Adam Schwarz’ postapokalyptischer Roman »Glitsch«

Pauschalreise ins Nirgendwo

Es kommen immer mehr belletristische Bücher auf den Markt, die sich der Klimakrise widmen. Auch der postapokalyptische Roman »Glitsch« des Schweizer Autors Adam Schwarz benutzt das Ökoversagen der Menschheit als Kulisse – und scheitert ästhetisch.

Eigentlich hat der neue Roman »Glitsch« des Schweizer Nachwuchsautors Adam Schwarz einen politisch ansprechenden Plot: In einer nahen postapokalyptischen Zukunft ist der Arktische Ozean ganzjährig eisfrei und dadurch bequem schiffbar. Wie im Kapitalismus nicht anders zu erwarten, wird dieser für das Klima höchst problematische Zustand touristisch ausgebeutet, so dass Kreuzfahrtschiffe die Barentssee, die Ostsibirische See und die Beringsee nach Belieben durchqueren. Kein Eisberg stört hier mehr den Schiffsverkehr.

Ein aus der Schweiz stammendes dysfunktionales Paar um die 30 nutzt diese zweifelhafte touristische Möglichkeit für eine Schiffsreise von Hamburg nach Tokio: Léon Portmann, ein kiffender Dauerdoktorand ohne große Ambitionen, und Kathrin Wahlau, eine Überfliegerin aus gutem Hause, die sich ständig etwas beweisen muss. Kathrin zieht es in die japanische Metropole, weil sie dort eine für ihre Promotion relevante wissenschaftliche Konferenz zur »interdisziplinären Erforschung der Weltablehnung« besuchen will.

Es wird schnell klar, dass die Reise in einem Desaster enden wird.

Es wird schnell klar, dass die Reise in einem Desaster enden wird. Kathrin wollte von Anfang an alleine verreisen – Léon hat sich ihr aufgedrängt, um ihre scheiternde Beziehung zu retten. Als Kathrin ohne jede Erklärung aus der gemeinsamen Kabine verschwindet, kommt Léon in Schwierigkeiten. Kathrins Eltern verdächtigen ihn am Telefon, ihre Tochter gewaltsam beiseite geschafft zu haben; die Schiffs-IT verwehrt ihm den Zutritt zur Kabine, so dass er sich glücklich schätzen muss, zumindest einen kleinen Verschlag mit einem der schiffseigenen Animateure teilen zu dürfen.

Und schließlich fällt ihm ein verschwörungstheoretisches Traktat in die Hände, dessen offenkundige Popularität bei den Passagieren Léon vermuten lässt, auf einem Sektendampfer gelandet zu sein, der die ebenso feierwütigen wie lebensmüden Reisenden ins Nirgendwo bringt. Währenddessen bleibt Kathrin hartnäckig unauffindbar, und sein Haschischvorrat geht langsam, aber sicher zur Neige.

Geschult an Autoren wie Thomas Pynchon und Agatha Christie, könnte »Glitsch« als durchschnittlicher Verschwörungskrimi mit klimarelevantem Dekor durchgehen. Doch traktiert Schwarz seine Leserinnen und Leser mit zu viel Füllmaterial. Ob es die Aufzählung der Eigentümlichkeiten des Kreuzfahrtschiffs sind, die ellenlangen Rückblenden von Kathrins und Léons Beziehungskatastrophe oder die Vertiefung in die Pseudophilosophie der Verschwörungserzählung – es wird so viel ­räsoniert und so wenig erzählt, dass man schnell den Eindruck gewinnt, hier sollten ein paar nette Einfälle unbedingt Roman werden.

Schwarz vertraut auch seinen Figuren nicht. Aus gutem Grund: Sie sind Karikaturen. Die Hauptcharaktere, die Mitreisenden, das Schiffspersonal von der Kapitänin bis zu den Kellnern in den Bordrestaurants, ja sogar die wenigen Einheimischen, auf die die Passagiere bei ihren touristischen Landgängen stoßen, wirken so austauschbar, dass man sie auch in jede beliebige Vorabendserie des deutschen Fernsehens versetzen könnte.

So entpuppt sich Léon als bisexuell, aber auch zeugungsunfähig, was er Kathrin, die sich Kinder wünscht, verheimlicht. Kathrins ­Eltern wiederum werden stereotyp als Erfolgsmenschen gezeichnet, die in der Pharmaindustrie und der Architektur reüssiert haben. Der »Schiffspolizist« Bodiger, ein versoffener Kumpan, führt seine Ermittlungen gegen Léon mit der Glaubwürdigkeit und Stringenz eines schlechten »Tatort«-Kommissars.

