Montag, 19.10.2020 / 11:54 Uhr

Ick bin kein Berliner

Von
GM
Flutlichtspiel in Probstheida: 1. FC Lokomotive Leipzig gegen Tennnis Borussia Berlin

Flutlichtspiel in Probstheida: 1. FC Lokomotive Leipzig gegen Tennnis Borussia Berlin

Bild:
instagram.com/picke.graetsche.aus

Flutlichtspiel in Probstheida: 1. FC Lokomotive Leipzig gegen Tennnis Borussia Berlin, Freitag um 19 Uhr!

 

Die Leuchtreklame im FCL-Fanshop in der Leipziger Innenstadt wirkte verlockend. Trotz Dauerregen. Vielleicht gab es ja einen Platz auf der Pressetribüne, schließlich hatte der Verantwortliche mir vor dem Spiel gegen Karl-Marx-Stadt zugesichert, es gäbe nur deshalb keinen, weil der CFC mit sämtlichen Reportern der Stadt Chemnitz anreise, und man wegen Corona jeweils einen Platz frei lassen müsste. Bei künftigen Spielen wäre das aber sicherlich alles deutlich entspannter. Doch dann schrieb mir derselbe Mann, bis auf weiteres dürften bei Lok nur noch Vertreter von Bild, LVZ und MDR auf die Tribüne. Wegen Corona.

Also versuchte ich, mir eine Karte zu kaufen, hatte ja gegen Chemnitz auch geklappt. Doch die Adresse, an der ich mich in Leipzig aufhielt, wurde nicht akzeptiert, da in meinem Ausweis fatalerweise BERLIN als Wohnort steht. Ich war nicht der einzige, der enttäuscht abziehen musste, zahlreiche Fans standen fluchend am Schalter, da sie schon ein Ticket gekauft hatten, aber nicht in das Stadion gelassen wurden. Laut dem neuen Hygienekonzept wurden alle Landkreise, in denen die kritische Marke überschritten wurde, nicht mehr als Zuschauer zugelassen.

Zu Beginn des Spiels, das ich mir also wieder nur im Livestream ansehen konnte, gab es eine gemeinsame antirassistische Aktion. Die Spieler beider Vereine präsentierten ein von der aktiven Fanszene gestelltes Banner: „Trotz Abstand - Kein Platz für Rassismus! #Footballpeople“ Dieser Hashtag ist das diesjährige Motto der FARE-Aktionswoche, an der sich zahlreiche Vereine beteiligen. Lok-Vizepräsident Alexander Voigt sagte: „Die Teilnahme an der FARE-Woche ist für unseren Verein mittlerweile zum Selbstverständnis geworden. Besonders freut es uns, dass sich auch unsere aktive Fanszene sofort wieder bereit erklärt hat, dabei zu unterstützen ein Zeichen gegen Diskriminierung und Rassismus zu setzen.“

Dieser Satz könnte von Tebe stammen, wo das Engagement gegen jede Form von Diskriminierung bei Verein und Fans traditionell Konsens ist. Erst letzte Woche hatten wir berichtet, dass Tennis Borussia gemeinsam mit dem BVB die IHRA-Arbeitsdefinition zur Bekämpfung von Antisemitismus übernommen hat und damit deutschlandweit zum Vorreiter wurde. Bei Lok dagegen fallen Teile der Fanszene bis heute immer wieder durch rassistische Ausfälle auf, wie zuletzt nach dem Spiel gegen Altglienicke, wie die LVZ berichtete. Um so bemerkenswerter ist deshalb jede antirassistische Aktion dieses Vereins, die über ein bloßes Lippenbekenntnis hinausgeht. Seit einigen Jahren scheinen es die Verantwortlichen ernst zu nehmen mit dem Kampf gegen Rechts.

Auf dem Rasen wurde ebenfalls einiges geboten, besonders für die Fans der Sachsen. Nach der Ergebniskrise der vergangenen Wochen und einer Klatsche in Altglienicke schoss sich Lok den Frust von der Seele und gewann mit 4:0. Und es gab mal wieder eine Ziane-Show. Der Leipziger Stürmer schaffte das Kunststück, einen Ball aus einem Meter Torentfernung und freier Schusslinie übers Tor zu setzen. Er ärgerte sich darüber so sehr, dass er direkt in der nächsten Szene den Ball eroberte, sich durchtankte und aus viel schwierigerem Winkel traf.

Im Interview darauf sagte er wieder einen seiner Sätze, die man sich eigentlich einrahmen müsste, in wunderbar sächsischem Akzent: „Wir müssen hier glob isch ohne dass es arrogant klingt 8 Tore machen“. Fast so gut wie nach dem Unentschieden bei Optik Rathenow, als er wütend ins MDR-Mikro rotze: „Dreieinhalb Stunden hierher gefahren. Wussten, dass es Scheiße wird. Is och scheiße geworden. Stelln uns och dumm an und und spieln dann halt och schlecht“. Ein Interview mit Djamal Ziane, fast so schön wie ein Coup de Boule von Zinedine Zidane.

Bleibt zu bemerken: Wenn sich die Situation nicht ändert, wird es künftig schwer, über Lokomotive Leipzig zu berichten. Andererseits, wie der Medienverantwortliche mir bestätigte: Wenn es wieder Geisterspiele gäbe, dann wäre endlich genug Platz auf der Tribüne. Doch wenn es dazu kommt, gibt es bald darauf vermutlich gar keine Spiele mehr. In das Stadion zu kommen, ist beinahe zur Mission Impossible geworden.