Im Film »Eileen« machen zwei einzelne Frauen eine Kleinstadt unsicher

Freundschaft zweier Frauen

Der Film »Eileen« erzählt die Geschichte zweier Frauen, die auf den ersten Blick kaum unterschiedlicher sein könnten, sich aber im Aufbegehren gegen die Enge einer biederen Kleinstadt in den USA der sechziger Jahre miteinander verschwistern.

Auf einem Parkplatz am Meer beobachtet eine junge Frau von ihrem Auto aus ein Liebespaar, das sich in einem der anderen Fahrzeuge vergnügt – und masturbiert dazu unter Zuhilfenahme von schmutzigem Schnee. Mit diesem Bild für die Einsamkeit und das unerfüllte Begehren eröffnet der britische Regisseur William Oldroyd seinen zweiten Langspielfilm »Eileen« – begleitet von düsteren Streichern und hübschen opening credits, die an das klassische Suspense-Kino aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts denken lassen.

Die titelgebende junge Frau, mit unsicherer Melancholie großartig gespielt von Thomasin McKenzie, lebt mit ihrem trinkenden Vater, einem ehemaligen Polizisten, in einem tristen kleinen Küstenort im Massachusetts der sechziger Jahre und arbeitet als Sekretärin in einem Gefängnis für Jugendliche und junge Männer. Die Atmosphäre ist gezeichnet von allgemeiner Grobheit, Kälte und Freudlosigkeit – unterstrichen von körnigen, dunklen Bildern in den blassen, aber durchaus schön anzusehenden Farben des Kinos der Sechziger.

Keine Lust mehr auf trostlose Provinz: ­Eileen (Thomasin McKenzie)

Keine Lust mehr auf trostlose Provinz: ­Eileen (Thomasin McKenzie)

Bild:
Netflix / Jeong Park

Von ihrem Vater sowie ihren Kollegen und Vorgesetzten erfährt Eileen in erster Linie Herabsetzung. Sie scheint sich auch selbst als eher durchschnittliches Mauerblümchen zu sehen und sucht Zuflucht in se­xuellen Phantasien mit einem jungen Gefängniswärter, aber auch einem Insassen, der seinen Vater getötet hat. Wie ein Gefängnis erscheint Eileens ganzes Leben: In dem kleinen Städtchen steht ihr Elternhaus aufgrund des immer haltloser trinkenden und tyrannischer werdenden Vaters unter der Beobachtung der Nachbarn, wie in einem Panoptikum.

In diese enge, graue Welt, in der jede Spontanität und Intimität erstickt scheint, tritt Rebecca, die neue Gefängnispsychologin, entwaffnend kraft- und stilvoll gespielt von Anne Hathaway. Mit ihren strahlend blonden Haaren und scharf geschnittenen Designerkostümen verkörpert sie die Stadt, die Welt, das Jenseits der Provinz. Nonchalant, verrucht und kettenrauchend versprüht sie überdies den souveränen Charme selbstbewusster Weiblichkeit und zieht Eileen so schnell in ihren Bann. Auch Rebecca ist von Eileen angetan: Zum einen genießt sie deren Bewunderung, zum anderen erkennt sie sich selbst in der einsamen jungen Frau, die unter der Enge der Kleinstadt leidet – so wie auch Rebecca, die nicht so richtig Anschluss findet.

Regisseur Oldroyd widersteht der Versuchung, aus »Eileen« einen zu simplen Kommentar zum Geschlechterverhältnis zu machen und in der Vergangenheit vor allem Belege für heutige feministische Positionen zu suchen.

Zu den Stärken des Films zählt seine Ambivalenz in der Entwicklung der Figuren. Den ersten Teil bildet eine Charakterstudie Eileens, die in ihrer Verlorenheit durchaus die Sympathien des Zuschauers für sich gewinnt – zugleich werden diese aber immer wieder unterlaufen, wenn ihre Sehnsüchte ins Obsessive zu kippen scheinen oder sich angesichts Eileens Berufswahl und der Entscheidung, in der Provinz zu bleiben und sich um ihren Vater zu kümmern, der Eindruck aufdrängt, sie suhle sich in selbstgewähltem Elend.

Auch ist Eileens Vater nicht einfach ein sadistischer Patriarch, sondern selbst entmachtet, mit der Arbeitslosigkeit und der Abwesenheit seiner Frau der eigenen Bedeutungslosigkeit überlassen. Er vegetiert saufend und emaskuliert in seinem Sessel vor sich hin – Eileen zu erniedrigen, scheint ihm die letzte Möglichkeit zu sein, so etwas wie Macht zu verspüren.

Als er schließlich dabei beobachtet wird, wie er mit seiner Waffe vom Fenster aus auf Nachbarskinder zielt, nimmt sich der örtliche Streifenpolizist der Sache an und überantwortet die Waffe der Tochter – ein Bild für die erloschene Potenz und Handlungsmacht des Vaters, die auf die im Zuge ihrer Freundschaft zu Rebecca immer mehr aufblühende Eileen übergeht. Zu deren sexuellen Träumereien treten nach und nach Gewaltphantasien hinzu und deuten an, dass die Verbindung der beiden Frauen bald in eine radikalere Infragestellung der engen Konventionen der gefängnisartigen Kleinstadt münden wird.

