Was von Martin Walser in Erinnerung bleiben wird

Fortgesetzter Groll

Der Schriftsteller Martin Walser ist im Alter von 96 Jahren gestorben. Sein Name bleibt verbunden mit den Attacken auf seine Kritiker Marcel Reich-Ranicki und Ignatz Bubis.

Martin Walser zählt gemeinhin mit Günter Grass, Heinrich Böll und Hans Magnus Enzensberger zu den wichtigsten deutschen Autoren der Nachkriegszeit. Mit Walser ist nun der Letzte der alten Garde gestorben. Alle vier wuchsen während der Nazizeit auf, jedoch verlief ihre Jugend unterschiedlich: Während Enzensberger aus der Hitler-Jugend, der er als Beamtensohn habe beitreten müssen, wegen Querulantentums ausgeschlossen wurde und es Böll gelang, die Mitgliedschaft zu umgehen, machten Grass, von dem sich erst spät herausstellte, dass er in der SS war, und Walser von Beginn an mit. Der junge Walser wurde Mitglied der Marine-HJ am Bodensee und schaffte es zum Reichsmeister im Signalwinken. Er wurde Flakhelfer und Mitglied der NSDAP; Letzteres angeblich ganz ohne eigenes Zutun.

Seine Novelle »Ein fliehendes Pferd« (1978) haben viele in der Schulzeit gelesen. Der Verfasser allerdings wird wohl vor allem wegen seiner Dankesrede zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels und seines Konflikts mit dem dem damaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, sowie seiner Feinschaft zum Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki in Erinnerung bleiben.

Der Streit mit Reich-Ranicki nahm seinen Anfang, nachdem dieser 1976 in der FAZ Walsers Roman »Jenseits der Liebe« ver­rissen hatte, was der Autor in paranoider Weise als Versuch, ihn aus der Literatur zu vertreiben, wertete, wie er es 2017 in dem gemeinsam mit seinem Sohn Jakob Augstein in dem Band »Das Leben wortwörtlich: Ein Gespräch« erklärte. Seine unmittelbare Reaktion auf die Kritik bestand in einem offenen Brief an Reich-Ranicki, in dem Walser wutentbrannt ankündigte: »Ich sage Ihnen also, dass ich Ihnen, wenn Sie in meine Reichweite kommen, ins Gesicht schlagen werde.«

Walsers Buch »Tod eines Kritikers« (2002) war der in Romanform verpackte Schlag ins Gesicht von Reich-Ranicki.

Dass Reich-Ranicki zwei Jahre später die Größe besaß, »Ein fliehendes Pferd« als »ein Glanzstück deutscher Prosa dieser Jahre« zu loben, besänftigte den Groll des Autors keineswegs. Walser bestritt auch sein Leben lang, dass das Zerwürfnis etwas damit zu tun hatte, dass Reich-Ranicki Jude war. Reich-Ranicki hingegen antwortete auf die Frage eines Journalisten, ob der Schriftsteller ein Antisemit sei, es sei Walser offenbar wichtig gewesen, eigens darauf hinzuweisen, dass der Kri­tiker, der ihn angeblich am meisten gequält hat, auch noch Jude ist. Walsers Buch »Tod eines Kritikers« (2002) war dann der in Romanform verpackte Schlag ins Gesicht von Reich-Ranicki. Die Fehde mit dem Kritiker endete erst mit dessen Tod 2013.

In der Walser-Bubis-Kontroverse, die sich im Anschluss an die Friedenspreis-Rede entspann, lenkte Walser zumindest teilweise ein. Bubis hatte Walser »geistige Brandstiftung« vorgeworfen und davor gewarnt, geschichtsrevisionistische Gedan­ken salonfähig zu machen. Walser räumte im Gespräch mit Augstein fast 20 Jahre später »einen Fehler« ein: »Ich habe aus Auschwitz ein essayistisches Thema gemacht.« Ihm sei es »um Leute wie Günter Grass und Walter Jens« gegangen, »die von uns allen immer gefordert hatten, die deutsche Teilung als gerechte Strafe für Auschwitz zu akzeptieren«. In seiner Muttermilch sei kein Antisemitismus gewesen.

Dass es so einfach nicht ist, zeigte allerdings der Kulturwissenschaftler Matthias N. Lorenz in seiner 2005 erschienenen Studie »Auschwitz drängt uns auf einen Fleck«. Walsers Werk sei ein »Beispiel für literarischen Antisemitismus«. Walser verwende antisemitische Stereotype, um die negative Stigmatisierung des »Tätervolks« zu überwinden, und nutze sie, um ein positives Selbstbild der Deutschen zu schaffen.

Irgendwas war offenbar doch in der Muttermilch.