Schwarz respektiert seine Figuren nicht einmal – eine denkbar schlechte Voraussetzung, um bei den Leserinnen und Lesern Interesse zu erzeugen. Das Gleiche gilt für den klimapolitischen Hintergrund der Geschichte. Außer der Eisfreiheit der Arktis scheint die Katastrophe keine großen Konsequenzen gehabt zu ­haben. In einer der vielen Rückblenden erfährt man nebenbei, dass sich in der Schweiz die »Berge auflösen«, weil es sehr viel regnet und daher regelmäßige Überschwemmungen auftreten. Das Alltagsleben in der Schweiz scheint das aber nicht tiefgreifend verändert zu haben. Ob das am Schluss erwähnte schwimmende Atomkraftwerk im polaren Russland irgendetwas mit der Klimaproblematik zu tun hat, wird nicht ausgeführt, es ist auch nur ­einer der vielen Ad-hoc-Einfälle des Autors.

»Glitsch« folgt einem Trend in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, im Kern banale Beziehungsgeschichten dadurch aufzuwerten, dass man sie vor einer welt­geschichtlich bedeutsamen Kulisse erzählt. Sei es der Ukraine-Krieg, das Flüchtlingselend oder eben die Klimakatastrophe – auf jede erdenkliche Weise versuchen Gegenwartsautorinnen und -autoren in ihren Romanen zwanghaft, Aktualität her­zustellen.

Der Roman folgt einem Trend in der deutsch­sprachigen Gegenwartsliteratur, banale Beziehungs­geschichten dadurch aufzuwerten, dass man sie vor einer weltgeschichtlich bedeutsamen Kulisse erzählt.

Auch die Verschwörungsgeschichte, die Schwarz als plot device benutzt, ist Kokolores. Man hat ja in der Realität einiges an dämlichen Verschwörungserzählungen kennengelernt, aber dass ein geheimnisvoller Autor namens C. C. Salarius seine Anhänger dazu bringt, sich im Meer ertränken zu wollen, indem er das Lied von der reinigenden Zivilisationsferne der ozeanischen Ursuppe singt, ist sehr schwach erzählt. Das große Glück ist das Aufgehen im ozeanisch-primordialen Dasein, oder vielmehr Nichtsein: Das ist schon die ganze frohe Botschaft, aber an Bord des Schiffs findet sie viel Anklang. Es sei denn, die große Verschwörung ist nur Léons Paranoia entsprungen, was auf recht wohlfeile Art in der Schwebe bleibt.

Außerdem gibt es noch ein geheimnisvolles Computerspiel, dessen Softwarefehler – deren Auswirkungen im Englischen »glitches« genannt werden – auf irgendeine Weise mit dem Drang zur Auflösung der Individuen im großen Ganzen der sprach- und kulturlosen See zu tun haben sollen. Nicht nur an diesem Punkt scheint Schwarz zu glauben, dass Ennui sich am besten dar­stellen lässt, indem man Ennui hervorruft.

Man muss nicht einen Großmeister wie David Foster Wallace anführen, der mit seinem Roman »Unendlicher Spaß« (»Infinite Jest«, 1996) sehr viel zupackender von der (post)modernen Verzweiflung erzählt hat. Cory Doctorow (»Down and Out in the Magic Kingdom«, 2003) und Emily St. John Mandel (»The Glass Hotel«, 2020) oder auch Leif Randt (»Schimmernder Dunst über CobyCounty«, 2011) reichen als Referenzen dafür, wie man es besser macht, völlig aus.

Schwarz’ Roman weiß nicht, was er sein will: Dystopie, Beziehungs­geschichte, Science-Fiction, philosophisches Traktat, Groteske? Er hat von all diesen Genres ein bisschen was, aber zu keinem bekennt er sich ganz. Zusammen mit seinen generellen Schwächen erzeugt das einen Eindruck von Gleichgültigkeit, als wolle der Autor demonstrieren, dass er mit den Menschen, die er dem Untergang entgegensegeln lässt, eigentlich nichts zu tun hat, weil er sie ohnehin nur als Idioten betrachtet.


Buchcover_Glitsch

Adam Schwarz: Glitsch. Zytglogge-Verlag, Basel 2023, 296 Seiten, 29 Euro