Die sogenannte Westbalkan-Regelung sichert der Baubranche günstige Arbeitskräfte

Giftcocktail für Bauarbeiter

Durch die Ausweitung der sogenannten Westbalkan-Regelung hat die Bundesregierung den Import billiger Arbeitskraft gesichert, vor allem für die Baubranche.

»Das Baugewerbe atmet auf«, kommentierte die Nachrichten-Website Handwerk.com, die sich an »Chefinnen und Chefs im Handwerk« richtet. Ende Juni hatte die Bundesregierung die sogenannte Westbalkan-Regelung entfristet und ausgeweitet. Damit sicherte sie vielen Unternehmen, die wegen schlechter Lohn- und Arbeitsbedingungen nicht genug Personal auf dem deutschen ­Arbeitsmarkt finden, die Zufuhr billiger Arbeitskraft.

Die Westbalkan-Regelung war 2016 eingeführt worden. In den Jahren davor hatte die damalige schwarz-rote Regierungskoalition die Länder des Westbalkan zu sicheren Herkunftsländern erklärt. Dadurch wurden Abschiebungen erleichtert und Menschen von dort hatten kaum noch Chancen auf Asyl. Im Gegenzug sollte die Westbalkan-Regelung Arbeitskräften, die in Deutschland gebraucht wurden, den Zuzug erleichtern.

Menschen aus Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien erhielten dadurch erleichterten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt – und zwar »für jede Art von Beschäftigung, unabhängig von einer anerkannten Qualifikation«, wie auf der Website der Deutschen Botschaft im Kosovo nachzulesen ist. Der Antrag dafür kann nur in den Herkunftsländern gestellt werden, Voraussetzung ist ein verbindliches Arbeitsplatzangebot in Deutschland.

Pro Jahr gab es diese Möglichkeit für maximal 25.000 Menschen, außerdem wurde die Regelung bis 2020 befristet und dann auf Drängen von Arbeitgeberverbänden zunächst bis 2023 verlängert. Schließlich beschloss die Bundesregierung, die Verordnung zu entfristen, und erhöhte zugleich die Zahl der Menschen, die jährlich zum Arbeiten nach Deutschland kommen können, auf 50.000. Der Bundesrat stimmte dem Ende Juni zu.

Die Westbalkan-Regelung ist für Unternehmen besonders attraktiv, weil die Arbeitsmigranten voll und ganz an ihren Arbeitgeber gebunden sind. Ein Arbeitsplatzwechsel ist ausgeschlossen und würde zum Verlust der befristeten Aufenthaltserlaubnis führen. Hinzu kommen oft weitere persönliche Abhängigkeiten, da die Arbeitsplätze nicht durch staatliche Stellen der Herkunftsländer, sondern meist informell vergeben werden. Nicht selten fließt ein Teil des kargen Lohns in die Taschen von Mittelsmännern.

Vergangenes Jahr verwarfen die Arbeitgeberverbände der Bauwirtschaft den seit über 25 Jahren bestehenden Branchenmindestlohn.

Von der Westbalkan-Regelung profitiert insbesondere das Baugewerbe. 44 Prozent der derart angeworbenen Arbeiter:innen schuften in Deutschland auf Baustellen – zu dem Ergebnis kam eine Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit über die Jahre 2016 und 2017. Der über Jahre andauernde Boom der Branche, der deutschen Baukonzernen große Profite bescherte, basierte auf der massenhaften Ausbeutung migrantischer Arbeitskräfte in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Lohndumping, Arbeitszeitbetrug und die Umgehung gesetzlicher Normen gehören im Bausektor zum Alltag insbesondere ausländischer Arbeitskräfte.

Viele Bauarbeiter:innen, die über die Westbalkan-Regelung nach Deutschland kommen, haben zwar wenig formelle Qualifikationen, bringen jedoch umfassende berufspraktische Erfahrungen mit. Über die Hälfte von ihnen ist daher als Fachkraft tätig – bezahlt werden sie jedoch meist nur auf Helfer:innenniveau. Wie im März aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der stellvertretenden Vorsitzenden der Bundestagsfraktion der Linkspartei, Susanne Ferschl, hervorging, verdienten 2021 45 Prozent der betroffenen Vollzeitbeschäftigten weniger als 2 500 Euro brutto im Monat, 15 Prozent gar weniger als 2.000 Euro.

Dass es den Bauunternehmen in den vergangenen Jahren gelang, die Lohnkosten in der Branche trotz des eklatanten Arbeitskräftemangels niedrig zu halten, haben sie also nicht zuletzt der Westbalkan-Regelung zu verdanken. »Die Westbalkanregelung in ihrer derzeitigen Form ermöglicht die syste­matische Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte, in Branchen, in denen aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen und niedriger Löhne fast niemand mehr arbeiten möchte«, sagte Ferschl der Tageszeitung ND.

Vergangenes Jahr verwarfen die Arbeitgeberverbände der Bauwirtschaft sogar den seit über 25 Jahren bestehenden Branchenmindestlohn; nun gilt bis auf weiteres der niedrigere gesetzliche Mindestlohn. Belohnt werden sie dafür nun von der Bundesregierung mit der Ausweitung der Westbalkan-Regelung – trotz der deutlichen Kritik der Gewerkschaften. »Der erhebliche Fachkräftebedarf der Branche soll also auf dem Rücken eingewanderter Beschäftigter zu Niedriglöhnen behoben werden, statt die gerade im Baugewerbe dringend benötigten Fachkräfte angemessen zu bezahlen«, hieß es Anfang des Jahres in einer Stellungnahme des DGB. Dass Unternehmen, welche die Westbalkan-Regelung in Anspruch nehmen, keine Tarifbindung vorweisen müssen, »öffnet dem Lohndumping Tür und Tor«, kritisierte der Bundesvorsitzende der für das Baugewerbe zuständigen Gewerkschaft IG BAU, Robert Feiger. In Kombination mit einem fehlenden Branchenmindestlohn werde daraus ein »richtiger Giftcocktail«, so Feiger.

Die Bundesregierung sieht darin offenbar kein Problem. Im Gegenteil: Manche in der FDP und der SPD möchten die Verordnung in Zukunft auch auf andere Länder anwenden. Die SPD-Bundestagsabgeordneten Hakan Demir und Rasha Nasr hatten zum Beispiel im April eine Ausweitung der Westbalkan-Regelung auf Tunesien, Georgien und die Republik Moldau vorgeschlagen.

Wie auch die kürzlich verabschiedete Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes zeigte, will die Bundesregierung den vielfach beklagten Personalmangel vor allem mit Hilfe schlecht bezahlter auslän­discher Arbeitskräfte lösen, anstatt Arbeitsbedingungen zu verbessern.