Daniel Ryan-Spaulding, Comedian, im Gespräch über Antisemitismus in der queeren Szene

»Die Hamas wird infantilisiert«

Der kanadische Stand-up-Comedian Daniel-Ryan Spaulding wurde mit Videos bekannt, in denen er die Berliner Schwulen- und Partyszene sarkastisch porträtierte. Seit dem 7. Oktober veröffentlicht er regelmäßig Videos, in denen er »propalästinensische« Aktivisten persifliert. Mit der »Jungle World« sprach er über seine Reisen nach Israel, die wütenden Reaktionen auf seine Postings und seine Figur »Purple Hair Girl«.

Einige Tage nach dem Angriff auf Israel am 7. Oktober veröffentlichten Sie auf Instagram ein Video, in dem Sie Linke und Queerfeministinnen, die die Gräueltaten der Hamas leugneten oder relativierten, scharf kritisieren. War dieser Clip auch der Ausdruck ­einer politischen Enttäuschung?
Es war eine Mischung aus Schock und Verwirrung. Ich war wahnsinnig überrascht, wie die Leute um mich herum die Situation wahrgenommen haben. Doch nach einiger Überlegung wurde mir klar, dass dies früher auch meine eigene Perspektive auf den Konflikt im Nahen Osten gewesen war. Und dass meine Enttäuschung schon älter ist. Bevor ich Israel besuchte und israelische Freunde fand, sah ich in dem Konflikt ebenfalls nur die israelische Unterdrückung der Palästinenser. Mir kam nie in den Sinn, dass die palästinensische Führung auch zum Leiden der Palästinenser beitragen könnte oder welche Rolle der radikale Islam spielt. Als ich 2019 zum ersten Mal nach Israel reiste, Freundschaften schloss und Fragen stellte, wurde mir vieles klarer. Es war, als hätte man mir das Licht angeknipst. Zurück in Berlin, erschreckten mich die Reaktionen von Menschen auf meine veränderte Sicht.

Die weiblichen Opfer der Hamas erfahren kaum feministische Solidarität. Man denke etwa an Judith Butler, die gerade noch mit süffisantem Lächeln nach Beweisen für Vergewaltigungen fragte, obwohl diese schon längst umfassend dokumentiert sind. Wie erklären Sie sich die Empathie­losigkeit?
Ich glaube, dafür gibt es verschiedene Gründe. Vor etwa 15 Jahren begann eine Indoktrination an liberalen Universitäten in den USA, die zum Ziel hatte, Studenten gegen Israel aufzubringen. Die übermäßige Theoretisierung der jetzigen Situation und die daraus resultierenden Verdrehungen sind eine Folge dieser Beeinflussung. Dazu kommt das Bedürfnis, sich moralisch eindeutig auf die Seite der Unterdrückten und Schwachen zu schlagen. Die Hamas wird infantilisiert, am Ende sind die Juden wieder selbst an ihrer Vernichtung schuld.

»Am Ende sind die Juden wieder selbst an ihrer Vernichtung schuld.«

Ein weiterer Grund ist schlichtweg Antisemitismus, der für jede Empathie mit Juden blind macht. Ich war bei den Vereinten Nationen, wo uns Beweise über die Gräueltaten vor­gelegt wurden. Das zu sehen, hat mich als Mensch verändert. Die groteske, ekelhafte, unmenschliche Art und Weise, wie sexuelle Gewalt von der Hamas als Kriegsmittel eingesetzt wurde – es ist so schockierend, dass es ja tatsächlich unglaublich ist. Aber es ist passiert, und es ist absoluter Hochmut, dies in irgendeiner Form zu bestreiten oder zu entschuldigen.

Ihre neueste Erfindung ist das »Purple Hair Girl«, eine fiktive queere Aktivistin mit lilafarbenen Haaren, die Sie in Kurvideos spielen und die in den Videos über ihre antisemitischen Ressentiments aufgeklärt wird. Wen erreichen Sie damit? Sehen Sie hier tatsächlich noch eine Chance für Aufklärung?
Viele der jungen Aktivisten, die sich der Anti-Israel-Bewegung anschließen, sind unglaublich schlecht informiert. Es fällt ihnen jedoch schwer zuzugeben, dass sie falsch liegen könnten. Wir haben es mit Narzissten zu tun, die nicht mehr offen sind für neue Informationen oder komplexe Argumente. Man bevorzugt ein Schwarz-Weiß-Denken, bei Diskussionen stellt man sich auf die Seite von einem »Team« wie bei einem Fußballspiel.
Aber die Realität ist eben komplexer. Mit »Purple Hair Girl« möchte ich die schweigende Mehrheit aufklären. Ich glaube, dass viele Menschen die Heuchelei in dieser Debatte durchaus erkennen können, doch das Thema löst starke Emotionen aus. Man traut sich nicht, denn es ist wie ein Minenfeld. Deshalb wollte ich auf humorvolle Weise Menschen aufklären, die enge Beziehungen zu »Purple Hair Girls« haben.

