Von China lernen
Da musste sogar der notorisch humorlose Götz Kubitschek schmunzeln. Auf dem Sommerfest des von Kubitschek mitgegründeten rechtsextremen »Instituts für Staatspolitik« hatte der AfD-Europaabgeordnete Maximilian Krah den Begriff »bürgerlich-liberal-konservativ« als »Unsinn« bezeichnet und hervorgehoben, dass diesbezüglich nun auch der Bundesvorstand der AfD, dem Krah als Beisitzer angehört, »Klarheit hergestellt hat«. Wenig später wurde Krah, der seit längerer Zeit eng mit dem neurechten Milieu verbandelt ist und in Kubitscheks Verlag Antaios vor kurzem ein Manifest für eine »Politik von rechts« veröffentlicht hat, zum Spitzenkandidaten der AfD für die kommende Europawahl gewählt.
Krah gilt als kompromissloser Hardliner, der die EU in ihrer jetzigen Form abschaffen möchte. Voriges Jahr wurde er wegen »wiederholter Verletzung von Treue- und Loyalitätspflichten« für ein halbes Jahr von seiner Fraktion, »Identität und Demokratie«, suspendiert, weil er im französischen Präsidentschaftswahlkampf nicht Marie Le Pen unterstützt hatte, sondern den radikaleren Éric Zemmour. Im innerparteilichen Machtkampf um die EU-Spitzenkandidatur wurde ihm außerdem eine zu große Nähe zur chinesischen Politik vorgeworfen.
»Der AfD-Mann der KPCh in Brüssel« – so lautet der Titel eines englischsprachigen Artikels, den der ehemalige Breitbart-Autor Matthew Tyrmand vorigen Dezember veröffentlicht hatte. Darin behauptet er, Krah sei auf Kosten des chinesischen Konzerns Huawei und des staatseigenen Erdölunternehmens Sinopec nach China gereist. Krah bestritt dies – er sei von den beiden Konzernen zwar eingeladen worden, diese hätten aber weder Flug noch Hotel bezahlt – und kündigte auf Twitter ein »juristisches Nachspiel« an. Hierzulande griff das rechte Online-Medium Tichys Einblick die Vorwürfe gegen Krah auf.
Dass Krah ein Faible für China hat, ist freilich kein Geheimnis. Im EU-Parlament gehörte er der inoffiziellen EU-China Friendship Group an. Anlässlich des 72. Gründungstags der Volksrepublik postete Krah ein äußerst herzliches Glückwunschvideo auf Facebook. Im November 2022 gab er der Global Times, dem englischsprachigen Propagandaorgan der KPCh, ein Interview, in dem er vor »antichinesischen Kräften in Deutschland« warnte und sich für eine Abwendung Europas von den USA aussprach.
Auch im neurechten Umfeld der AfD hoffen viele, dass der Aufstieg der VR China eine Chance für Deutschland bietet, sich von den USA unabhängig zu machen. Im Kern ist das neurechte China-Bild eine antiamerikanische Projektion. Die Beiträge zu dem Thema in Kubitscheks Zeitschrift Sezession lesen sich zum Teil, als stammten sie aus dem Propagandaapparat der KPCh.
Nach Ansicht von Benedikt Kaiser, der mittlerweile für den AfD-Bundestagsabgeordneten Jürgen Pohl arbeitet, könne China ein Verbündeter bei »der Korrektur der bestehenden Weltordnung hin zu einer multipolaren Neusortierung« sein. Peter Kuntze schrieb bereits 2010 in einem Gastbeitrag für die Sezession mit dem Titel »Von China und Mao lernen«, die Volksrepublik China nehme die »Nichteinmischung in innere Angelegenheiten« ernst, lehne »menschenrechtliche Belehrungen ab« und habe »keine imperialen Ambitionen«.
Die chinesische Staatspartei sieht in der AfD offenbar einen potentiellen Verbündeten. Im Juli war die Co-Parteisprecherin Alice Weidel auf einer Delegationsreise in der Volksrepublik.
Die vor zwei Jahren veröffentlichte Übersetzung des Weltordnungsentwurfes des chinesischen Philosophen Zhao Tingyang wurde in der Neuen Rechten ebenfalls begeistert rezipiert. Martin Sellner, bis Anfang des Jahres Sprecher der österreichischen Identitären Bewegung, lobte in der Sezession die Adaption des kaiserlichen Tianxia-Konzepts (Alles unter dem Himmel) durch den »Staatsphilosophen« als Beispiel für die »visionären denkerischen Gegenentwürfe zur westlich liberalen ›Thalassokratie‹«, die »Denker aus den kontinentalen Machtzentren China und Russland« derzeit erarbeiteten.
Thalassokratie ist ein antikes Wort für Seemächte, das Carl Schmitt aufgegriffen hat. In seiner Raumordnungstheorie unterscheidet er zwischen Seemächten wie Großbritannien und den USA, die kommerziell, liberal und universalistisch ausgerichtet seien, und kontinentalen Landmächten wie Deutschland, die für Tradition, Souveränität und Identität stünden. In Anlehnung an Schmitt sehen faschistische Denker wie Alain de Benoist und Aleksandr Dugin in einem russisch geführten »Eurasien« den Gegenpol zum angloamerikanischen Liberalismus. Sellner scheint nahezulegen, dass auch China in dieser Hinsicht Potential hat.
Ähnlich argumentiert Dimitrios Kisoudis. Der Putin-Bewunderer ist Grundsatzreferent für Tino Chrupalla, den Co-Bundessprecher der AfD. In seinem Buch »Goldgrund Eurasien« (2015) betonte er, dass »die USA Anspruch auf eine unipolare Welt, sprich: Weltherrschaft, erheben, während Russland und China eine multipolare Welt anstreben«.
Nach der üblichen neurechten Vorstellung bedeutet eine »multipolare« Welt, dass Großmächte ihre Einflusszonen bestimmen können. Dort herrscht »Interventionsverbot für raumfremde Mächte«, wie Carl Schmitt es ausdrückte. Nach dieser Sichtweise hat Russland das Recht, die Ukraine zu beherrschen – und das Gleiche gilt für China bezüglich Taiwans. »Teile der taiwanesischen Gesellschaft«, schreibt Kaiser in der Sezession, seien »ökonomisch und geistig amerikanisiert«. Aufgrund seiner geographischen Lage und als »Teil der Mannschaft der globalen US-Hegemonie« sei das Land daher eine »Herausforderung« und »Bedrohung« für die Volksrepublik.
Auch Krah äußerte 2020 in einem Interview mit Free West Media Verständnis für das »chinesische Volk«, das »auf die Wiedervereinigung mit Formosa hoffe und darauf hinarbeite«. Formosa ist der Name, mit dem portugiesische Seefahrer das heutige Taiwan bezeichnet hatten. In den Artikeln und Kommentarspalten auf neurechten Blogs wird die Bezeichnung häufig genutzt, um Taiwan seine Souveränität abzusprechen.
Die chinesische Staatspartei sieht in der AfD offenbar einen potentiellen Verbündeten. Im Juli war die Co-Parteisprecherin Alice Weidel, die lange in China gearbeitet hat und Mandarin spricht, auf einer Delegationsreise in der Volksrepublik. Begleitet wurde sie von den Bundestagsabgeordneten Peter Felser und Petr Bystroň. Letzterer steht nun nach Krah auf dem zweiten Platz der Europawahlliste. Nach der Reise sagte Felser dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, er sei überrascht gewesen, wie gut die chinesischen Gesprächspartner über die aktuellen Umfragewerte der AfD und ihre Arbeit im Bundestag Bescheid gewusst hätten.