Bradley Coopers Filmporträt über den Dirigenten Leonard Bernstein

Bernstein-Biopic: Kein großes Bild

Dem Komponisten und Dirigenten Leonard Bernstein und dessen Beziehung zu seiner Frau Felicia Montealegre wollte Bradley Cooper mit seinem Film »Maestro« ein Denkmal setzen. Herausgekommen ist eine Bilderflut, die sich zu sehr in Details verliert.

Schon lange vor dem Kinostart löste »Maestro« eine rege Debatte aus: Bradley Coopers Film über den großen Dirigenten und Komponisten Leonard Bernstein wurde kritisiert, weil in ihm Cooper, der nicht nur die Regie, sondern auch die Hauptrolle übernahm, eine Nasenprothese trägt, was zu der ­Frage führte, ob es antisemitisch sei, wenn ein nichtjüdischer Schauspieler unter Zuhilfenahme einer Prothese einen Juden verkörpere.

Zwar sprangen Bernsteins Kinder Cooper bei und betonten, ihr Vater habe tatsächlich eine »schöne, große Nase« gehabt. Dennoch ist die Frage nicht unbegründet, wieso solches »Jewfacing« anders als das »black­facing« nach wie vor in Filmproduktionen angewendet wird. Darin drückt sich nämlich nicht zuletzt die im Rahmen des Intersektionalismus oft bemühte Vorstellung aus, dass Juden auf der Diskriminierungsskala irgendwo ganz unten stünden, weshalb die »Aneignung« ihrer Kultur, oder in diesem Fall ihrer Physio­gnomie, nicht als Ausbeutung einer marginalisierten Gruppe gewertet werden könne.

Hinzu kommt, dass die Maske sich – anders etwa als bei der gelungenen Verwandlung von Helen Mirren in die einstige israelische Premierministerin Golda Meir für Guy Nattivs Film »Golda« – nicht strikt am historischen Vorbild orientierte. Sie unterscheidet sich in der Form relativ deutlich von der Nase Bernsteins, sie läuft spitzer zu und wirkt auch schlicht größer. Es fällt schwer, darin nicht die Züge einer Karikatur zu ­sehen.

»Maestro« erzählt vor allem die Liebesgeschichte zwischen Bernstein und der Schauspielerin Felicia Montealegre, hinreißend gespielt von Carey Mulligan, die den Film über weite Strecken trägt.

Doch genug der »Nasen-Kritik« (Frankfurter Rundschau, Welt, Zeit Online). »Maestro« erzählt vor allem die Liebesgeschichte zwischen Bernstein und der Schauspielerin Felicia Montealegre, hinreißend gespielt von Carey Mulligan, die den Film über weite Strecken trägt. Nach einer kurzen Rahmensequenz, in der Bernstein als alter Witwer den Verlust seiner großen Liebe beklagt, springt die Handlung zum frühen Erfolg des jungen Dirigenten. Dieser erste Teil ist in Schwarzweiß gedreht, in hübschen, bisweilen etwas übermäßig ästhetisierten Bildern. Bernstein wird als junger, agiler und charmanter Mann gezeigt, der durch einen glücklichen Zufall seinen großen Durchbruch erlebt – als Ersatz für den Chefdirigenten der New Yorker Philharmoniker, Bruno Walter.

Dieser Einstieg in Bernsteins Karriere ist durchaus interessant inszeniert. Die erste Einstellung scheint zunächst einen Bühnenvorhang zu zeigen, erst bei genauerer Betrachtung lassen kleine Gegenstände am unteren Bildrand erkennen, dass es sich um die Gardinen eines Fensters handelt. Vor diesem erwacht Bernstein neben einem Mann und stolpert vom Schlafzimmer in den Frack und dann auf die große Bühne. Immer wieder stolpern die Protagonisten auf diese Art von Szene zu Szene, was der Erzählung zwar Dynamik und Tempo verleiht, bisweilen aber auch geradezu unangenehm märchenhaft anmutet.

­Leonard Bernstein (Bradley Cooper) und Felicia Montealegre (Carey Mulligan)

Waren 26 Jahre verheiratet. ­Leonard Bernstein (Bradley Cooper) und Felicia Montealegre (Carey Mulligan)

Bild:
Jason McDonald / Netflix

Dies umso mehr, als das junge Glück zwischen Bernstein und ­Montealegre überzeichnet wird, beispielsweise wenn die beiden in einer endlosen Sequenz umschlungen im Bett bei schwelgerischen Gesprächen gezeigt werden und im Hintergrund die Grillen zirpen. Zwar wird diese rauschhafte Zeit der Zweisamkeit durchaus charmant in Szene gesetzt, zum Beispiel wenn Bernstein Montealegre Einblick in seine musikalische Ideenwelt gewährt und ­diese vor ihren Augen wie denen des Zuschauers lebendig wird oder ­kleine Alltagsgespräche die ödipale Spannung zwischen den beiden greifbar machen.

Bernstein wird als depressiver Mann porträtiert, der zwischen seinen Rollen als Komponist und Dirigent, zwischen der Einsamkeit des Schöpferischen und dem Ruhm des Inszenierens zerrieben wird.

