Sonntag, 17.09.2023 / 16:04 Uhr

Priester, Puszcza und Piroggen: Barkatzen und Zuckerbäcker

Von
Jörn Schulz
Gänseschwarm

Lieber schnell davonfliegen! Die nicht aus Plüsch bestehende Gans hat das Problem, dass sie gut schmeckt.

Bild:
Archiv 2. Juni

Es war ein sehr freundlicher Zug der Geschäftsführung, eine Gruppe, zu der zu gehören auch ich das Glück hatte, in einer Wohnung unterzubringen, die nur zehn Meter von der nächsten Bar entfernt liegt. Selbstverständlich durfte man der Versuchung nicht zu oft erliegen, denn so eine Jungle-Reise ist ja kein Urlaub. Daher blieben viele Warschauer Museen und Sehenswürdigkeiten unbesichtigt und erst am vorletzten Tag war eine Reisegruppe in der Puszcza. Natürlich nicht zum Wandern oder um Pilze zu sammeln, über den Zweck der Reise werden Sie am 22. September mehr erfahren.

Langjährige Leser:innen werden sich vielleicht darüber wundern, dass von Katzen noch nicht die Rede war. Das liegt daran, dass kaum welche zu sehen sind, allerdings waren zwei Barkatzen zu erblicken. Eine ruht gerne auf einem Fenstersims in ersten Stock über der Bar gegenüber. Tagsüber, für die meisten Katzen sind angeregte Kneipengespräche ja barbarischer Lärm.

Die nicht aus Plüsch bestehende Gans hat das Problem, dass sie gut schmeckt. Mittlerweile werden in China sehr viel mehr Gänse gezüchtet als in Polen, aber Gänsefleisch ist weiterhin auch ein Exportprodukt.

Toleranter ist aber die Katze vor dem „Offside“. Zu jener Zeit, da andere Katzen gerade überlegen, wie sie diesmal ihre sogenannten Besitzer:innen wecken sollen, um eine rechtzeitige Fütterung vor der Morgendämmerung zu erwirken, schaut sie lieber in der Bar vorbei – nicht jede Nacht, aber recht oft, wie mir ein Stammgast erzählte. Sie dreht eine paar Runden im Eingangsbereich, mustert die muntere Schar der Trinkenden und wartet dann draußen auf ihre Fans, um ein wenig gekrault zu werden.

Von Gänsen, vor allem Pipa, war bereits die Rede. Auch Gänse können, wenn ein ausreichend großer Garten zur Verfügung steht, als Haustiere gehalten werden, dann können sie zehn bis 20, in Ausnahmefällen sogar fast 50 Jahre alt werden.

Aber die nicht aus Plüsch bestehende Gans hat das Problem, dass sie gut schmeckt. Mittlerweile werden in China sehr viel mehr Gänse gezüchtet als in Polen, aber Gänsefleisch ist weiterhin auch ein Exportprodukt; Hauptabnehmer mit 74 Prozent ist Deutschland. Ähnlich war es bereits im Realsozialismus, sehr zum Unwillen der polnischen Werktätigen, zumal die meisten verbliebenen Gänse von der Nomenklatura verzehrt wurden.

Deren Politik war, wenngleich im Zweifelsfall der Devisenerwerb Vorrang hatte, im Vergleich zu anderen realsozialistischen Staaten mehr darauf bedacht, die Arbeiter:innen nicht allzu sehr zu verärgern. Zum erhaltenswerten Erbe diese Zeit gehören die nun mehr gefährdeten Milchbars, über die Sie, richtig geraten, am 22. September mehr erfahren werden.

Eine bemerkenswerte Leistung war zudem der Wiederaufbau Warschaus. Die systematische Zerstörung der Stadt war bereits vor dem Krieg geplant worden, dem Pabst-Plan zufolge sollte eine Provinzstadt für 130.000 Deutsche entstehen. Stalins „Geschenk an das polnische Volk“, den Kultur- und Wissenschaftspalast im Zuckerbäckerstil, konnte man nicht ablehnen, das historische Zentrum sollte jedoch wieder aufgebaut werden. „Dieser Aufwand an Geld und Arbeitskraft, den das Land für die Rekonstruktion von Baudenkmälern in Warschau aufgebracht hat, war europaweit beispiellos.“ Das Ergebnis kann sich sehen lassen und gehört seit 1980 zum Unesco-Welterbe.

Der Kapitalismus brachte Warschau dann die weltweit gängigen Geschäftstürme und konnte im vorigen Jahr mit dem Varso Tower (310 Meter) Stalins Kulturpalast (237 Meter) an Höhe deutlich übertrumpfen. Aber die Innenstadt ist großzügig angelegt, so großzügig, dass vielerorts sogar Platz für breite Radwege ist, obwohl der damalige Außenminister Witold Waszcykowski (PiS) bereits 2016 der Bild-Zeitung erläuterte, man lehne den „neuen Mix von Kulturen und Rassen, eine Welt aus Radfahrern und Vegetariern, die nur noch auf erneuerbare Energie setzen und gegen jede Form der Religion kämpfen", ab.

Offenbar nimmt sich die PiS ein Beispiel an der KP und verzichtet auf unnötige Provokationen. Sie verteilt auch immer mal wieder Geld in Form höherer Sozialleistungen – was allerdings nicht mit einem funktionierenden Sozialstaat verwechselt werden sollte –, um ihre Wähler:innenbasis zu vergrößern. Vielleicht verspricht sie ja für den Fall ihres Sieges bei den Wahlen am 15. Oktober noch allen Pol:innen eine Weihnachtsgans, um dem Vegetarismus entgegenzuwirken.

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Kampagnenbild

 

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