur im Entferntesten nach Zusammenhang aussieht. Allerdings, komplett egal meine Meinung zu dieser Thematik, denn da die Geschichte in der Vergangenheit spielt, hat die Wahl zum Kaiser der Obdachlosen zwangsläufig bereits stattgefunden.

Also nicht weiter wertvolle Zeichen verlieren, auf zur eigentlichen Wahl. Zur Wahl zum Kaiser. Zum Kaiser der Obdachlosen. Auch wieder so ein komischer Widerspruch. Wahl zum Kaiser. Also wenn Wahl, dann eigentlich kein Kaiser, und wenn Kaiser, dann bitte keine Wahl. Aber erklär das mal dieser doch zum Teil bereits sehr angeheiterten Gruppe von aktiven und passiven Wählern aus dem Milieu, das ich bereits mit dem sehr verengenden und unzureichend ausdifferenzierenden Begriff der »Obdachlosen« zusammengefasst habe.

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