Anne Albers, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, im Gespräch über die Arbeitsbelastung von Lehrkräften

»Warum mangelt es an Lehrkräften, wenn der Beruf sich so gut zum Faulenzen eignet?«

Es sei unklar, wie hoch die Arbeitsbelastung von Lehrkräften derzeit sei und wie viele Stunden sie tatsächlich arbeiten, so die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). In Zusammenarbeit mit der Universität Göttingen will sie jetzt beides ermitteln. Ab dem 28. August sollen Berliner Lehrkräfte ein Jahr lang mit einer App ihre Arbeitszeit erfassen. Sie werden zudem zu ihrer Arbeitsbelastung befragt. Die Ergebnisse werden 2025 erwartet. Die »Jungle World« sprach mit Anne Albers, der Leiterin des Vorstandsbereichs Beamten-, Angestellten- und Tarifpolitik der GEW.
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Der Lehrberuf gilt gemeinhin als einer mit geringer Arbeitszeit. Was ist da dran?
Sogar auf der Pressekonferenz zur Arbeitszeitstudie gab es die Nachfrage, ob Lehrkräfte denn wirklich nur 26 Wochenstunden arbeiten. Ich musste erklären, dass dies lediglich die Unterrichtsstunden sind. Da ist noch kein Unterricht vorbereitet, keine Klassenarbeit korrigiert und kein Gespräch geführt. Warum gibt es solchen Lehrkräftemangel, wenn der Beruf sich doch so gut zum Faulenzen eignet?

Also steht das Ergebnis der Studie über die Arbeitsbelastung von Lehrkräften bereits fest?
Unsere Vermutungen zur Mehrarbeit gründen auf den Ergebnissen mehrerer vergangener Studien. Diese haben bereits erwiesen, dass Lehrkräfte zu viel arbeiten. Darum sind die Ergebnisse ziemlich erwartbar. Aber wir wollen es schwarz auf weiß, damit die Politik endlich handelt. Neu an der Berliner Studie ist, dass auch Schulleitungen und Berufsschulen dabei sind. Außerdem wird neben der Zeitmessung die subjektiv empfundene Belastung erhoben.

Welche Wirkung erhoffen Sie sich von der Studie und welche Forderungen ergäben sich aus ihr?
Der Europäische Gerichtshof und das Bundesarbeitsgericht haben 2019 und 2022 klar geurteilt: Arbeitszeit muss durch den Arbeitgeber erfasst werden. Das dient dem Arbeitsschutz, wurde in Deutschland bisher aber nicht umgesetzt, obwohl alle Länder in der EU dazu verpflichtet sind.

»Was richtig abschreckt, sind die schlechten Arbeitsbedingungen, marode Gebäude, die vielen Überstunden.«

Wir fordern diese Zeiterfassung, und zwar mit einem für Lehrkräfte geeigneten Tätigkeitenmodell. Ein solches haben die Göttinger Wissenschaftler entwickelt. Da geht es auch um die Frage, welche Tätigkeiten denn zum Lehrberuf dazugehören. Weiter fordern wir, dass durch die erfasste Zeit die Millionen unbezahlten Überstunden von Lehrkräften endlich vergütet werden.

Wie könnte der Beruf wieder attraktiver gestaltet werden?
Vielen Kolleg:innen fehlt die gesellschaftliche Anerkennung für ihre wichtige Arbeit, die sie täglich für die Zukunft der Kinder und unserer Bildungsgesellschaft leisten. Aber was richtig abschreckt, sind die schlechten Arbeitsbedingungen, marode Gebäude, die vielen Überstunden. Wir fordern als Gewerkschaft kleinere Klassen, weil unsere Kolleg:innen sich das dringend wünschen, um ihre Arbeit machen zu können, dabei gesund zu bleiben und endlich keine Abstriche bei der Qualität mehr machen zu müssen. Viele Eltern und Schüler:innen in Berlin unterstützen diese Forderung. Denn die Arbeitsbedingungen von Lehrer:innen sind auch die Bildungsbedingungen von Schüler:innen.

Hamburg hat als einziges Bundesland ein Arbeitszeitmodell für Lehrer:innen, das angeblich jeden Arbeitsschritt genau abbildet. Wo setzt die Studie hier an?
Das Hamburger Arbeitszeitmodell ist genauso wie alle anderen Deputatsmodelle nicht empirisch fundiert. Das bedeutet, niemand im Ministerium hat je wissenschaftlich gemessen, wie viele Stunden Arbeit wirklich hinter einer Unterrichtsstunde stecken. Dieses System wollen wir vom Kopf auf die Füße stellen: Sag uns, wie viele Stunden deine Arbeitswoche haben soll, und wir sagen dir, wie viele Unterrichtsstunden du damit machen kannst.