Allerdings wird all das nicht erzählerisch entwickelt, sondern bloß gezeigt – und verschwindet dann sogleich wieder. So drängt sich schnell der Verdacht auf, dass hier dramaturgisch holzschnitt­artig die große Krise vorbereitet werden soll. Doch zunächst endet der Schwarzweißteil des Films mit einer tatsächlich ergreifenden Szene, in der Bernstein die fünfte Symphonie Gustav Mahlers dirigiert und anschließend zur am Bühnenrand wartenden Felicia stürmt, um sie zu küssen – die Überwältigung der beiden wird hier auch für den Zuschauer geradezu somatisch erfahrbar.

Mit den Farben halten die Verlockungen und Ausbruchsversuche Einzug in den Film, mit denen Bernstein sich angesichts des großen Ruhms und der Verantwortung als Ehemann und inzwischen auch als Vater konfrontiert sieht. Denn er fühlt sich nach wie vor auch zu Männern hingezogen und versteckt seine Affäre mit einem jungen Mann namens Tommy nur halbherzig vor Felicia, die immer mehr in Depressionen und ein Gefühl der Nutzlosigkeit abdriftet. Auch Bernstein wird nun als depressiver Mann porträtiert, der mit seinen eigenen Schöpfungen unzufrieden ist und zwischen seinen Rollen als Komponist und Dirigent, ­zwischen der Einsamkeit des Schöpferischen und dem Ruhm des Inszenierens zerrieben wird.

Bernsteins Frau Felicia (Carey Mulligan)

Ist die heimliche Hauptfigur des Films. Bernsteins Frau Felicia (Carey Mulligan)

Bild:
Jason McDonald / Netflix

Es ist der einigermaßen vorhersehbare Niedergang der Beziehung nach dem Höhenflug des ersten Teils. Schließlich kommt es zu einem großen Streit am Rande einer Thanks­giving-Feier, bei dem Felicia Leonard vorwirft, dass hinter seinen Idealen von Menschenliebe und Grenzenlosigkeit Hass, Wut und Narzissmus steckten. Die beiden entfremden sich immer mehr voneinander und Felicia beginnt wieder zu arbeiten, während Bernstein sich im wilden Leben verliert, auch Drogeneskapaden werden angedeutet.
Stets implizit bleibt auch Bernsteins körperliche Nähe zu Tommy. Nie sind die beiden in einem Moment ungestörter Intimität zu sehen, nur beiläufige Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit bekommt der Zuschauer zu Gesicht. So drängt sich der ­Eindruck auf, der Film schäme sich, Bernsteins homosexuelles Begehren als solches zu zeigen.

Durchaus gelungen ist hingegen die Inszenierung der Versöhnung mit Felicia, abermals eine Orchesterszene. Bernstein dirigiert in einer englischen Kathedrale Mahlers zweite Symphonie, die der Auferstehung – und das mit ergreifender Wucht. Felicia ist zu einem überraschenden Besuch angereist und von Bernsteins Orchesterführung überwältigt. Sie fallen sich in die Arme und Felicia sagt, sie habe sich getäuscht, er trage keinen Hass in sich.

Der Film verliert sich in seiner eigenen Fülle, die trotz aller Präzision im Kleinen kein großes Bild ergeben mag und so über weite Teile einem leeren Ästhetizismus verfällt.

Die beiden finden wieder zueinander, doch es soll der Auftakt zu einem traurigen Finale werden, denn kurze Zeit später erfährt Felicia von ihrer Krebserkrankung. Mulligan spielt den folgenden gesundheitlichen Niedergang ihrer Figur mit ­bedrückender Eindringlichkeit. Hier beginnen die Bilder endlich zu vermitteln, anstatt bloß zu zeigen. Felicias melancholische Abwesenheit während eines Besuchs von Freunden, ihr schleichendes Verschwinden ist so glaubwürdig gespielt, dass es »Maestro« im letzten Teil doch noch gelingt, den Zuschauer emotional zu involvieren.

Bedauerlich ist, dass weder Coopers Spiel noch seine Regiearbeit allzu viel dazu beitragen konnten. Zwar imitiert er Bernstein technisch auf bemerkenswerte Weise, doch bleibt diese technische Präzision seiner Spielweise stets anzumerken – und stellt sich somit einer spontanen ­Einfühlung in seine Figur in den Weg. Das gilt besonders für die Momente, in denen Cooper sich bemüht, das bübische, strahlende Leuchten in Bernsteins Augen zu imitieren und dabei doch vor allem die Bemühung spürbar wird, die er dafür aufwendet.

Die Regiearbeit krankt an ähnlichen Problemen. »Maestro« will unbedingt ein großer Film sein und fährt dazu eine ungeheure Bilderflut auf, von der man sich eher geplättet denn überwältigt fühlt. Der Film verliert sich in seiner eigenen Fülle, die trotz aller Präzision im Kleinen kein großes Bild ergeben mag und so über weite Teile einem leeren Ästhetizismus verfällt. Cooper hätte gut daran getan, etwas mehr Zurückhaltung zu üben und so ein Bild von Bernstein zu zeichnen, das berührt, statt zu erschlagen. Und dafür wäre eine karikatureske Darstellung Bernsteins gar nicht nötig gewesen.

Maestro (USA 2023). Buch: Bradley Cooper, Josh Singer. Regie: Bradley Cooper. Darsteller: Carey Mulligan, Bradley Cooper, Matt Bomer, Sarah Silverman, Gideon Glick. ­Kinostart: 6. Dezember: Netflix-Start: 20. Dezember