Donnerstag, 08.10.2020 / 15:00 Uhr

Borussen gegen Antisemitismus

Von
AM RF
TeBe dienen. Antisemitismus bekämpfen.

TeBe dienen. Antisemitismus bekämpfen.

Bild:
instagram.com/picke.graetsche.aus

Der Regionalligist Tennis Borussia Berlin und der Champions-League-Teilnehmer Borussia Dortmund sind im Engagement gegen Antisemitismus zu Vorreitern im deutschen Fußball geworden.

Beide Vereine haben heute nach Informationen des Blogs „Picke.Grätsche.Aus.” die Antisemitismus-Definition der International Holocaust Rememberence Alliance (IHRA) übernommen. Die Nichtregierungsorganisation berät Vereine, Organisationen und Regierungen im Kampf gegen den Judenhass. Dafür hat IHRA eine Arbeitsdefinition erstellt, die es ermöglichen soll, gezielt gegen Antisemitismus vorzugehen. Bisher hatten sich nur die Premier League Clubs FC Chelsea und West Ham United der Definition von International Holocaust Rememberence Alliance angeschlossen.

In der aktiven Fanszene Dortmunds engagieren sich einige Akteure schon lange gegen Antisemitismus. Zum Beispiel werden regelmäßig Gedenkstättenfahrten angeboten und organisiert, die sehr gut angenommen werden. Der Verein ist diesem Engagement gefolgt, und spendete u.a. im vergangenen Jahr eine Million Euro an die Gedenkstätte und Shoah-Forschungseinrichtung Yad Vashem in Jerusalem.

Mit der Übernahme der Definition von Antisemitismus in seine Satzung hat der Verein nun ein probates Mittel, um gegen judenfeindliche Vorfälle vereinsintern vorzugehen. Das ist insofern von großer Relevanz, als dass sich in der schwarz-gelben Fanszene offen Rechtsradikale bewegen und organisieren. Stichworte Borussenfront, der „Nazikiez“ Dortmund-Dorstfeld und die immer wieder in dieser Hinsicht problematisch auftretende Ultragruppierung „Desperados“.

Anders ist die Lage bei der kleinen Borussia aus Berlin. Der Charlottenburger Verein ist unter vielen Fußballfans vereinsübergreifend verhasst. Allgemein gilt er als „westberliner Bonzentruppe“, dessen jüdische Wurzeln die Grundlage für dessen angeblichen Reichtum seien. Dabei handelt es sich um eine Geschichte beabsichtigter Missverständnisse...

Die zwölf jungen Sportler, die am 9. April 1902 beschlossen hatten, die „Kameradschaftliche Vereinigung Borussia” und die „Berliner Tennis- und Ping-Pong-Gesellschaft” zur „Berliner Tennis- und Ping-Pong-Gesellschaft Borussia” zusammenzuführen, hatten damals ebenfalls mit recht verbohrten Vorurteilen zu kämpfen. Obwohl als Tennis- und Tischtennis-Verein gegründet, formierte sich schon ein Jahr später eine Fußballabteilung und erwarb für 50 Pfennig die Lizenz für die Teilnahme an der Berliner Meisterschaft. Fußball galt vor 100 Jahren in Deutschland als zutiefst „undeutsche” Beschäftigung, da es für Männer als unschicklich galt, sich öffentlich in kurzen Hosen zu zeigen.

Die Tennis-Borussen entwickelten sich in der neuen Sportart derart prächtig, dass sie in den 20er-Jahren neben Hertha BSC die führende Fußballmannschaft Berlins wurden und als erstes deutsches Team sechs Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs gegen eine französische Fußballauswahl antraten. Ein Freundschaftsspiel in Paris war damals alles andere als eine Selbstverständlichkeit.

Viermal erreichte TeBe Ende der 20er-, Anfang der 30er-Jahre das Viertelfinale der Endrunde um die Deutsche Meisterschaft. Für den Titel reichte es nie. Dafür wurden die damals in Niederschönhausen trainierenden Veilchen 1931 Berliner Pokalsieger und 1932 zum ersten Mal Berliner Meister. Schon ein Jahr später fand die Erfolgsgeschichte ein jähes Ende. Um einem Zwangsaustritt zuvorzukommen, verließen die jüdischen Mitglieder, die ein Drittel des Vereins ausmachten, die Lila-Weißen.

Die „freiwillige” Gleichschaltung bedeutete einen schweren Verlust für den Klub. So musste die langjährige Vereinszeitung vorläufig eingestellt werden, und jeder Junge, der TeBe-Mitglied war, wurde gezwungen, der Hitlerjugend beizutreten. Die ehemaligen jüdischen Mitspieler schlossen sich derweil den rein jüdischen Sportvereinen an, wie zum Beispiel Hakoah, der Berliner Sportgemeinschaft von 1933. Einige wenige schafften es, in die USA oder nach Palästina zu flüchten, wie die Borussenlegende Simon Leiserowitsch, der später als Trainer von Makkabi Tel Aviv aktiv war. Das Schicksal der meisten jüdischen Borussen ist unbekannt, da die Mitgliederlisten des Vereins von vor 1933 komplett verloren gegangen sind.

In der Nachkriegszeit firmierte der Verein ab 1945 zunächst als Sportgruppe Charlottenburg. Es gelang bis Anfang der 50er-Jahre, wieder einer der erfolgreichsten Berliner Vereine zu werden, ab 1949 unter dem bekannten Namen Tennis Borussia Berlin. 1950 gründete der Quizmoderator Hans Rosenthal die Prominenten-Elf von Tennis Borussia. Schon Mitte der 50er-Jahre jedoch begann der langsame Abstieg. Als 1963 die erste Bundesligasaison startete, war Hertha BSC statt Tennis Borussia dabei. (ausführlich zur Geschichte von TeBe hier).

Die lila-weiße Fanszene ist bundesweit bekannt für ihre Antidiskriminierungsarbeit. Sie organisierten oder beteiligten sich an überregionalen Kampagnen gegen Homophobie, Antisemitismus und Rassismus in und außerhalb des Stadions. Leider lässt sich dieses Engagement durch die postnationalsozialistischen Institutionen des deutschen Fußballs wie dem DFB leicht usurpieren. Darum soll es heute aber nicht gehen. Erfreulich ist, dass man bei den Borussen jetzt auch auf Vereinsebene ein solch klares Statement gegen den Antisemitismus setzt. Hoffentlich ziehen viele weitere Vereine nach.