Sonntag, 19.06.2022 / 13:04 Uhr

Wiedergutwerden in Kassel - documenta: Von Guernica nach Gaza

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Guernica, ausgestellt in München 1955, Bildquelle: Pinterest

Die „Wiedergutwerdung der Deutschen“. So heißt treffend ein Band mit Essays von Eike Geisel, der leider viel zu früh verstorben ist.

Was gerade in und um die documenta in Kassel geschieht wäre, täte er noch leben, sicher Stoff für einen seiner Artikel geworden.

Zu seinem Andenken schreibe ich die folgenden Zeilen, auch wenn er es so viel besser gekonnt hätte:

Arnold Bode, ein sein Leben lang „überzeugter Sozialist“ und der spätere Gründer der documenta, verlor schon am 1. Mai 1933 seinen Job als Dozent am Städtischen Werklehrer-Seminar in Berlin. Kurze Zeit später erhielt er als „entarteter Künstler“ auch ein Berufsverbot.

Auch wenn Bode nicht emigrierte war er einer derjenigen, die offenbar wirklich zwischen 1933-45 alles vermieden, um mit den Nazis sich gemein zu machen.

Als besonderes Erlebnis in dieser Zeit schilderte er später einen Besuch in Paris 1937, wo er Pablo Picassos Guernica sah. Dieses Bild sei ihm damals als „ein Signal für alle Widerstandskämpfer“ erschienen.

Nach 1945 arbeitete Bode fieberhaft daran, ein Ausstellungskonzept zu entwickeln, das all denen, die im 3. Reich als „entartete Künstler“ verfolgt wurde, gerecht werden und an sie erinnern sollte. So entstand die erste „documenta“, die dann auch auf entsprechend wenig Begeisterung in der Nachkriegsbundesrepublik der 50er Jahre stieß, in der sich allerlei Altnazis gerade als neu gewendete kalte Krieger gegen den Bolschewismus einrichteten und ein Großteil der Bevölkerung durchaus weiter die Ansicht vertrat all dies abstrakte Kunstzeug habe der Führer ganz zu Recht als „entartet“ aus den Museen verbannen lassen.*

Und heute? Stehen die Nachgeborenen vor einer Verkitschung der Guernica, die als Kunst aus Gaza präsentiert wird und Betrachtern nahe legen sollte, dass die zeitgemäße Legion Condor wohl die Israeli Air Force sei.

Derweil feiert der Kulturteil der Süddeutschen die Ausstellung so:

"In Kassel wird diesmal der Gemeinschaftsgedanke gefeiert. Besucherinnen und Besucher müssen sich nur noch darauf einlassen. ... Die eigentlichen Komponenten dieser Kunst aber sind Teamgeist, gute Laune, Gerechtigkeitssinn, Respekt vor der Natur und die Bereitschaft, ins Offene zu gehen, um die Zukunft gemeinsam zu gestalten. ... Vielleicht ist der Glaube der Documenta-Künstler an die Kraft von Kollektiven nichts als Wunschdenken, vielleicht unterschätzen sie die Machtstrukturen, die auch Gruppendynamiken innewohnen.“

Ich bin sicher Kia Vahland, die diese Zeilen verfasste, hat sich nicht einen einzigen Gedanken gemacht, dass einst Künstlerinnen wie Bode als „entartet“ aus der Volksgemeinschaft ausgeschlossen wurden, gerade weil „gute Laune“, „Teamgeist“ und „Gemeinschaftsgedanke“ ihnen fremd gewesen seien. Hat sie je gelesen, was Goebbels so schrieb, dem es ja auch darum ging, dass Kunst die „Gemeinschaft“ stärken müsse, sich „für die natürliche Schönheit und Harmonie“ einzusetzen habe, und sich der „Schau natürlicher Schönheit und ästhetischer Harmonie“ zuwenden müsse.

Mit dem Wort "natürlich" zum Satzanfang darf der Hinweis nicht fehlen, dass da irgendwas mit Deutschland, Antisemitismus und Vergangenheit ist auch wenn es ja sonst eigentlich um "singende Bergbewohnerinnen Syriens, zusammenhaltende Minenarbeiter Kongos oder in alten Mythen heimische Roma" geht:

"Natürlich können die Deutschen nicht absehen von ihren Prägungen, ihrer eigenen Geschichte und Gegenwart. Insbesondere, wenn bei der Schau doch noch Antisemitismus zutage treten sollte, wäre Einspruch dringend notwendig. Deswegen aber gleich der Kunstfreiheit zu misstrauen oder alles, was von außen kommt, von vorneherein unter Verdacht zu stellen: Das wäre undemokratisch und ignorant."

Zu alldem passt dann auch, dass der deutsche Bundespräsident in seiner Rede lieber Joseph Beuys zitiert, der als Hitlerjunge am "Reichsmarsch auf Nürnberg" teilnahm und sich später in rechten und völkischen Kreisen äußerst wohlfühlte. Auch er steht nämlich symbolisch für die (spätere) "documenta".

 

 

* Picassos Guernica wurde bislang einmal, nämlich 1955, in Westdeutschland ausgestellt. Mit mäßigem Erfolg:

"The undisputed eye-catcher of that spectacular exhibit was Guernica, on display in Germany for the first and only time. Its controversial reception reveals that at that time there was no intention to see the work in Germany in a memorial relationship with Germany’s own historical responsibility. Thus it virtually functioned as a symbol for a collective amnesia of the West German postwar society, whereas the socialist East of the Republic stylized the painting into an anti-fascist icon."

 

Nachtrag: Eigentlich hätte ich es wissen müssen, es klang zu glatt für diese Zeit in Deutschland. Auch bei der documenta waren die Nazis nicht fern und Bode hatte wenig Berührungängste mit einem ehemaligen Partisanenjäger in Italien, Werner Haftmann, zusammen zu arbeiten. Gemeinsam enstchied man sich, die Werke "jüdischer Künstler" nicht zu zeigen:

Die Ausgrenzung des Jüdischen verfolgte natürlich einen Sinn. So wie Bode und Haftmann auf Abstrakte wie Fritz Winter, Georges Braque oder Alexander Calder setzten, sollte das die Abgrenzung zum NS-Kunstverständnis und den Anschluss an das ästhetische Credo West markieren. Wären jüdische Künstler berücksichtigt worden, hätte unweigerlich die Frage nach dem Terrorsystem der Nazis im Raum gestanden, das sie ermordete und an dem etliche der Mit­ar­bei­te­r:in­nen der ersten vier documentas beteiligt waren.

Vielleicht schrieb deshalb Haftmann wider besseres Wissen den ungeheuerlichen Satz: „Die moderne Kunst wurde als jüdische Erfindung zur Zersetzung des ‚Nordischen Geistes‘ erklärt, obwohl nicht ein einziger der deutschen modernen Maler Jude war.“ Groß prangt das Zitat aus seinem epocheprägenden Werk „Die Malerei des 20. Jahrhunderts“, von dem ein Originalexemplar unter einem Glassturz in der Schau ruht, auf einer der Stellwände der Ausstellung.