Amüsieren sich im einzigen Etablissement des Orts. Eileen und Rebecca

Amüsieren sich im einzigen Etablissement des Orts. Eileen und Rebecca

Bild:
Netflix / Jeong Park

Oldroyd widersteht der Versuchung, aus »Eileen« einen zu simplen Kommentar zum Geschlechterverhältnis zu machen und in der Vergangenheit vor allem Belege für heutige feministische Positionen zu ­suchen. Anne Hathaway verkörpert in Rebecca den Typus der unabhän­gigen Frau, die selbstbewusst ihren Lastern frönt, sich ihrer Liebhaber entledigt, sobald sie ihrer überdrüssig wird, und, nachdem die freund­liche Zurückweisung der Zudringlichkeiten eines ungebetenen Verehrers erfolglos blieb, auch mal handgreiflich wird, gänzlich ohne Pathos, mit selbstverständlicher Souveränität.

Die beiden Protagonistinnen verschwistern sich nicht zu einem Kampf gegen das Patriarchat, sondern bleiben zwei Einzelne, die sich ganz allgemein gegen die repressive Tristesse ihrer Umwelt wenden, an der biestige und missgünstige Kolleginnen ebenso ihren Anteil haben wie Eileens Vater und zotige Herrenrunden – und gegen das Schweigen.

Bei einem gemeinsamen Weihnachtsessen offenbart Rebecca Eileen, dass sie die Mutter eines inhaftierten jungen Vatermörders gefesselt in ihrem Keller gefangen hält. Eileen will aus dem Haus stürmen, lässt sich jedoch schließlich überreden, Rebeccas Erklärungen anzuhören. Sie erzählt von dem Missbrauch, den der junge Häftling durch seinen ­Vater erlitt und den die Mutter geduldet hat. Eileen entschließt sich, Rebecca bei dem Versuch zu helfen, der Mutter ein Geständnis zu ent­locken, doch wegen deren heftigen Widerstands sehen sich die beiden bald zu drastischen Maßnahmen gezwungen.

Inmitten der drögen Provinzialität unterdrückter Sexualität entsteht so eine Freundschaft zweier Frauen, die mehr vom Leben wollen, als der stumpfe Gefängnisalltag zu bieten hat, und die sich schließlich auf radikale Weise mit der Frage konfrontiert sehen, welche Folgen ein konsequentes Verhältnis zur Wahrheit hat. Ari Wegners Kameraarbeit erzählt das alles in nostalgischen Bildern, die zugleich schwärmerisch einen klassischen Chic evozieren und auf bedrückende Weise eine biedere Enge erfahrbar machen.

»Eileen« bleibt ein Film der Zwischentöne und Andeutungen, der Platz für Interpretationen und Spekulationen lässt, und ent­wickelt darin durchaus einen melancholischen Charme, leidet aber auch an einer gewissen Unentschlossenheit.

Stellen­weise besticht das Drehbuch von Luke Goebel und Ottessa Moshfegh, von der auch die international erfolgreiche Romanvorlage stammt, mit sparsam eingesetzten sarkastischen Spitzen beider Protagonistinnen gegen das stumpfe Dasein ihrer Umwelt. Etwas weniger subtil ist die groteske Komik, wenn Eileen nach einer mit Rebecca durchzechten Nacht in ihrem unsanft im Vorgarten geparkten Auto auf ihrem eigenen Erbrochenen erwacht – und vergeblich Einlass begehrend und sich weiterhin übergebend um ihr Elternhaus herumkriecht.

»Eileen« bleibt dennoch ein Film der Zwischentöne und Andeutungen, der Platz für Interpretationen und Spekulationen lässt, und ent­wickelt darin durchaus einen melancholischen Charme, leidet aber auch an einer gewissen Unentschlossenheit. Vor allem der Charakter Rebeccas wird etwas oberflächlich dargestellt. Ihr Verhältnis als Psychologin zu der repressiven Organisation des Gefängnisses, in dem beispielsweise ein striktes Masturbationsverbot herrscht, wird nur in einigen beiläufigen ­Äußerungen nachvollziehbar.

Auch fühlt sich die Erzählung etwas unfertig an: Einerseits wünschte man sich zum Ende des Films, die ma­kabre Gefangennahme bilde erst den Anfang eines Abenteuers wie bei »Thelma und Louise« – den beiden Protagonistinnen dabei zu folgen hätte durchaus seinen Reiz –, andererseits fügt sich das Ausbleiben ­eines großen Ausbruchs konsequent in die kontrollierte Zurückhaltung des Films, der folgerichtig mit einem zaghaften Aufbruch und einem unsicheren Lächeln endet.

Eileen (USA 2023). Buch: Luke Goebel, ­Ottessa Moshfegh. Regie: William Oldroyd. Darsteller: Thomasin McKenzie, Anne Hathaway, Shea Whigham, Marin Ireland, Owen Teague