Die internationale antisemitische Kampagne »DJs Against Apartheid« erhielt zunächst auch Zuspruch von der queeren Party­reihe Buttons aus Berlin. Auch hier haben Sie mit einem kritischen Video reagiert. Was haben Sie danach erlebt?
Durch meine konsequente israelsolidarische Haltung, nicht nur in den letzten fünf Monaten, habe ich mich bereits von einigen Freunden aus der Zeit, als ich in Berlin gelebt habe, entfernt. Aber ja, ich wurde danach angegriffen und verbal attackiert, auch von Leuten, die einmal meine Freunde waren, und Leuten, die ich schon lange kannte. Aber mir ist das Thema zu wichtig. Ich will nicht Leuten gefallen, die politisch so dermaßen falsch liegen und dazu eine gefährliche Rhetorik verbreiten – gefährlich für Israelis und jüdische Menschen. Ich möchte in keiner Gesellschaft leben, in der Terrorismus normalisiert und gerechtfertigt wird.

Daniel-Ryan Spaulding

Daniel-Ryan Spaulding, kanadisch-kroatischer Comedian, der auf Stand-up-Bühnen und in Videos in sozialen Medien auftritt

Bild:
Irene Eidinger

Wie gehen Sie mit Hassnachrichten um?
Online zu kommentieren ist wie be­soffen in einer Bar zu stehen und Blödsinn von sich zu geben. Aber anders als ein unbedachter Spruch, den man betrunken von sich gibt, bleibt es für die ganze Welt für immer ­festgehalten. Darum versuche ich, das nicht allzu ernst zu nehmen. Ich glaube, dass die meisten Menschen, wenn sie mir tatsächlich gegenüberstehen würden, nicht den Mut hätten, den sie auf sozialen Medien haben. Zudem habe ich ziemlich viel Selbstvertrauen, das hilft (lacht).

Sie sind auch im Kontakt mit einigen Familien der Entführten?
Ich versuche einfach, ihre Geschichten zu sammeln und zu teilen. Ich konzentriere mich auf die Geschichten der männlichen Geiseln – ihre Gesundheit wird oft übersehen. Die Männer werden die Letzten sein, die freigelassen werden. Es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass sie ermordet werden. Und auch einige von ihnen wurden vergewaltigt und sexuell missbraucht, darüber wird nur wenig gesprochen.

»In Berlin sind es Menschen, die es eigentlich besser wissen müssten. Erwachsene, Gebildete, Künstler und gut integrierte Mitglieder der Gesellschaft.«

Ich hatte zudem die Gelegenheit, gemeinsam mit anderen Aktivisten beim Sundance-Filmfestival eine Veranstaltung der Initiative »Bring Them Home« zu moderieren. Wir boten den Familien und Überlebenden eine Plattform, um ihre Erfahrungen und Gefühle zu teilen. Die Veranstaltung war unglaublich berührend.
Es wäre großartig gewesen, eine ähnliche Veranstaltung auch bei der Berlinale durchzuführen. Vor zehn Jahren wurde dort »Youth« gezeigt, ein Spielfilm aus Israel, dessen Hauptdarsteller David Cunio nun eines der Entführungsopfer ist. Der Film selbst behandelte sogar das Thema Entführung, er hätte eine perfekte Gelegenheit geboten, um mit den Familien über die Geiseln zu sprechen.

Sie sind vor einiger Zeit von Berlin nach New York City gezogen. Nehmen Sie einen Unterschied in der Debatte über Antisemitismus wahr?
Ich denke ja, insbesondere in Bezug auf die Haltung zu Israel. Die Reaktionen auf meine Videos fallen hier in Berlin jedenfalls weitaus heftiger aus.
In New York sind diejenigen, die stark antiisraelisch eingestellt sind und laute Proteste auf die Straße bringen, meist ziemlich jung. Hier in Berlin sind es hingegen Menschen, die es eigentlich besser wissen müssten. Erwachsene, Gebildete, Künstler und gut integrierte Mitglieder der Gesellschaft, wenn man so will, auch wenn sie vielleicht etwas exzentrisch sind. Leute, von denen ich jedenfalls erwarten würde, kritischer zu sein, und die eigentlich verstehen müssten, welche historische Verantwortung sich aus der Shoah ergibt.

Sie touren derzeit mit Ihrer Show »Power Gay«. Worum geht es?
Die Hauptthemen meiner Show sind meine persönlichen Veränderungen: Ich habe 112 Kilo abgenommen, bin trocken geworden und habe Berlin verlassen, um nach New York zu ziehen. Ich spreche aber auch über Antisemitismus. Humor ist immer noch die effektivste Methode, Heuchelei zu entlarven.


Am 4. April findet im »About Blank« in Berlin eine von der »Jungle World«, dem Disko e. V. und der Amadeu-Antonio-Stiftung orga­nisierte Podiumsdiskussion unter dem Titel »About Antisemitismus – A lack of em­pathy?« statt, an der neben Daniel-Ryan Spaulding auch Ronya Othmann, Nicholas Potter und Dima Bilyarchyk teilnehmen werden.

Am 4. April findet im »About Blank« in Berlin eine von der »Jungle World«, dem Disko e. V. und der Amadeu-Antonio-Stiftung orga­nisierte Podiumsdiskussion unter dem Titel »About Antisemitismus – A lack of em­pathy?« statt, an der neben Daniel-Ryan Spaulding auch Ronya Othmann, Nicholas Potter und Dima Bilyarchyk teilnehmen werden.